Die neue Plattform von 'ATTAC' - ein putziger 'Angriff'

A. Holberg

ATTAC-Deutschland hat Ende Mai in Frankfurt am Main eine neue 'Plattform' verabschiedet (der Text u.a. in 'junge Welt' v. 28.5.02). In letzter Zeit hat ATTAC (ein Akronym, das für 'Action pour une Tax Tobin d'Aide aux Citoyens'/'Aktion für eine Tobin-Steuer als Hilfe für die Bürger' steht, aber gleichzeitig mit dem Begriff 'Angriff' kokettiert) sich zunehmend bemüht, vom Geruch einer im Namen angelegten Ein Punkt-Bewegung wegzukommen und alle möglichen anderen Politikfelder über die Propagierung der vermeintlich der globalen Kapitalspekulation auf den Leib rückenden Tobin-Steuer hinaus anvisiert. Das und die wachsende Mitgliederschaft machte angeblich eine neue Plattform notwendig. Erwartungsgemäß ist diese Plattform einer Organisation, die bereits als 'außerparlamentarische Sozialdemokratie' bezeichnet wurde nicht über eine Aufzèhlung aller möglichen netten Reformen hinausgekommen. Sie spiegelt das völlige Unverständnis dieser wie aller anderen reformistischen Kräfte für die Gesetzmäßigkeiten der Gesellschaft wider, in der sie leben. Das soll im Folgenden am Beispiel einiger Programmpunkte deutlich werden. So heißt es in der Plattform: "Demokratie wird untergraben, weil Global Players mit der Drohung, den 'Standort' zu wechseln, zunehmend die Politik diktieren." Angesichts dessen, dass dieser der einzige Satz in der Plattform ist, der eine Erklärung für den Abbau von Demokratie gibt, wäre es blauäugig, den Autoren zu Gute halten zu wollen, dass sie hier sozusagen mit anderen antikapitalistischen Kräften arbeitsteilig nur einen Grund für den Demokratieabbau thematisieren wollten, dass sie also weniger den Demokratieabbau erklären als vielmehr auf einen Aspekt der Politik der 'Global Players' hinweisen wollten. Realität jedoch ist, dass weder das 'nationale' Kapital noch das global agierende auf Demokratie abonniert sind. Die bürgerliche, d.h. im Wesentlichen die formale Demokratie ist zwar die Herrschaftsform der Bourgeoisie, die der formalen Gleichheit aller Teilnehmer am Wirtschaftsleben am ehesten entspricht, und sie ist auch deshalb die bevorzugte Herrschaftsform, weil sie den Konsens von Herrschenden und Beherrschten zur Grundlage hat und damit die objektiv existierenden antagonistischen Widersprüche innerhalb der Klassengesellschaft am ehesten verdeckt. Oscar Wilde hat das auf den Punkt gebracht als er schrieb "Die bürgerliche Demokratie ist die Kunst, mit Hilfe des Volkes gegen das Volk zu regieren". Zur Diktatur etwa in Gestalt des Faschismus hingegen greift die Bourgeoisie eher ungern, da dieser Schritt unwägbare Gefahren für die gesamte bürgerliche Ordnung beinhaltet. Sie tut es, wenn sie keine andere -- demokratische -- Möglichkeit mehr sieht, die Angriffe auf den Lebensstandard der eigenen Arbeiterklasse und andere Länder durchzuführen, die notwendig sind, um ihre Profite zu sichern. Das gilt gleichermaßen für alle Teile des Kapitals -- die 'Global Players' wie die übrigen. Allerdings sind selbstredend die 'Global Players' die größeren Kapitalkonzentrationen mit der entsprechend größeren gesellschaftlichen Macht. Das heißt aber keineswegs, dass das machtlosere und im allgemeinen deshalb noch mehr von der Krise geschüttelte Kapital 'demokratischer' eingestellt wäre, und es heißt auch nicht, dass die 'Demokratie' dadurch gefährdet ist, dass ein 'Standort' gewechselt wird. Sie ist gefährdet, weil und insoweit sie die Reproduktion des Kapitals -- wo auch immer -- in Frage stellt. Bekanntlich sind die Regime in den 'Entwicklungsländern' -- d.h. in den sich am wenigsten entwickelnden Ländern -- im allgemeinen am undemokratischsten, und das nicht, weil das einheimische Kapital in die imperialistischen abwandert oder das imperialistische sich dort niederlässt oder nicht, sondern weil die einheimische Bourgeoisie am wenigsten Brosamen zu verteilen hat, um die ausgebeuteten Massen zu befrieden. Im übrigen ist es offensichtlich nicht so, dass die angeblich so neue Globalisierung, die "zunehmend" die Politik diktiere, weltweit zu mehr Diktaturen in den letzten Jahren geführt hat. Wenn man darauf verzichtet, an bürgerliche Demokratien Illusionen zu knüpfen, muß man zugeben, dass sich deren Zahl in der jüngsten Epoche deutlich erhöht hat.

Weiter heißt es: "Wir brauchen eine andere Politik. Die neoliberale Globalisierung ist keineswegs schicksalhaft und alternativlos. Sie ist von den Regierungen der großen Industrieländer und mit Hilfe von Internationalem Währungsfonds (IWF), Weltbank und Welthandelsorganisation (WTO) zielgerichtet betrieben worden."

Das stimmt schon. Diese Politik ist keineswegs schicksalhaft, und sie ist mehr oder weniger zielgerecht betrieben worden. Die Frage stellt sich jedoch, wird aber von ATTAC bezeichnenderweise weder gestellt noch gar beantwortet: Warum ist sie von ausnahmslos allen Regierungen der imperialistischen Länder und auch den meisten Bourgeoisien in den vom Imperialismus abhängigen Ländern betrieben worden? Aus purer Bosheit, oder gar Dummheit? Deutet nicht vielmehr die Tatsache, dass sie von Regierungen, die aus seit jeher wirtschaftsliberalen Parteien gebildet wurden, ebenso betrieben wurde wie von Regierungen, deren tragende Parteien einst reformistische Anhänger des Keynesianismus waren, darauf hin, dass es die Interessen aller relevanten Fraktionen des Kapitals sind, die unter bestimmten Bedingungen in diese Richtung drängen? Der von ATTAC favorisierte Keynesianismus konnte schließlich den Verfall der durchschnittlichen Profitrate nicht aufhalten, und musste deshalb über Bord geworfen werden. Daß auch der Neoliberalismus dieses Problem auf die Dauer nicht lösen kann, wird nur den wundern, der an einen krisenfesten Kapitalismus glaubt.

Nach dieser nun wirklich unzureichenden Analyse der Realität ist wohl nicht ernsthaft zu erwarten, dass ihre Autoren dieser unverstandenen Realität eine auch nur im Entferntesten zureichende Kampfstrategie entgegenstellen könnten. Und so finden wir denn auch im Folgenden eine Aneinanderreihung von angestrebten Wohltaten, nicht aber einen ernsthaften Hinweis darauf, wie diese denn innerhalb der bestehenden sozialen (Un-)Ordnung zu erlangen wären. Der Plattform zufolge streitet ATTAC "für eine neue Weltwirtschaftsordnung, in der die Reichtümer der Welt gerecht verteilt und ökologisch genutzt werden." Die Organisation setzt sich gegen Kriege und für zivile und friedliche Konfliktlösungen ein, für die Besteuerung internationaler Finanztransaktionen und deren Verwendung für Umwelt- und Entwicklungsaufgaben, für die Lösung der Schuldenkrise der Entwicklungsländer "die Ablösung der Diktatur der Gläubiger durch ein faires und transparentes Verfahren", für "internationale Institutionen, die diesen Zielen und nicht den Interessen von Industrieländern, Konzernen und korrupten Eliten dienen" und so weiter und so fort. All das wäre schön, wenn auch nicht schön genug. Leider erfahren wir vor allem aber nicht, wie diese Ziele zu erreichen sind.

Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass ATTAC etwa die 'Gläubiger' abschaffen will, oder die 'Konzerne' und 'Eliten'. Von ihnen wird nur gefordert, dass sie nett seien und die Interessen derer fördern sollten, von deren Arbeit sie leben. Mit anderen Worten -- der Löwe soll mit dem Schaf Blindekuh spielen. ATTAC ist der Meinung, dass die "transnationalen Konzerne und großen Kapitalbesitzer" der Neoliberalismus als "Leitbild" haben. Sie leitet ihre 'Plattform' damit ein, dass sie feststellt: "Nach dieser Ideologie lassen sich die gesellschaftlichen Probleme am besten lösen, wenn man sie dem Markt und den Privatunternehmen überlässt". Demgegenüber hält ATTAC fest: "Das neoliberale Versprechen, die Globalisierung bringe Wohlstand für alle, hat sich jedoch nicht erfüllt, im Gegenteil."

So richtig dieser Einwand auch ist, so sehr geht er doch am wirklichen Zweck der Kapitalismus wie übrigens jeder anderen Klassengesellschaft vorbei. Der Wohlstand für alle (oder richtiger für eine möglichst große Zahl von Menschen) ist in all diesen Gesellschaften bestenfalls eine zeitweilige und lokal begrenzte Zugabe. Hauptzweck jedoch ist der Wohlstand für die Herrschenden und die Aufrechterhaltung der Ausbeuterordnung, die diesen ermöglicht. ATTAC weigert sich zu verstehen -- oder was schlimmer wäre, ihrem Publikum zu verraten -- dass die Weltwirtschaft, die von den wirtschaftlich stärksten Kapitalfraktionen beherrschte kapitalistische ist, deren Grundlage nicht der mehr oder weniger ungerechte Austausch, sondern die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch Lohnarbeit ist, und deren Existenzzweck die unbegrenzte Anhäufung von Kapital ist, ein Zweck, dem auch die Bourgeoisie selbst unterworfen ist. Unter diesen Umständen können die Reichtümer der Welt nicht 'gerecht' verteilt werden, sondern nur nach Maßnahme der Ressourcen der Bourgeoisie und der Kampfkraft der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten. ATTAC weigert sich zu verstehen, dass Kriege zur Klassengesellschaft gehören und nur mit ihr abgeschafft werden können. Der Pazifismus, der die Fortexistenz der Gesellschaftsordnung anerkennt, die Kriege gesetzmäßig erzeugen, ist hilflos und in einer Epoche, da materiellen Grundlagen für die Überwindung der Klassengesellschaft existieren (Entwicklung de Produktivkräfte als materielle Voraussetzung für eine Weiterentwicklung von Kultur ohne Ausbeutung, Größe der Arbeiterklasse weltweit) objektiv reaktionär. Indem sie die Ablösung der Diktatur der Gläubiger und ein faires Verfahren fordert, verzichtet ATTAC auf die völlige Streichung der de facto schon vielfach zurückgezahlten Schulden der 'Dritten Welt' zu Gunsten einer 'gemäßigten' Ausbeutung, und wie 'internationale Organisationen' zustande kommen sollen, die sowohl Macht haben als auch darauf verzichten, die Interessen derer zu vertreten, die die Welt beherrschen, bleibt das Geheimnis von ATTAC. Wer soll diese Organisationen schaffen und finanzieren, und woher nehmen sie die Macht, ihre Entscheidungen durchzusetzen? Selbst, wenn all diese Reformen im Rahmen des Kapitalismus durchführbar wären, bliebe noch das 'kleine Problem', dass in der Plattform auch der geringste Hinweis darauf fehlt, was ATTAC zu tun gedenkt, um ihre Ziele zu erreichen, sieht man einmal von der Formulierung ab, dass sie "als Teil der außerparlamentarischen Bewegung" einen "Beitrag für eine umfassende Demokratisierung der Gesellschaft leisten" will. Man wüsste gerne, worin dieser "Beitrag" bestehen soll. Bislang besteht er darin, den Menschen das mitzuteilen, was sie ohnehin schon mehr oder weniger beobachten, und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sie sowenig wie zuvor verstehen, was diesen negativen Erscheinungen zu Grunde liegt. Zugegeben: bei ATTAC und anderen Kräften des gleichen Milieus haben wir es mit einer -- zumindest in der BRD recht bescheidenen -- 'Bewegung' zu tun. Aber wie die meisten 'Bewegungen' bewegt sie sich sichtlich nicht nach vorne, sondern lässt eine wachsende Zahl von guten Seelen im Kreis laufen. Wenn die imperialistische Bourgeoisie noch eine Klasse mit Klasse wäre, würde sie sich angesichts dieses putzigen Angriffs auf ihre Interessen schmunzelnd in ihre Sessel zurücklehnen.

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