Gegen die Löwen mit den Geiern? Zu den irreführenden Perspektiven des bürgerlichen Pazifismus

Anton Holberg

In seiner Erklärung vom 31.3.03 hat der Kasseler Friedensratschlag unter dem Titel „Dem Krieg den Boden entziehen“ u.a. auf eine Unterschriftenkampagne verwiesen, mit der die Bundesregierung aufgefordert werden solle, die Einberufung der UN-Vollversammlung zu verlangen, die eine Resolution verabschieden soll, in der die USA und Großbritannien aufgefordert werden, ihre Aggression gegen den Irak zu beenden.

Diese Forderung und ganz allgemein die in der sogenannten Friedensbewegung überaus weitverbreitete Orientierung auf die UN ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich und widerspricht dem o.a. Motto fundamental.

Zunächst einmal ist es offensichtlich, dass die Beendigung der Aggression seitens der Invasionstruppen einzig und allein von zwei Faktoren abhängen wird: der Zahl der Kriegsopfer auf Seiten der Angreifer durch das Ausmaß der militärischen Standhaftigkeit der irakischen Truppen und Bevölkerung auf der einen Seite und der Entwicklung der Antikriegsbewegung in den USA und Großbritannien als Ergebnis des irakischen Widerstandes. Die Rolle der Antikriegsbewegung außerhalb der USA und Großbritannien ist objektiv die, dem militärischen Widerstand im Irak moralische Schützenhilfe zu geben. Die Orientierung auf irgendwelche Resolutionen der UN-Vollversammlung ist also, mögen diese schließlich verabschiedet werden oder nicht, in der Praxis nutzlos. Leider ist ihre Nutzlosigkeit nicht ihr einziger Mangel.

Die Orientierung des Friedensratschlages ist in erster Linie deshalb falsch, weil sie eine Unterstützung der Bemühungen der mit den USA rivalisierenden imperialistischen Staaten darstellt, ihrerseits einen Zugriff auf den Irak zu bekommen, der ihnen von den USA durch diesen Krieg verwehrt werden soll, was letztlich der tiefere Grund für ihre Ablehnung dieses speziellen Krieges zu diesem Zeitpunkt war. Andererseits jedoch ist es offensichtlich, dass sich diese Staaten, die Bundesrepublik und Frankreich an der Spitze, darauf vorbereiten, sich unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe und des Wiederaufbaus am Aas des Iraks mit gütlich zu tun, nachdem dieser von den anglo-amerikanischen Koalitionstruppen erlegt worden ist. Dadurch, dass dieses imperialistische Vorhaben unter dem Mantel der ‚Völkergemeinschaft’ in Form der UNO stattfinden soll, wird es nicht weniger imperialistisch. Dieser imperialistische Charakter des Projekt soll dadurch vielmehr vor der Öffentlichkeit verschleiert werden. Um aber dem Krieg wirklich den Boden zu entziehen, ist es im Gegenteil notwendig, die Brutalität imperialistischer Herrschaftsausübung der unter ihr leidenden arbeitenden Bevölkerung außerhalb und innerhalb der imperialistischen Staaten ganz ungeschminkt vor Augen zu führen. Das gilt insbesondere für die Tatsache, dass der Krieg organisch zum Kapitalismus und folglich zum Imperialismus gehört.

Statt auf die UNO zu orientieren, tut es insbesondere in der jetzigen Phase, da die mit den USA konkurrierenden herrschenden Klassen anderer imperialistischer Länder auf Grund ihrer militärischen Schwäche eben diese Organisation anrufen, not innerhalb und außerhalb der Friedensbewegung den Charakter der UNO zu entlarven. Theorie und Praxis zeigen, dass die UNO entweder eine Schwatzbude ist oder aber das Werkzeug des gemeinsamen Willens der kapitalistischen Großmächte, die als ständige Mitglieder im Sicherheitsrat zusammensitzen und jede ihnen nicht genehme Maßnahme der UNO durch ein Veto blockieren können. Auf diese Weise ist es etwa den israelischen gelungen, alle einschlägigen Resolutionen der UN-Vollversammlung, die sie z.B. zum Rückzug aus den 1967 zusätzlich besetzten arabischen Gebieten aufforderten, zu ignorieren, dass die USA jegliche Maßnahme zur Durchsetzung der Resolutionen durch ihr Veto blockieren konnten. Es gibt nicht einen Fall, in dem die UNO irgendetwas durchsetzen konnte, was zu verhindern, einem der ständigen Sicherheitsratsmitglieder wichtig war. Die UNO ist keineswegs die Völkergemeinschaft. Vielmehr ist sie die Gemeinschaft aller Staaten der Welt und das heißt der jeweils herrschenden Klassen und ihrer Regierungen. Der überwiegende Teil von ihnen hat keine auch nur im bürgerlichen Sinn demokratische Legitimation oder reale Unabhängigkeit gegenüber den imperialistischen Staaten. Mit anderen Worten: Die Salomonen oder auch Argentinien, Nigeria oder Myanmar haben zwar unabhängig von ihrer Bevölkerungszahl in der Vollversammlung die gleiche Stimme wie die USA oder Frankreich, die VR China oder England und Russland, aber irgendein Gewicht in der realen Welt haben sie nicht. Nur gefährliche Träumer können glauben, dass es möglich sei, die Machtstrukturen in der vom Imperialismus beherrschten Welt aufrechtzuerhalten und an dieser Irrelevanz der Mehrheit der UNO-Mitglieder durch eine Reform der UNO etwas zu verändern. Die herrschenden Staaten werden eher aus der UNO austreten als die Durchsetzung ihrer Interessen von ihren Neokolonien weltweit einschränken lassen.

Im Kern gilt für die UNO das, was bereits Lenin und Trotzki über deren Vorgängerorganisation, den Völkerbund gesagt haben. In seinem ursprünglichen Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage für den zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale hat Lenin formuliert: „Der imperialistische Krieg 1914-1918 hat die Verlogenheit der bürgerlich-demokratischen Phrasen vor allen Nationen und vor den unterdrückten Klassen der ganzen Welt besonders klar aufgedeckt, indem er praktisch vor Augen führte, dass der Versailler Vertrag der vielgepriesenen «westlichen Demokratien» eine nochbrutalere und niederträchtigere Vergewaltigung der schwachen Nationen ist als der Brest-Litowsker Vertrag der deutschen Junker und des Kaisers. Der Völkerbund und die ganze Nachkriegspolitik der Entente enthüllen diese Wahrheit noch deutlicher und schärfer, wodurch sie überall den revolutionären Kampf sowohl sowohl des Proletariats der fortschrittlichen Länder als auch aller werktätigen Massen der kolonialen und abhängigen Länder stärken und den Zusammenbruch der kleinbürgerlich-nationalen Illusionen beschleunigen, dass ein friedliches Zusammenleben und eine Gleichheit der Nationen unter dem Kapitalismus möglich seien.“ Die daraus für die Kommunistischen Parteien, so sie diesen Namen verdienen wollten, zu ziehende Schlussfolgerung wurde in der sechsten Aufnahmebedingung für die KI so formuliert: „Jede Partei, die der III. Internationale angehören will, ist verpflichtet, nicht nur den offenen Sozialpatriotismus, sondern auch die Falschheit und Heuchelei des Sozialpazifismus zu entlarven: den Arbeitern systematisch vor Augen zu führen, dass ohne revolutionären Sturz des Kapitalismus keinerlei internationales Schiedsgericht, keinerlei Gerede von Einschränkungen der Kriegsrüstung, keinerlei «demokratische» Reorganisation des Völkerbundes imstande sein wird, die Menschheit vor neuen imperialistischen Kriegen zu bewahren.“ Auch der Beitritt der Sowjetunion in diese von Lenin als «Diebesküche» und «Räuberhöhle» bezeichnete Organisation im Jahr 1934 hat bekanntlich weder verhindert, dass bereits fünf Jahre später der nächste innerimperialistische Krieg ausbrach und danach eine Vielzahl von Kolonialkriegen stattfand. Trotzki, der die Aufnahme der Stalin’schen Sowjetunion in den Völkerbund mit deren internationaler Schwächung als revolutionärem Staat erklärt, bezeichnet die Vorstellung vom Völkerbund als Instrument der Friedenssicherung als illusorisch, denn: „Der Völkerbund zum Schutz des Status quo ist keine Organisation des »Friedens«, sondern eine Organisation der Gewalt der imperialistischen Minderheit über die erdrückende Mehrheit der Menschheit. Diese »Ordnung« lässt sich nur mit Hilfe ständiger Kriege, großer wie kleiner, aufrechterhalten, heute in Kolonien, morgen zwischen den Mutterländern. Die imperialistische Treue zum Status quo ist immer eine bedingte, zeitweilige und begrenzte... Das Programm der »Abrüstung« bei Erhaltung der imperialistischen Gegensätze ist die schädlichste aller Fiktionen... Die Imperialisten führen nicht Krieg, weil es Waffen gibt, sondern umgekehrt, sie schmieden Waffen, wenn es für sie erforderlich wird, Krieg zu führen.... Der Gedanke der sogenannten »allmählichen Abrüstung« ist nur der Versuch, in Friedenszeiten die über das Maß der Kräfte gehenden Militärausgaben herabzuschrauben: es ist eine Frage der Kasse und nicht der Friedensliebe.“

Die einzige Abrüstung, die der heutige Völkerbund, die UNO, zustande bekommen hat, ist die des Iraks. Im Zusammenhang damit sind nicht nur eine Million irakischer Zivilisten, die Hälfte davon Kinder, zu Tode gekommen. Diese Zwangsentwaffnung des Iraks hat die imperialistischen Aggressoren auch sicher gemacht, relativ geringe eigene Verluste zu riskieren, und damit den jetzigen Krieg gefördert.

Die Friedensbewegung konnte erwartungsgemäß diesen Krieg nicht verhindern. Sie sollte aber darauf verzichten, weitere Kriege vorzubereiten, indem sie ihre Anhänger ideologisch in die Irre führt und gegenüber dem immer neue Kriege gebärenden herrschenden System zu entwaffnen.

3.4.03

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