Es ist Wahlkampf in Deutschland und damit Zeit, alle möglichen realen und Pseudoprobleme auf den Tisch zu bringen, auch solche, die zu anderen Zeiten in der öffentlichen Diskussion eher ein Schattendasein fristen. Dazu gehört die Diskussion um die vom damaligen tschechoslowakischen Ministerpräsidenten Edvard Beneš erlassenen und in der Folge als ‚Beneš-Dekrete' bezeichneten ‚Dekrete des Präsidenten der Republik vom 21.Juni 1945', die ihrerseits einen 10-Punkte Plan aus dem Jahr 1944 zur Grundlage hatten. Auf Grund dieser Beschlüsse von 1945 wurden bis Ende 1946 über 2,9 Millionen Deutsche aus der Tschechoslowakei, vor allem dem Sudetenland, und eine große Zahl von Ungarn »ausgesiedelt« und entschädigungslos enteignet. Sudetendeutschen Darstellungen zufolge wurden dabei mindestens 40.000 Deutsche ermordet. Demgegenüber korrigiert Eagle Glassheim, Assistant Professor of History an der US-amerikanischen Princeton University, in einem Interview mit der in New York erscheinenden Zeitung 'Aufbau' (18.4.02) diese Zahl nach unten, auf zwischen 18.000 und 30.000. Diese unter Berufung auf die Verbrechen des Faschismus im Sudentenland und im »Reichsprotektorat Böhmen und Mähren« zustande gekommenen Dekrete hatten jedoch keinen antifaschistischen, sondern einen rein nationalistischen Charakter. Es wurde eine Kollektivschuld konstruiert.
Die Tatsache, dass die vertriebenen Sudetendeutschen in Deutschland voll integriert wurden und sich bestenfalls durch ihre bei Landsmannschaftstreffen getragenen Trachten unterscheiden, bedeutet, dass die nationale Frage für sie de facto gelöst ist. Es bestehen für diejenigen, die selbst Opfer der Vertreibung und antideutschen Repressionen und Greueltaten waren, nur noch individuelle psychische Probleme. Für die Parteien und Gruppen des eher rechten Spektrums in Deutschland und Österreich geht es bestenfalls sekundär um irgendwelche Rechte eines Teils ihrer Klientel, wenn sie diese nunmehr über ein halbes Jahrhundert zurückliegende Frage nicht nur immer noch, sondern im Zusammenhang mit der Aufnahme der Tschechischen Republik in die EU verstärkt thematisieren. Die 'Linke' allerdings hat mit leider geringen Ausnahmen ebenso wie die tschechische Arbeiterklasse ein veritables Problem. In beiden Fällen ist die Verteidigung der Beneš-Dekrete nur auf der Basis einer offenen Geschichtsklitterung möglich, die im Fall der tschechischen Arbeiterklasse zu ihrer von allen bürgerlichen im Parlament vertretenen Parteien bis hin zur sogenannten 'Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens' auf nationalistischer Grundlage in die antigermanische Volksgemeinschaft integriert werden, während die 'Linke' in der BRD und in Österreich dadurch dem notwendigen Kampf gegen den nationalistischen Missbrauch dieser historischen Frage durch die eher konservative bis rechtpopulistische Fraktion der herrschenden Klasse Abbruch tut und sich gleichzeitig wieder einmal ins ideologische Schlepptau eben dieser Bourgeoisie begibt, indem sie ihre eigene Position blind gegenüber der historischen Wahrheit einfach negativ in Abhängigkeit von der Position des Klassenfeindes bestimmt.
Die Position der hiesigen Linken, die die Vertreibung der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg unterstützen, folgt keiner ernsthaften Überlegung, sondern einem quasi biologischen Reflex. Auf der einen Seite zeigt sie die fortgesetzte mentale Abhängigkeit von der Sowjetunion unter Stalin. Diese Abhängigkeit folgt einerseits dem allzu simplen Leitsatz "Der Feind meines Feindes ist mein Freund". Gleichzeitig ist sie aber auch durch die für sie generell typische Missachtung des Marx'schen Diktums gekennzeichnet, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter sein kann. Die hier angesprochene Linke ist nämlich ihrer nichtproletarischen Klassenlage entsprechend Anhänger eines etatistischen 'Sozialismus', der in der Stalin'schen UdSSR seine reinste Form gefunden hat und damit aufgehört hat, überhaupt Arbeiterstaat oder gar Sozialismus zu sein. In dieser antiproletarischen Sozialismuskonzeption sind sich die 'Antinationalen/Antideutschen' mit den von ihnen als 'Nationalbolschewisten' denunzierten Linken einig, die ehemals offene und nun meist immerhin noch verschämte Anhänger, wenn nicht Stalins persönlich, so doch des vo diesem hinterlassenen Erbes sind. Schließlich stammen die Führer der 'Antinationalen/Antideutschen' zu einem Großteil selbst aus dem Umfeld stalinistischer Organisationen. Die gleichen Kreise verwechseln denn auch die objektiv antifaschistische Auswirkung des Ergebnisses des 2. Weltkriegs mit den Zielen dieses Krieges seitens der bourgeoisen oder bürokratischen Herrschenden der Anti-Hitlerkoalition. Auf dieser Ebene nämlich war der 2. Weltkrieg nicht in erster Linie ein antifaschistischer, sondern ein weiterer imperialistischer Verteilungskrieg. Sein Ergebnis - die zwischen den Siegern ausgehandelte Aufteilung der Welt mit weitgehend garantierter Besitzstandswahrung - hatte deshalb keinerlei bis heute zu verteidigende höhere Weihen im Sinne der weltweiten Selbstbefreiung der werktätigen Massen. Speziell für die deutsche Linke gilt, dass das Ausmaß ihrer emotionalen Abhängigkeit vom großen Bruder in Moskau ihrer gesellschaftlichen Isolation im eigenen Land entsprach. Neben diesen negativen Prägungen darf natürlich nicht das zunächst einmal anerkennenswerte Motiv der Solidarität mit den - in diesem Fall vermeintlich - ersten Opfern übersehen werden, der von der deutschen Bourgeoisie des faschistischen Deutschen Reichs unterjochten und nun von Teilen der gleichen deutschen Bourgeoisie erneut in die Ecke getrieben Tschechen. Diese Solidarität aber ist hilflos, wenn sie auf falschen Grundlagen aufbaut.
Ein Beispiel für diese Art von Geschichtsklitterung ist die Serie, die Werner Röhr, hier den tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman zitierend, unter dem Titel 'Hitlers Fünfte Kolonne' in der 'jungen Welt' (26.-28./29.3.02) veröffentlicht hat. Die Geschichtsklitterung besteht zunächst einmal darin, dass Röhr die Geschichte des deutsch-tschechischen Konfliktes mehr oder weniger mit dem Jahr 1938 beginnen lässt, mit dem 'Anschluß' des Sudetenlandes an das 'Reich' also, dem schließlich im März des folgenden Jahres die Besetzung der restlichen tschechoslowakischen Republik, die Umwandlung des tschechischen Teils in das 'Reichsprotektorat Böhmen und Mären' und die Installierung einer profaschistischen Regierung unter Tiso in der formal unabhängigen Slowakei folgten. Der ehemalige PDS-Bundestagsabgeordnete Gerhard Zwerenz geht in der Zeitschrift 'Ossietzky' (3/2002) immerhin bis zum Jahr 1933 zurück, um daran zu erinnern, dass Prag einer großen Zahl deutscher Antifaschisten damals Zuflucht geboten hatte und man deshalb der tschechischen Bourgeoisie dankbar zu sein habe statt sich über das Los jener 'fünften Kolonne', der Sudetendeutschen, zu beschweren. Als Antwort auf die hier gestellte Frage genügt aber auch das nicht.
Das nationale Problem der seit rund 1.000 Jahren auf dem Boden der späteren Tschechoslowakei ansässigen Deutschen war bevor es Ergebnis der Nazi-Besatzung und des Zweiten Weltkriegs wurde, das Ergebnis des Ersten Weltkriegs. Die Niederlage der Achsenmächte, unter ihnen Österreich-Ungarn, ermöglichte es der tschechoslowakischen Nationalbewegung, auf einem Teil der kuk-Monarchie ihren Nationalstaat zu gründen. Dessen Grenzen jedoch schlossen die deutsche Bevölkerung Böhmen und Mährens und insbesondere des Sudentenlandes ein, und zwar gegen deren erklärten Willen. Bereits der Name des neuen Staates machte deutlich, dass er als ein slawischer Staat verstanden wurde, in dem den zahlenmäßig den Deutschen (3,3 Mio) unterlegenen Slowaken (2,3 Mio) eine größere Rolle eingeräumt werden sollte als den Deutschen, die 23,4% der Gesamtbevölkerung stellten.
Die Inkorporation der mehrheitlich - bis zu 95% - von Deutschen besiedelten Gebiete in die CSR geschah gegen den Willen der Betroffen und entsprechend zum Teil unter Einsatz offener Gewalt. So proklamierten die Abgeordneten aus Deutsch-Böhmen ihr Gebiet am 29.10.1918 als 'eigenberechtigte Provinz des Staates Deutsch-Österreich' und setzten eine Landesregierung ein, ein Beispiel, dem andere sudetendeutsche Landesteile folgten. Am 14.Dezember jedoch marschierten bereits tschechische Truppen in Reichenberg, die größte Stadt Deutsch-Böhmens, ein. Am 4.3. des folgenden Jahres kam es dann in mehreren Städten zum Einsatz tschechischer Milizionäre gegen deutschsprachige Demonstranten, die friedlich für den Verbleib bei Österreich eintraten. Die schwersten Zwischenfälle fanden in Kaaden, Sternberg, Karlsbad und Eger statt. Dabei gab es auf Seiten der Demonstranten mindestens 54 Tote und 107 Verletzte. Am 10.9.1919 wurden dann im Frieden von St. Germain-en-Laye die Grenzen der Tschechoslowakischen Republik völkerrechtlich sanktioniert, obgleich sie dem Selbstbestimmungsrecht der Nationen widersprachen. Eine Volksabstimmung wurde von den Alliierten abgelehnt und von den Tschechen gewaltsam verhindert.
Dem auf diese Weise annektierten Teil des ehemaligen Deutsch-Österreichs wurde immerhin eine Autonomie in Aussicht gestellt. Der damalige Präsident des neuen Staates, T.G.Masaryk, sagte dazu: "...unsere historischen Grenzen stimmen ziemlich mit den ethnographischen überein. Nur die Nord- und Westränder des böhmischen Vierecks haben infolge der starken Einwanderung während des letzten Jahrhunderts eine deutsche Mehrheit. Für die Ausländer [sic!] wird man vielleicht einen gewissen modus vivendi schaffen, und wenn sie sich als loyale Bürger erweisen, ist es sogar möglich, dass ihnen unser Parlament irgendeine Autonomie zubilligt, zumindest auf dem Gebiet des öffentlichen Unterrichts." (Le Matin, Paris, 10.1.1919).
In der Tat gab es in der Folgezeit im Sudetenland deutsche Schulen und Kulturstätten sowie Kommunalverwaltungen. Allerdings war der Versuch, diese Rechte schrittweise auszuhöhlen, unverkennbar. So berichtet beispielsweise R.Kuba in einem Leserbrief an das 'Neues Deutschland' (26.3.02): "Ich erinnere mich aber auch an den Unmut in meinem Geburtsort mit 3.000 Einwohnern, darunter 200 Tschechen, als für sechs zugewanderte tschechische Kolonistenfamilien eine eigene Schule gebaut wurde, während für die Sanierung der deutschen Schule das Geld fehlte. Einer meiner Onkel, der bei der Bahn beschäftigt war, wurde mit Anfang 40 pensioniert, um die Stelle für einen Tschechen freizumachen." In einem weiteren Leserbrief im ND v. 26.3. berichtet ein Dr. Reifenberger, Sohn eines Ortsvorsitzenden der KPC und Kreisobmanns in Tachau, dass bereits 1919 an die tschechische Minderheit in den deutschen Gebieten gerichtete Flugblätter kursiert seien mit der Aufforderung, nur tschechische Waren zu kaufen und tschechische Ärzte etc. zu konsultieren.
Nicht nur die Berichte von Sudetendeutschen deuten darauf hin, dass es sich hier keineswegs um Ausnahmefälle handelt. Diese Politik war in der Tat die logische Folge der Grundhaltung des verspäteten bürgerlichen Nationalismus der tschechischen Seite. Masaryk - einer der Gründer der panslawistischen 'Jungtschechen' in der kuk-Monarchie - hatte schließlich in der o.a. Ausgabe des 'Matin' seine Ausführungen wie folgt abgeschlossen: "Im übrigen bin ich davon überzeugt, dass eine sehr rasche Entgermanisierung dieser Gebiete vor sich gehen wird." Unter diesen Umständen scheint die von Dr. Reifenberger zitierte Forderung des KP-Parlamentsabgeordneten und Chefredakteur des 'Rude Pravo', Vaclav Kopecky, auf dem 6. Parteitag der KPC im Jahr 1931 für eine kommunistische Partei nur konsequent gewesen zu sein. Er verlangte "die Räumung der Slowakei, der deutschen, der magyarischen und ukrainischen Bezirke von den Organen der tschechischen Okkupationsmacht und die Gewährung des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen bis zur Lostrennung vom Staat."
Wenn im übrigen E.Beneš, bereits zur Zeit der Staatsgründung Ministerpräsident, die Vertreibung der Deutschen und Ungarn - d.h. der nicht-slawischen Bevölkerungsgruppen - mit deren 'Verrat' an der Tschechoslowakei begründete, dann 'übersah' er dabei die Tatsache, dass auch die tschechische und slowakische Nationalbewegung 'Verrat' geübt hatte, und zwar am Staat Österreich-Ungarn.
Ungeachtet dieser Vorgeschichte erklärte die 'Sudetendeutsche Heimatfront', d.h. die gemeinhin und so auch von W. Röhr als 'faschistisch' bezeichnete deutschnationale Organisation der Sudetendeutschen unter Führung Konrad Henleins bei ihrer Gründung, voll auf dem Boden des neuen Staates zu stehen und eine Lösung der Probleme auf innenpolitischem Wege zu erstreben. Die 1935 in 'Sudetendeutsche Partei' umbenannte Heimatfront hatte zwar einen starken faschistischen Flügel, Henlein selbst jedoch stand vor dem 'Anschluß' dem eben diese ursprüngliche 'aktivistische' Position vertretenden 'Kameradschaftsbund' nahe. Noch 1938 forderte Henlein, der ein Jahr nach der Machtübertragung an Hitler im Deutschen Reich erklärt hatte, dass seine Partei ein grundsätzlicher Unterschied vom Nationalsozialismus - die Verteidigung der Freiheit des Individuums nämlich - trenne, eine Autonomie nach schweizer Vorbild. Es bleibt die Frage, wie es dazu gekommen ist, dass die Sudetendeutschen spätestens nach dem - im übrigen von ihnen nie durch ein Referendum.
Im Hinblick auf die relevanten Fakten stützen wir uns vor allem auf das Buch des Marxisten Ygael Gluckstein (Tony Cliff) 'Stalin's Satellites in Europe' (Birkenhead 1952). Die im Sudetenland lebenden Deutschen hatten den höchsten Anteil an Arbeitern in der Tschechoslowakischen Republik und eine lange sozialistische Tradition. Die Sozialdemokratische und die Kommunistische Partei erreichten hier 1920 zusammen fast 50% der Stimmen. Die Wirtschaftskrise 1929, die besonders die hier zentrierte Leichtindustrie traf, und die antideutsche Diskriminierung durch die tschechische Bourgeoisie führte besonders hier zu einer hohen Arbeitslosigkeit, während gleichzeitig nach 1933 'im Reich' Vollbeschäftigung herrschte - aus welchen Gründen auch immer. Auf dieser Basis erreichte Henlein 1935 fast 63% der Stimmen, die SP 15% und die KP 6%. Bis zum Schluß stimmten 400.000 Sudetendeutsche gegen Henlein. Nach dem Münchener Abkommen, das das Sudetenland an das Deutsche Reich gab, mußten die Aktivsten von ihnen in die Tschechoslowakei fliehen, die allerdings 20.000 von diesen wieder an die Gestapo auslieferte und 10.000 anderen am Betreten des Landes hinderte. 40.000 Sudetendeutsche kamen in Nazi-KZs, wo etwa 20.000 starben. Henleins Erfolg basierte in erster Linie auf sozialer Demagogie. 1943 sagte der sudetendeutsche Kommunist Bruno Köhler über 'Radio Moskau': "Hitler kam in das Sudetenland, und wird auch wieder gehen. Aber das Sudetenland und die Sudetendeutschen werden bleiben." Zu den Gründen für diese Einschätzung gehört wohl der, dass etwa der spätere tschechoslowakische Minister Ripkas in seinem Buch 'Munich Before and After' und KPC-Führer Klement Gottwald in der 'Pravda' v.26.10.1943 übereinstimmend die Auffassung vertraten, dass die Mehrzahl der Sudetendeutschen keineswegs mit dem Faschismus sympathisierten.
Zwei Jahre später jedoch sagte Gottwald: "Die neue Republik wird ein slawischer Staat sein, eine Republik der Tschechen und der Slowaken." Der Informationsminister Vaclav Kopecky sagte am 25.5.45 in 'Radio Prag': "Die tschechoslowakische Armee ist schon bereit für die Säuberung der Grenzgebiete der Republik von Deutschen und Ungarn und für die Rückgabe der Reichtümer dieser slawischen Gebiete in die Hände der Tschechen und Slowaken." In Liberec (Reichenberg) sagte der gleiche KP-Minister: "...Wir werden nicht nur die Stadt, sondern die ganze Gegend entgermanisieren... damit der Siegergeist des Slawentums von den Grenzen des Landes bis hinein ins Innere herrscht." Keine Rede also von Antifaschismus, sondern von völkischem Chauvinismus. Als Mitglieder der KP in Bodenbach eine zweisprachige Tageszeitung 'Rudy Prapor - Rote Fahne' zu publizieren begannen, wurde diese sofort vom stalinistischen Innenminister Vaclav Nosek wegen des deutschen Teils sofort verboten. Gluckstein faßt zusammen: "Die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei kann nicht als Ergebnis des spontanen Volkshasses erklärt werden. Die Mehrheit der Slowaken, die keine Teutonen sind, sondern Slawen, unterstützte Tiso, den Marionettenherrscher der Nazis in der Slowakei, nicht weniger bereitwillig als die Mehrheit der Sudeten-deutschen Henlein. Die Zahl der slowakischen politischen Gefangenen, die in Nazi-KZs starben, war kleiner als die der Sudetendeutschen, und es gab auch unter den Tschechen relativ weniger Opfer." Das Projekt der bereits bei der Staatsgründung ins Auge gefasste 'Entgermanisierung' erhielt durch die deutsche Besetzung und die Unterstützung der Mehrzahl der Sudetendeutschen für Henleins Partei, die nach dem 'Anschluß' eng mit dem Hitler-Regime kollaborierte - wobei die Frage, wie weit das ihrer eigentlichen Neigung entsprach für diese Zeit angesichts des diktatorischen Charakters dieses Regimes sekundär ist - scheinbar größere Legitimität. Das Wüten des Faschismus war aber zweifellos nicht der wirkliche Grund.
Zu den Gründen für die staatlichen Vertreibungsmaßnahmen gegen die deutsche Bevölkerung gehörte der gemeinsame Versuch der tschechoslowakischen Bourgeoisie und Stalinisten, das erwachende revolutionäre Bewußtsein der Volksmassen und insbesondere der Arbeiterklasse durch Anfachung des Chauvinismus zu neutralisieren und gleichzeitig den größten Teil der Industriebetriebe, die sich im Besitz von Deutschen befanden, zu verstaatlichen und damit der stalinistischen Bürokratie eine ökonomische Basis zu schaffen. Für Stalins UdSSR ging es darüber hinaus auch darum, einen möglichst stabilen Puffergürtel gegenüber den ehemaligen imperialistischen Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition zu schaffen.
Die nationalistische Kollektivschuld-These diente als Begründung für Taten, die in Wirklichkeit ganz anderen Ursprung hatten. Diese These ist natürlich für Antinationalisten und das heißt für Marxisten unhaltbar, und das nicht nur, weil sie politisch den Interessen der Herrschenden an nationaler Spaltung der weltweiten Arbeiterklasse dient, sondern in erster Linie, weil sie sachlich falsch ist.
Es ist, um beim deutschen Beispiel zu bleiben, eine offensichtliche Tatsache, daß keineswegs alle deutschen Opfer der Vertreibung auch Täter der faschistischen Verbrechen waren. Dagegen mag man etwa Stefan Hermlin anführen, der von Millionen Deutschen spricht, die nicht mordeten und folterten, aber die Mörder und Folterer duldeten. Wenn aber bereits die Duldung - oder genauer gesagt das Nicht-Widerstandleisten - ausreicht, um einen zum Täter zu machen, dann ist weltweit die Zahl der Menschen, die nicht Täter bei irgendeinem im Namen ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Gruppe begangenen Verbrechen waren, überaus gering. In der Tat könnte man beispielsweise fragen, ob denn nicht die Polen, Russen, Ukrainer oder Balten, die keinen Widerstand gegen die in ihren Ländern endemischen antijüdischen Pogrome lange vor der Nazi-Zeit geleistet haben, ihrerseits 'Täter' waren und deshalb keine Opfer der ebenfalls antisemitischen Nazis sein konnten. Es liegt auf der Hand, dass das Unsinn ist.
Wir wundern uns zu sehen, daß ein Großteil der die moralisch so bewegten deutschen 'Linken' sich offenbar überhaupt nicht vorstellen kann, was es für Menschen - und insbesondere für solche ohne eine klare ideologische und organisatorische Alternative - bedeutet, in einer Diktatur Widerstand leisten zu sollen. Das wundert uns insbesondere, da doch die Beispiele der mangelnden Zivilcourage innerhalb der bürgerlichen Demokratien und sogar innerhalb linker Zusammenhänge Legion sind. Erklärungsbedürftig ist in Wirklichkeit leider nicht, wieso die Mehrheit der deutschen Bevölkerung zumindest nach 1933 gegen den Faschismus nicht den Mund aufgemacht hat, sondern wie es trotz der Zerschlagung ihrer Parteien und Gewerkschaften dennoch so viel - wenngleich bei weitem nicht genug - Widerstand (gerade auch von Seiten der Arbeiterklasse) gab. Das hat wohlbemerkt überhaupt nichts mit einer Beweihräucherung der Arbeiterklasse zu tun. In nichtrevolutionären Zeiten ist auch das in der Arbeiterklasse vorherrschende Bewußtsein stets mehr oder weniger das der Herrschenden. Wäre das nicht so, dann wären die Herrschenden nicht länger an der Macht.
Wenn dem etwa entgegengehalten wird, daß die Nazis keine Diktatur über oder sogar gegen das Volk. errichtet hätten, ihr Regime ohne die aktive Unterstützung der Bevölkerung in der bekannten Form nicht möglich gewesen wäre und dabei als Beleg z.B. die weite Verbreitung von Denunziationen angeführt wird, dann wird zum einen übersehen, daß die Konsolidierung der Nazi-Herrschaft die terroristische Zerschlagung fast aller unabhängigen organisatorischen Strukturen der Bevölkerung zur Voraussetzung hatte. Insbesondere mußte die Arbeiterklasse, deren Organisationen die stärksten außerhalb der Sowjetunion waren, politisch atomisiert werden bevor eine 'Volksgemeinschaft' geschaffen werden konnte. Gleichzeitig ignoriert das die Tatsache, daß im Falle der hier gegebenen staatlichen Unterstützung nur eine deutliche Minderheit der Bevölkerung von Nöten war, um die erwähnte Überwachung und die übrigen Verbrechen des Regimes zu begehen. Ob der Rest sich diesen Verbrechen im Ernstfall verweigert hätte, bleibt völlig spekulativ.
Festzuhalten bleibt deshalb entgegen allen 'antinationalen' und faschistischen Mythen von der 'Volksgemeinschaft', daß 1. der Faschismus von der Bourgeoisie nicht hätte an die Macht gebracht werden müssen, wenn die 'Volksgemeinschaft' schon bestanden hätte, und daß 2. für das Ausmaß der möglichen aktiven Unterstützung oder auch nur wohlwollenden Duldung des NS-Regimes durch die deutsche Bevölkerung die Tatsache der Niederlage der Arbeiterklasse, der Diktatur und verschiedener ihrer Anfangserfolge nicht übersehen werden sollte. Wie groß die Unterstützung der Bevölkerung für die offenkundigen Verbrechen des Faschismus war, ist weder direkt aus den Wahlerfolgen der NSDAP, der geringen Zahl von SD-Beamten (es gab schließlich noch eine Reihe weiterer Repressionsorgane), noch etwa aus der Zahl der Nutznießer der 'Arisierung' jüdischen Eigentums zu entnehmen. Daraus ist bestenfalls zu entnehmen, daß die meisten Deutschen keine Helden und gegebenenfalls eigen-süchtige, autoritätshörige Wichte waren, wie das außer in revolutionären Zeiten mehr oder weniger für die Bevölkerung aller Länder gilt.
So und so können die politische Optionen der Betroffenen nicht die Vertreibung einer ganzen nationalen Gruppe von ihrem Boden rechtfertigen. Daß einer der lautstärksten Befürworter solcher chauvinistische Verbrechen, der sozialdemokratische Ministerpräsident der CSR, Milos Zeman, sich gegenüber der israelischen Zeitung 'Haaretz' im Februar 2002 für die Ausweisung der Palästinenser aus den 1967 besetzten Gebieten aussprach, ist dann nur noch logisch.