Zwanzig Jahre LRP
von Sy Landy
1976 gründete eine kleine Gruppe von Genossen und Genossinnen die "Liga für die Revolutionäre Partei" (LRP). Es ist kein Geheimnis, daß die letzten zwanzig Jahre für alle, die sich Kommunisten nennen, schwere Zeiten waren. Heute blicken wir jedoch mit gewaltigem Stolz auf unsere Errungenschaften zurück. Und vorallem erwarten wir die Zukunft mit noch größerer Zuversicht als seinerzeit.
Jim Cannon, der Führer der ursprünglichen Trotzkisten der USA, sprach von den frühen Zeiten, als sie durch die Stärke der Kommunistischen Partei, die sie gerade auf Stalins Befehl ausgeschlossen hatte, fast völlig isoliert waren. Er sprach von dieser Periode als den "Hundejahren". Demgegenüber sind die "Hundejahre" für die LRP, die Trotzkisten von heute, schon vorüber. Unsere Organisation wurde zum Beginn eines historischen Niedergangs des Klassenkampfes in den USA geboren, in einer Zeit, in der reformistische Führer die Massen fest im Griff hatten und sie in zynische Passivität hinein prügelten.
Während wir sowohl politische Fehler als auch versäumte Gelegenheiten eingestanden haben, sind diese alles in allem nur ein untergeordneter Grund für unsere Unfähigkeit, aus der Isolation auszubrechen. Die wirkliche Barriere war das Wesen der Periode, die wir erlebt haben. Die bedrückenden Umstände berühren uns noch immer, aber die Risse in der Mauer um uns herum fangen an, deutlich größer zu werden. Massenkämpfe zeigen sich schon am Horizont.
Unsere Geschichte einschätzen
Trotzki hat uns gelehrt, wenig Geduld mit jenen zu haben, die eine Organisation ausschließlich nach ihrer Größe beurteilen. Solche Leute, sagte er, hätten nur gewerkschaftliches Bewußtsein erlangt, kein revolutionäres. Die ausschlaggebende Frage für die Einschätzung einer Organisation ist die Kraft und Relevanz ihrer politischen Ideen. Wenn unsere Politik wirklich die wahren Interessen der Arbeiterklasse reflektiert und den Weg nach vorne weist, dann wird ihre Mitgliederzahl mit der nötigen Initiative und dem notwendigen Mut schon wachsen.
Die vergangenen zwanzig Jahre haben den Zusammenbruch von linken Organisationen gesehen, die viel größer und stärker als die LRP waren. Einige sind einfach eingegangen, andere haben organisatorisch als Hülsen überlebt, haben aber die Aspekte revolutionärer Politik, die sie einst antrieben, aufgegeben.
Zusätzlich zu neueren Genossen und Genossinen ist noch immer ein großer Prozentsatz der ursprünglichen Kader der LRP bei uns, auf jeden Fall im Vergleich zu anderen Gruppen. Linke, deren Maßstab zur Beurteilung reiner Aktivismus ist, tendieren dazu, auszubrennen und die Bewegung schon bald wieder zu verlassen. Wir haben einen Brückenkopf in den Industrie behalten, während viele andere ihren aufgegeben haben. Die Genossen haben durchgehalten, weil unsere politische Linie nicht nur immer wieder genaue Richtlinien zum Verständnis dessen bot, was in der Welt vorsichging, sondern weil sie so klar die Ideen des authentischen Marxismus waren.
Unser politisches Programm war stets völlig klar und ist es bis zu diesem Tag: die LRP steht für eine proletarische sozialistische Revolution. Wir sind kompromißlos in unsere rassenübergreifenden Position und unserem Internationalismus und machen den Kampf für die Neuschaffung der Vierten Internationale zu unserer wichtigsten Aufgabe. Wir haben diese lauten Apelle zum Zentrum unserer täglichen Arbeit gemacht und nicht zu den üblichen linken Freizeit-Beschwörungen.
Natürlich verlangt Kommunismus ein hohes Maß von Aktivität. Lehnstuhl-Theoretiker sind wertlos, weil der Marxismus seine Lektionen und die wirklichen Beweise für die Richtigkeit seiner Positionen nur in der Praxis lernt und findet; der ganze Grund für seine Existenz ist der, zu helfen, den real existierenden Klassenkampf zu führen. Die Fähigkeit der Partei, ihre Klasse zu führen, kann nur so entwickelt werden. Das erfordert die sorgfältigste Beachtung der Theorie und Analyse vor, während und nach der aktiven Intervention. Wie Lenin feststellte, kann es keine revolutionäre Praxis ohne revolutionäre Theorie geben.
Angesichts des Verlaufs des Klassenkampfes über die vergangenen zwei Jahrzehnte hin hatten wir nur begrenzte Möglichkeiten, uns an Streiks, Massendemonstrationen und anderen Aktionen der Arbeiterklasse zu beteiligen; aber wir haben versucht, jede von ihnen zu nutzen. Unsere Gewerkschaftsarbeit war auf eine Handvoll Gewerkschaften beschränkt; aber in diesen Gewerkschaften haben unsere Unterstützer eine lange Bilanz offener revolutionärer Arbeit gegen die Bosse und die Bürokratie. Unsere Bemühungen, dafür zu kämpfen, Bewegungen von Arbeiterklasse-Studenten eine Richtung zu geben, sind wohlbekannt, aber ebenfalls auf ein paar Orte beschränkt. Da wir wissen, daß der Kapitalismus eine weitere Generation von schwarzen, latino, Immigranten- und weiblichen Arbeitern lehrt, daß Unterdrückung und Überausbeutung seine täglichen Waffen sind, hat sich die LRP in den Kampf gegen Rassismus, Chauvinismus und Sexismus gestürzt. Wir sind nicht nur auf die Menge der Arbeit stolz, die wir angesichts unserer kleinen Zahl getan haben, sondern auch auf ihre politische Qualität - und darauf, wie viel wir andere gelehrt und selbst aus diesen Erfahrungen gelernt haben.
Unsere Ursprünge
1975-6 hat die "Revolutionary Socialist League" ihre politische Minderheit, die "Revolutionary Party Tendency" wegen ihrer Bemühungen, die RSL auf revolutionärem Kurz zu halten, ausgeschlossen. Innerhalb der RSL waren wir einem kontinuierlichen antidemokratischen Angriff ausgesetzt, der politische Argumente durch Lügen und organisatorische Einschränkungen ersetzte. Die Zentralkomitee-Mehrheit verbot nicht nur allen Mitgliedern, unser Hauptdokument zu lesen, sondern befahl ganz plötzlich die Beendingung der politischen Debatte selbst. Nachdem sie eine permanent wechselnde Reihe von Vorwürfen erfunden hatte, warf sie zuerst unsere Führer und dann den Rest von uns raus.
Im Februar 1976 gründeten wir die LRP. Obwohl wir wußten, daß die grob bürokratische Art, in der unser Ausschluß durchgeführt worden war, Ausdruck der Tatsache war, daß die RSL sich nicht erfolgreich mit unseren politischen Positionen auseinandersetzen konnte, waren wir alles andere als froh. Im Gegenteil, es wäre nur fair, zu sagen, daß unsere Stimmung eine grimmiger Entschlossenheit war. Die Tatsache, daß die RSL den revolutionären Weg aufgegeben hatte, war eine tragische Niederlage. Der bizarre Charakter der Ausschlüsse, die diese Desertation und diese Niederlage signalisierten, stand im Kontrast zu dem Enthusiasmus, der die Gründung der RSL gekennzeichnet hatte.
Die RSL war 1973 aus einer Abspaltung von den "International Socialists" hervorgegangen. Die IS bestand damals sowohl aus linken Shachtmaniten als auch aus Anhängern von Tony Cliff, dem Führer der britischen IS (jetzt "Socialist Workers Party"). Die IS glaubte im Gegensatz zu den anderen politischen Gruppen in den Vereinigten Staaten und rund um die Welt, die das Erbe des Trotzkismus für sich beanspruchen, daß Rußland und der Rest der stalinistischen Staaten keine degenerierten und deformierten Arbeiterstaaten seien. ISler behaupteten entweder, daß diese Staaten eine neue "bürokratisch kollektivistische" Form von Gesellschaft seien, weder kapitalistisch noch sozialistisch, oder vertraten die sehr ähnliche Idee, daß es sich hier um eine völlig neue Stufe in der Entwicklung des Kapitalismus handele. Beide betrachteten die stalinistischen Staaten als reaktionär; ihr System werde aber den traditionellen Kapitalismus ersetzen.
Mit dem Abflauen der Studentenbewegung der 60er Jahre hatte die IS sich auf die Arbeiterklasse gestürzt und eine beachtenswerte Präsenz in einigen größeren Gewerkschaften geschaffen. Deshalb war sie sehr stark von den enormen Explosionen der Arbeiterklasse Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre betroffen. Im Gefolge des französischen Generalstreiks von 1968 kam es rund um die Welt in einem Land nach dem anderen zu massiven proletarischen Erhebungen. In den USA verbreiteten sich die Aufstände von einem Ghetto zum andere, und es brachen überall im Land spontane Streiks von wachsender Intensität aus. Ein Nebeneffekt war die Spltung der IS 1973, aus der die RSL hervorging, die nahezu die Hälfte der Mitglieder mitnahm.
Gegen die Basistümelei
Im Kampf gegen den rechten Flügel der IS sagten wir voraus, daß ihre Bemühungen um die Schaffung von "Basis-Gruppen" in den Gewerkschaften, in denen revolutionäre Politik nie propagiert werden würde, die IS unvermeidlich dazu führen werde, sich an leicht linke Bürokraten anzulehnen. Heute hat die "Solidarity"-Gruppe, die aus der alten IS hervorgegangen ist, ganz offen sogar jeden Anspruch auf Leninismus aufgegeben und fühlt sich in der Gesäßtasche solcher Leute wie Ron Carey von den Teamsters und Jerry Tucker von den Autoworkers wohl. Sie haben sogar die Klassenlinie überschritten, um die Kandidatur bürgerlicher Reformer wie Ralph Nader als US-Präsident zu unterstützen.
Die RSL brachte bei ihrer Entstehung gewaltige Energie mit. Hier, so dachten wir, wird es endlich einmal eine Organisation geben, die für eine offen revolutionäre Alternative zu den Bürokraten eintritt, eine Gruppe, die sich auf den Wiederaufbau der revolutionären Partei in den USA verpflichtet hat und auf die Neuschaffung einer wahren trotzkistischen Vierten Internationale weltweit. Im Gegensatz zum Strandgut der zentristischen radikalen Linken kämpfte die RSL für Marxens Idee, daß die Arbeiterklasse selbst revolutionäres Bewußtsein erreichen, ihre eigene Partei aufbauen und sich und die ganze Welt vom Kapitalismus befreien könne. Authentisch kommunistisches Bewußtsein sei kein Geschenk wohlmeinender Retter.
Folglich wiesen wir die zynischen Ansichten der IS über das stalinistische Rußland zurück, die beide ungeachtet aller Rhetorik die Arbeiterklasse als das revolutionäre Subjekt zur Untergrabung des Systems fallenlassen. In der RSL fingen wir an, die Theorie vom Stalinismus als "staatifiziertem Kapitalismus" zu entwickeln. Wir wiesen die Theorien der Mainstream-Pseudotrotzkisten vom degenerierten und vom deformierten Arbeiterstaat zurück. Welche theoretischen Fehler Trotzki in seiner Analyse der UdSSR in den späten 30er Jahren auch gemacht hat, so glaubte er doch niemals, daß der konterrevolutionäre, antiproletarische Stalinismus die sozialistische Revolution machen und Arbeiterstaaten aufbauen könne - die Position, die die Pseudotrotzkisten nach dem 2. Weltkrieg einnahmen, nachdem sie sich Gedanken über die Ausbreitung des Stalinismus in Europa und Teilen Asiens gemacht hatten. Es ist kein Zufall, daß heute so viele dieser Epigonen sich in der "Solidarity"-Gruppe freundschaftlich mit früheren ISlern zusammenfinden. In den frühen 70ern wurde die tödliche Krise des Kapitalismus in dramatischer Art und Weise wieder sichtbar. Die Bourgeoisie begann ihre Offensive gegen alle Errungenschaften der Arbeiterklasse und der ehemaligen Kolonialvölker rund um die Welt. In den USA traf die Wirtschaftsrezession von 1973-75 die Arbeiter hart, und die Arbeiterbürokraten konnten erfolgreich Streiks isolieren und die Arbeiter auf die Demokraten und auf parlamentarische Nicht-Antworten hin desorientieren. So wurden die Arbeiterklasse und die unterdrückten Minderheiten für den massiven Rückzug angesichts des kapitalistischen Angriffs bereitgemacht, der immer noch andauert.
Diese Eindämmung des Klassenkampfes hatte Auswirkungen auf die radikale Linke und trieb viele Gruppen nach rechts. Der Zynismus, vorallem betreffs der Rolle des Proletariats, wurde immer tiefer. In der RSL erklärte die Führung, daß die Arbeiterkämpfe in den nächsten Jahren auf "gewerkschaftliche und demokratische Forderungen" beschränkt bleiben würden. Das war nicht einfach eine Vorhersage, sondern eine Ankündigung, daß die RSL aufhören werde, die Notwendigkeit der Revolution als Ziel der Klasse zu verkünden, und sich stattdessen einer Reform-Perspektive anpassen werde.
Gegen die "Arbeiterpartei"tümelei
Nicht zufällig bildete die RSL ihre Position heraus, indem sie zur Schaffung einer "Arbeiterpartei" (Labor Party) in den USA aufrief und sich damit in einer Parodie auf die von Trotzki Ende der 30er Jahren eingenommene Position dem Rest des pseudotrotzkistischen Milieus anschloß. In unserem Fraktionskampf wiesen wir darauf hin, daß Trotzki die Idee einer solchen Partei gegenüber einer militanten Arbeiterklasse vorgebracht hatte, die soeben die Industriegewerkschaften der CIO geschaffen und deshalb angesichts eines Engpasses ihren Kampf auf die politische Arena ausweiten mußte. Diesen Millionen von kämpfenden Arbeitern gegenübertretend war es unmöglich, sektiererisch zu sein und nur zu sagen "Schließt Euch uns, der kleinen trotzkistischen Partei, an" - diese Arbeiter wollten eine Partei, die die enorme Kraft widerspiegelte, die sie in ihrem Massenkampf gezeigt hatten. Er argumentierte, daß wir ebenso wie sie eine unabhängige Arbeitermassenpartei wollen und deshalb zu ihr aufrufen.
Weil wir aber keine reformistische Partei wollen, propagieren wir unser Übergangsprogramm klassenweiter Politik, die notwendigerweise auf die Revolution hindeutet aber auch den Interessen der Arbeiter entspricht, die glauben, das diese Politik durch Reformen durchgeführt werden könne. Seite an Seite mit der Masse der Arbeiter kämpfend und die Lehren aus diesen Kämpfen diskutierend könnten wir sie für die Idee einer revolutionären Partei gewinnen, die wir stets offen vertreten. Für Trotzki war die Forderung nach der Arbeiterpartei eine Taktik, die nur unter bestimmten Umständen anwendbar war. Für die RSL und den Rest hingegen ist sie zu einer permanenten Strategie geworden, die für alle Situationen gut ist. Diese Forderung in einer Zeit zu erheben, wo sich die Arbeiterklasse auf dem Rückzug befand, konnte nur bedeuten, eine reformistische Partei oder ein Spielzeug für linke Bürokraten zu gründen. Die RSL hat die manipulative Stadien-Idee übernommen - heute eine reformistische Partei, die nicht durch die Massenaktion der Arbeiterklasse, sondern von den Bürokraten gegründet wird, morgen eine revolutionäre Partei. Bei diesem Schema wird es aber nie ein morgen geben. Der Reformismus ist den Bolschewiki zufolge eine konterrevolutionäre Falle und kein Schritt in Richtung auf die Revolution. So machte sich, wie wir deutlich machten, die RSL auf den Weg in Richtung auf die Kapitulation.
Die Vorhersagen, die wir vor 20 Jahren gemacht haben, haben sich mehr als bewahrheitet. Der Bankrott diesen Arbeiterpartei-Politik wurde durch den Gründungskongress der "Labor Party", über den wir in unserer letzten Ausgabe berichteten, in ein grelles Licht getaucht. Die RSL, die zur Zeit unseres Ausschlusses siebenmal so stark war wie wir, ist zerfallen und schließlich verschwunden. Die Zeit hat ihre Kader und ihre Politik geprüft und wie wir vorausgesagt hatten beide als korrumpiert befunden.
Internationalismus und "Interrassismus"
Die Anpassung der verschiedenen linken Gruppen an den Reformismus mittels der Basistümelei und der Arbeiterparteitümelei spiegelt die konservativen Vorurteile der privilegierten Mittelklasse und der oberen Schichten der Arbeiterklasse, der Arbeiteraristokratie, wider. Die LRP hat frühzeitig erkannt, daß eine gesunde revolutionäre Organisation besonderes Augenmerk den unterdrücktesten und ausgebeutetsten Schichten der Arbeiterklasse widmet. Die Lebensumstände dieser Schichten zeigen der ganzen Arbeiterklasse ihre Zukunft; daher werden die historischen Interessen der Arbeiterklasse von den unmittelbaren Interessen der Unterdrücktesten repräsentiert.
In den Vereinigten Staaten hat das bedeutet, der Unterdrückung schwarzer Menschen, die stets eine unverzichtbare Waffe des amerikanischen Kapitalismus gewesen ist, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Sie wurde zunehmend das Modell anderer herrschender Klassen überall auf der Welt, die versuchen, ihre eigene Arbeiterklassen zu spalten und zu schwächen.
Von Anfang an hat die LRP sich darauf konzentriert, ihre interrassische Strategie als wesentliche Begleitung zum marxistischen Internationalismus auszuarbeiten. Das Konzept des proletarischen Interrassismus wurde als Antwort auf die Ghetto-Aufstände der späten 60er und frühen 70er Jahre entwickelt. Diese Aufstände waren der Ursprung der wirklichen Verbesserungen, die Schwarze dem Kapitalismus abgerungen haben. Nicht nur haben die Arbeiter und Arbeitslosen aus den Innenstädten den US-Staat herausgefordert, sie haben auch Martin Luther Kings pazifistischen Integrationismus als eine Sackgasse bloßgestellt. Desgleichen standen ihre Aktionen in scharfem Gegensatz zur Kombination von militanter Rhetorik mit sozialer Passivität, wie sie für die "Nation of Islam" bezeichnend ist.
Der Kapitalismus verlangt in dieser Epoche die Überausbeutung unterdrückter Arbeiter; er kann weder farbenblinde Gleichberechtigung noch eine separate schwarze Nationalökonomie tolerieren. Der proletarische Interrassismus wurzelt in der Idee, daß wahre Befreiung und wirkliche Gleichheit nur durch die sozialistische Revolution erreicht werden können. Er vertritt das Recht von Schwarzen, ihre eigene unabhängigen Organisationen als ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur Wiedererschaffung einer interrassischen Vorhutpartei der Arbeiterklasse zu haben.
Stalinismus und Vorhersagen
Eine Partei, die den allgemeinen Verlauf der Ereignisse in der Welt nicht vorhersehen kann, ist keine marxistische Partei. Niemand kann mit genauer Zeitangabe jede Aufeinanderfolge aktueller Ereignisse vorhersagen. Die allgemeine Richtung zu sehen, in die die Gesellschaft geht, ist jedoch für Kommunisten ebenso notwendig wie möglich. Alle Individuen und alle Gruppen, gleich wie gut sie politisch bewaffnet sind, machen Fehler. Die entscheidende Frage ist die, wie gut sie aus ihren Fehlern lernen, indem sie sie permanent an der Realität testen und den Lauf der Ereignisse genauer einschätzen.
Wir kennen keine andere Gruppe, die sich selbst als marxistisch bezeichnet, die die Richtung, in die sich der Stalinismus entwickeln würde, voraussah. In den ersten Ausgaben dieser Zeitschrift stellten wir fest, daß die UdSSR, während sie militärisch stark war, wirtschaftlich schwach war; die stalinistischen Länder waren durch die Unfähigkeit des Systems, alle Errungenschaften zu zerstören, die die Arbeiterklasse in Folge der Oktoberrevolution gemacht hatte, gelähmt. Wir haben vorausgesagt, daß die zusammenbrechenden stalinistischen Ökonomien die traditionelleren kapitalistischen Formen wie Privatisierung und Markt übernehmen müßten, um ihre Ausbeutung der Arbeiter zu intensivieren. Wir haben auch gesagt, daß die angesichts der herrschenden Tendenzen zu Zentralisierung und Konzentrierung, die in allen Formen der kapitalistischen Gesellschaft wirken - vorallem in dieser Epoche - auf dem Weg der Dezentralisierung der Wirtschaft nur ein Stück voranschreiten könnten.
Auf internationaler Ebene war der Stalinismus trotz der offensichtlichen Feindseligkeiten für den westlichen Imperialismus weit mehr eine Stütze als ein ernsthafter wirtschaftlicher Rivale. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges schrieben wir, daß aller Wahrscheinlichkeit nach ein zukünftiger heißer Krieg zwischen den USA, Japan und Deutschland stattfinden und nicht auf einem Kampf zwischen den USA und der UdSSR beruhen werde.
Als wir diese Voraussagen machte, wurden wir von der Linken ausgelacht. Heute lacht keiner mehr. Die Ereignisse im Osten haben unsere Vorhersagen bestätigt. Die Theorie der Mainstream-Pseudotrotzkisten hingegen hat überhaupt nicht vorhergesagt. Die gewaltigen Ereignisse, die ihren Höhepunkt 1989-91 fanden, haben alle diese Gruppen völlig überrascht. Ihre Theorie behauptete einen Klassenunterschied zwischen diesen "Arbeiterstaaten" und dem Kapitalismus; die stalinistischen Herrscher jedoch wechselten völlig friedlich von dem einen zum anderen über!
Die Advokaten des bürokratischen Kollektivismus waren mit dem gleichen Widerspruch konfrontiert. Die cliffistischen Staatskapitalisten, sparten diese Frage aus, sahen aber auch nichts voraus nachdem sie erklärt hatten, daß sich der Kalte Krieg zwischen den USA und der UdSSR nur zuspitzen könne. Diese Vorstellung rührte von dem Ansatz her, den sie mit den anderen Theorien teilten, daß nämlich der Stalinismus, gleich ob progressiv oder reaktionär, den traditionellen Kapitalismus besiegen werde. Auch diesen Unsinn hat die Realität begraben.
Diese Analysen waren bei all ihren Unterschieden Rationalisierungen für den Pragmatismus und nicht Anleitungen für die Praxis. Die falschen Theorien, die die zugrundeliegende Mittelklasse-Orientierung der Linken widerspiegeln, sahen die stalinistischen Staaten entweder als fortschrittliche Gesellschaften an, die die Arbeitermacht in verzerrter Form reflektierten, oder als Systeme, in denen die Konterrevolution die proletarischen Errungenschaften oder sogar das Proletariat selbst ausgelöscht hatte. So und so war das System jedenfalls mächtig, und die Arbeiterklasse wurde für schwach gehalten.
Im Gegensatz dazu führte unsere Sicht der Welt uns dazu zu sehen, daß sich der Stalinismus in einem Zustand permanenter Krise befand, eine zugespitzte Widerspiegelung der generellen Krise des Weltkapitalismus. Die Arbeiterklasse war objektiv sehr mächtig, aber subjektiv schwach, weil die revolutionäre Arbeiterpartei und ihr Kampf zur Förderung des Klassenbewußtseins fehlten.
Das entscheidende Ereignis, das die letzten Verbindungen zwischen der bolschewistischen Partei kommunistischer Arbeiter, die die Revolution geführt hatte, und dem Staat, der zunehmend das Eigentum der stalinistischen Bürokratie wurde, zerschnitt, war die Große Säuberung Ende der 30er Jahre. Sie konsolidierte die Stalinisten als eine herrschende kapitalistische Klasse. Und anders als die "orthodoxen Trotzkisten", die diese Konterrevolution leugnen, halten wir daran fest, daß die sozialistische Revolution nur von der Arbeiterklasse mit ihrer revolutionären Partei als Führerin gemacht werden kann. Sie hingegen ließen sich durch die Niederschlagung der Arbeiterklasse durch die Stalinisten in Osteuropa, China und sonstwo nicht daran hindern, für den Stalinismus eine fortschrittliche Rolle zu sehen und zu behaupten, in diesen Ländern seien "deformierte Arbeiterstaaten" geschaffen worden.
Wir haben stets für Marxens zentrales Thema gekämpft, daß nämlich das Proletariat revolutionäres Bewußtsein nur durch seine eigenen Klassenaktionen erlangen könne. Das uns definierende Konzept war deshalb der Kampf für die revolutionäre Partei als dem Instrument der fortgeschrittenen Arbeiter selbst.
Schafft erneut die Vierte Internationale!
Während wir für die meiste Zeit unserer organisatorischen Existenz auf Mitglieder in den Vereinigten Staaten beschränkt waren, haben wir unsere Politik immer als die einer internationalen Tendenz begriffen, als die Basis für eine Weltpartei der Arbeiterklasse. Die Interessen der Arbeiterklasse sind international und können nur durch die sozialistische Weltrevolution durchgesetzt werden. Eine Partei der am meisten klassenbewußten Arbeiter, die ihre Klassenkampferfahrungen in allen Teilen der Welt zusammenbringt, ist für den Sieg der sozialistischen Revolution notwendig.
Wir streben die Wiedererschaffung der Vierten Internationale an, der von Leo Trotzki nach der Zerstörung der Dritten Internationale gegründeten revolutionären Weltpartei und der Erbin der revolutionären Politik der drei ersten Internationalen.
1987 haben wir nach umfassenden politischen Diskussionen, die eine allgemeine politische Übereinstimmung bestätigten, brüderliche Beziehungen zur "Workers Revolution Group" (WRG) in Australien aufgenommen. Die Weltpartei, die wir aufbauen, wird auf dem demokratischen Zentralismus beruhen, was bedeutet, daß eine internationale Führung die allgemeinen politischen Kämpfe in ihren nationalen Sektionen anleiten wird. Unsere begrenzten Ressourcen haben einen solchen Zentralismus jedoch unmöglich gemacht. Unsere brüderlichen Beziehungen haben diese Tatsache anerkannt und die Tatsache zum Ausdruck gebracht, daß unsere beiden Gruppen eine weitgehende strategische Übereinstimmung hatten, einander aber nicht verantwortlich für wichtige taktische Entscheidungen seien.
Fünf Jahre später haben die LRP und die WRG brüderliche Beziehungen mit der "Liga für die Revolutionäre Partei" (FRP) in Schweden aufgenommen. Gleichzeitig nahmen diese drei brüderlich verbundenen Organisationen den Namen "Kommunistische Organisation für die Vierte Internationale" (KOVI) an.
Der Generalstreik von 1992 in Melbourne in Australien erlaubte der WRG die Teilnahme an einer entscheidenden Klassenschlacht und wichtige Erfahrungen für unsere internationale Tendenz. Im Gefolge der Niederlage des Kampfes jedoch drang der Zynismus, der sich innerhalb der Linken ausgebreitet hatte, auch in die WRG ein und dezimierte die Gruppe. Dann, im Jahr 1995, machten politische Differenzen zwischen uns und der FRP in Schweden es notwendig, die brüderlichen Beziehungen abzubrechen. Heute verteidigen wir das Banner der KOVI und nehmen internationale Verbindungen auf, die für die Wiedererschaffung der Vierten Internationale selbst entscheidend sein werden.
Die kommenden revolutionären Kämpfe
Unsere Analyse des Stalinismus ist weit davon entfernt, nur eine historische Frage zu sein: sie ist ein Schlüssel zu unserem Ausblick auf die schon am Horizont sichtbar werdenden revolutionären Massenkämpfe. Wir waren in der Lage, den Zusammenbruch des Stalinismus vorherzusagen, weil wir verstanden, wie die staatifizierten Eigentumsverhältnisse des Ostens diese Wirtschaften am verwundbarsten gegenüber der sich entwickelnden Krise des Weltkapitalismus machten. Daher sahen wir voraus, daß der Kollaps des Stalinismus im Osten eine ähnliche Krise im Westen ankündigen werde, und das bestätigt die sich vertiefende industrielle Stagnation und Instabilität im Finanzsektor.
Die meisten pseudomarxistischen Gruppen erkennen an, daß der Kapitalismus sich auf eine Krise zubewegt, aber ihre Theorien deuten in die entgegengesetzte Richtung. Diejenigen, die den Stalinismus als fortschrittlich verstanden, sollten eine Wiederbelebung des Weltkapitalismus auf der Basis seines Zusammenbruchs erwarten. Diejenigen, die seine Gesellschaften als kapitalistische aber dennoch als den Trend der zukünftigen kapitalistischen Entwicklung sahen, zeigen heute nur ihre Konfusion und ihren Pragmatismus.
Die von der Arbeiterklasse getragenen sozialen Eruptionen in Osteuropa in den 80er Jahren zeigten Gorbatschow & Co. die Schrift an der Wand und führten zum Sturz des Systems. Heute tun die bestialischen Agenten des Kapitalismus, der nationale Chauvinismus und der Rassismus, die Schmutzarbeit und fördern den Bruderkrieg zwischen den Werktätigen rund um die Welt. Der Kapitalismus ist gezwungen, sich dieser Waffen zu bedienen, weil sein System am zusammenbrechen ist.
In den poststalinistischen Staaten geht die Bourgeoisifizierung keineswegs problemlos voran; die Arbeiter betrachten die galoppierende Inflation und Massenarbeitslosigkeit, die ihnen das "westliche Modell" gebracht hat, durchaus nicht mit Begeisterung. Im Westen fanden die großen französischen Streiks von Ende 1995 ein Echo und sind nur ein Symbol dessen, was noch kommen wird. Im Süden wird die sozialistisch gesonnene Arbeiterklasse Südafrikas immer ärgerlicher über den Mangel an Wandel, wie er von der gleichen alten herrschenden Klasse verursacht wird, die nun eben mit schwarzen Gesichtern gesprenkelt wurde.
Die reformistischen Irreführer der Arbeiterklasse gehen dem Kampf durch die Kapitulation vor den kapitalistischen Angriffen aus dem Weg. Sie lassen große Lohneinbußen und ein massives Wachsen der Arbeitslosigkeit zu. Sie machen bei der Spaltung der Arbeiterklasse mit, indem sie offen den nationalen Chauvinismus akzeptieren und sich in verdeckter Weise sogar dem Rassismus anpassen.
Nichtsdestotrotz sind Massenerhebungen und Klassenkonfrontationen absolut unvermeidlich, eine erfolgreiche revolutionäre Schlußfolgerung jedoch nicht. Der Kampf zur Entlarvung der reformistischen Bürokraten, die weltweit die Gewerkschaften beherrschen, muß intensiviert werden. Der Klassenkampf erhielt einen großartigen Auftrieb als der Griff der Stalinisten sowohl im Westen als auch im Osten gelöst wurde; nun muß der Rest der Bürokratie zerschlagen werden, wenn es eine erfolgreiche Revolution geben soll. Ein lebenswichtiges Element, das notwendig ist, um die authentische Vierte Internationale neu zu schaffen, ist der Kampf gegen den Zynismus, insbesondere den Zynismus über die revolutionären Fähigkeiten des Weltproletariats. Heute ist das die wichtigste ideologische Ausrüstung des niedergehenden Kapitalismus und eine erstrangige Waffe in den Händen seiner Verteidiger innerhalb der Arbeiterbewegung, der Bürokraten.
Die Zentristen, heute relativ klein und entmutigt, dienen der Bürokratie noch immer als eine wichtige Waffe. Ihre zynischen Theorien erlauben es ihnen nach wie vor, das Wachsen des Bewußtseins zu vergiften und eine Rolle dabei zu spielen, fortgeschrittene Arbeiter von der entscheidenden Aufgabe der Neuerschaffung ihrer revolutionären Partei abzuhalten. Der Kampf mit diesen Kräften ist ein wichtiges Element im Kampf zum Aufbau einer Vorhutpartei in den USA und außerhalb.
Im Gegensatz zum Manöverismus der zynischen herablassenden Retter des Mittelklasse-Marxismus bekräftigen wir unseren Glauben an die Lehren, die uns unsere wichtigsten Lehrer - Marx, Engels, Lenin, Luxemburg, Trotzki - hinterlassen haben: eine kämpfende Arbeiterklasse muß vor allem anderen die Wahrheit kennen. Nach zwanzig Jahren hält die LRP unbeirrt an der Idee fest, daß ein Proletariat in Aktion, das sich seiner wirklichen Massenkraft bewußt ist und das von seiner bewußtesten Vorhut geführt wird, die Herrschaft des mörderischen Kapitalismus zerstören und eine wahrhaft humane Gesellschaft errichten kann.
Die Bolschewiki haben uns gelehrt, daß schlechte Zeiten die Kader einer revolutionären Partei ebenso stählen wie gute Zeiten und erfolgreiche Kämpfe. Es ist kein Zufall, daß die LRP nicht nur die Hundejahre überstanden hat, sondern weit auf dem Weg, sich selbst politisch für die kommenden Kämpfe vorzubereiten, vorangekommen ist.
(aus: Proletarian Revolution No. 53, New York, Winter 1997)
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