F: Da Demokratie und Faschismus zwei Formen bürgerlicher Herrschaft sind, weisen sie natürlich strukturelle Ähnlichkeiten auf. Was soll die Feststellung an dieser Stelle? Dennoch gibt es qualitative und quantitative Unterschiede zwischen diesen beiden Herrschaftsformen, die für nicht wenige Betroffene einen Unterschied ums Ganze ausmachen. Deshalb ist es erneut eine ziemliche Verharmlosung der NS-Verbrechen, wenn ausgerechnet an dieser Stelle strukturelle Ähnlichkeiten zwischen dem deutschen Faschismus und dem Zionismus oder dem arabischen “Sozialismus” konstatiert werden. Was mich aber noch viel mehr stört, ist, dass du den Antisemitismus offenbar nicht als strukturelles Merkmal des deutschen (sic!) Faschismus siehst. Das war er aber, und das unterscheidet ihn auch vom Zionismus - aber auch etwa vom italienischen Faschismus, für den der Antisemitismus kein genuines Kennzeichen war. Übrigens ist genau dieser Punkt meines Erachtens überaus typisch für eine parteikommunistische Sichtweise. Es gibt wirklich wenige MarxistInnen, die sich Gedanken zur Rolle und Funktion des Antisemitismus für den NS gemacht haben, und die Linie reicht deutscherseits von der KPD über die DKP bis hin zur KOVI. Die löbliche Ausnahme von der schlechten Regel bildet diesbezüglich die Kritische Theorie, für mich allemal ein Anknüpfungs- und Bezugspunkt.

AH: Du hast meine Ausführungen offenbar nicht richtig gelesen. Sie stehen gar nicht im Gegensatz zu dem, was Du hier schreibst. Ich habe natürlich nie behauptet, dass der Faschismus und der Zionismus das Gleiche seien, ebenso wenig wie, dass bürgerliche Demokratie und Faschismus gleich seien. Was ich oben gesagt habe ist, dass es zwischen der Ideologie kleinbürgerlicher nationalistischer Strömungen mitunter starke Ähnlichkeiten gibt. Was den deutschen Faschismus anbelangt, so ist es gar keine Frage, dass der Antisemitismus für ihn ein strukturelles Merkmal war; ich bestreite allerdings, dass es der Antisemitismus war, der ihn an die Macht gebracht hat und der ihm in erster Linie seine Massenbasis besorgt hat. Aber um diese Diskussion geht es hier ohnehin nicht. Die Palästinenser haben mit dem deutschen Faschismus wie die Juden nur als Opfer zu tun.

Soweit übrigens aus dem stalinistischem Sumpf manifester Antisemitismus wuchert, wie z.B. (nicht erst) heute in Rußland, zeigt das nur den grundsätzlich antiproletarischen und folglich konterrevolutionären Charakter des Stalinismus.

F: Der letzte Satz stimmt. Ich weiß aber nicht, ob das bei einem “trotzkistischen Sumpf” - der nicht existiert - so viel anders wäre...
AH: Mein lieber F. Daß Du das nicht weißt, kann ich mir gut vorstellen. Das kann auch nicht anders sein, denn Du weigerst Dich ja, Dich ernsthaft mit dem zu beschäftigen, was Trotzkismus überhaupt ist (Deine antinationalen Gewährsleute, die alle aus dem stalinistischen Lager stammen, können Dir dabei auch nicht helfen). Deine Position in dieser Frage, ist mir bestens bekannt und entspricht der üblichen zynischen Haltung des Kleinbürgertums “Ist sich all dieselbe Scheiße”. Im übrigen bestreite ich hiermit keineswegs, dass es auch in einem von Trotzkisten geführten Staat Antisemitismus geben kann (im russischen Bürgerkrieg scheinen auch Einheiten der Roten Armee an Pogromen beteiligt gewesen zu sein.) Der Grund ist, dass im ‚trotzkistischen Staat’ Menschen leben, die in einer bürgerlichen Klassengesellschaft groß geworden sind und die Revolution entweder gar nicht unterstützt haben oder mit einem durchaus begrenzten und widersprüchlichen Bewusstsein. Zu behaupten, die theoretischen Positionen des Leninismus/Trotzkismus hätten antisemitische Aspekte, ist ebenso abwegig wie abgeschmackt. Ich empfehle Dir, z.B. die ‚Vorläufigen Thesen der 4. Internationale zur Judenfrage heute’ von 1947 zu lesen oder die entsprechende Resolution der SWP-US von 1938.

F: ...verbale Bekenntnisse ändern daran nichts. Der Staatssozialismus hat immer betont, gegen Antisemitismus zu sein, und ihn doch de facto ignoriert oder sogar selbst produziert. Letzteres kann man TrotzkistInnen sicher nicht vorwerfen, aber relevant für die eigene Theorie scheint mir die Auseinandersetzung mit Antisemitismus auch nicht zu sein.

AH: Nun, Tatsache ist, dass sich Trotzki selbst damit beschäftigt hat (s. LDT: On the Jewish Question. (Pathfinder Press) New York 1970), dass eine der bekanntesten marxistischen Arbeiten zum Thema ‚Die jüdische Frage’ von dem Trozkisten Abraham Léon stammt, dass auch der gewissermaßen trotzkistische (allemale jedenfalls aus der Perspektive der Antitrotzkisten) Issac Deutscher ein Buch unter dem Titel ‚Die ungelöste Judenfrage’ geschrieben hat (s. auch Mario Kessler: Antisemismus, Zionismus und Sozialismus. Mainz 1994). Ich weiß nicht, ob Du einer dieser Bücher kennst. Vielleicht würdest Du die Analysen nicht teilen. Aber Du kannst nicht behaupten, Trotzkisten hätten sich nicht mit dem Antisemitismus beschäftigt. Richtig ist allerdings, dass er für uns nicht der Angelpunkt der Erklärung der Welt ist, sondern dass wir die Klassenfrage dafür halten.