Die 'Internationale Sozialistische Tendenz' wurde von Tony Cliff (Ygael Gluckstein) gegründet. Neben der ebenfalls von ihm gegründeten britischen 'Socialist Workers Party' gehören der IST heute offiziell 16 Organisationen in Europa, aber auch den USA, Kanada, Australien und Zimbabwe an. Der 'Cliffismus' als eine ideologische Richtung hat jedoch mehr Anhänger, insbesondere auch unter den verschiedenen Abspaltungen von den offiziellen Mitgliederorganisationen der IST. Die KOVI-BRD veröffentlicht den folgenden Artikel aus der Zeitschrift der 'League for the Revolutionary Party/COFI' einerseits als einen Beitrag zum Kampf gegen den Zentrismus überhaupt und andererseits, weil die deutsche Sektion der IST, die Gruppe 'Linksruck', auch wenn ihre diesbezüglichen Zahlenangaben mit großer Vorsicht zu genieéen sind, doch eine relativ große Zahl von Jugendlichen, die teilweise einen Weg zum revolutionären Sozialismus suchen, zunächst in den zentristischen Sumpf führt und dann zu einem großen Teil revolutionär marxistischer Politik, die sie nur in Form des bürokratischen Zentrismus kennengelernt haben, überhaupt entfremdet. Vieles, was für die ISO-US gilt, trifft auch mit kleinen Abwandlungen auf 'Linksruck' zu. So heißt es in dem folgenden Artikel u.a.: "Über die Jahre hin hat die Konzentration der ISO auf Oberklasse-Colleges sie mit vielen im Grunde liberalen Mitgliedern ohne wirkliches Interesse am revolutionären Marxismus oder politischer Diskussion versorgt. Sie hat aber auch einige Menschen erreicht, die ernsthaft nach dem revolutionären Sozialismus suchen und von denen einige zur Sommer-Schule gekommen waren. Wir hoffen, daß diese GenossInnen Wege finden werden, revolutionäre Politik zu erlernen und sich dafür einzusetzen; der Zweck dieses Artikels ist der, ihnen bei diesem Kampf zu helfen." KOVI-BRD


Zur Lage des internationalen Cliffismus

ISO-USA gegen SWP-GB: wer ist opportunistischer?

Anfang dieses Jahres brach ein heftiger Fraktionskampf innerhalb der 'International Socialist Tendency' (IST) zwischen deren US-Mitglied, der 'International Socialist Organization' (ISO), und dem die IST beherrschenden Zentrum, der britischen 'Socialist Workers Party' (SWP) aus. Die Führung der SWP beschuldigte die ISO, weine sektiererische und abstentionistische Haltung gegenüber den Straßenkämpfen in Seattle im vergangenen Herbst sowie in der Frage des letztjährigen imperialistischen Krieges gegen Serbien eingenommen zu haben. Die ISO ihrerseits beschuldigte die britische Organisation, falsche Behauptungen aufzustellen, hinter dem Rücken der Führer bürokratisch in die US-Gruppe zu intervenieren und den Zusammenbruch oder das völlige Verschwinden von Gruppen in anderen Ländern zu verheimlichen.

Beide Führungen hielten diese Argumente monatelang vor ihren Mitgliedern geheim. Dann fügte Tony Cliff, der Führer der IST und ihr theoretischer Guru, kurz vor seinem Tod im April seine Unterschrift Briefen hinzu, in denen die Führung der ISO denunziert wird. Das öffnete die Schleusen. Die Briten schickten direkt an die Mitgliedschaft der ISO Dokumente, in denen deren Führer angegriffen werden. Die Amerikaner zahlten mit gleicher Münze heim. Eine Gruppe, die behauptete, eine Opposition innerhalb der ISO zu sein, veröffentlichte die Dokumente im Internet und versprach, selbst einen Fraktionskampf zu führen.

Cliff's Denunziation der ISO-Führung ist durchaus nicht ohne Vorbild in der Geschichte der IST. Verurteilungen von Individuen und Gruppen innerhalb der Tendenz durch die SWP sind üblich und führen meistens flugs zu Ausschlüssen. Die britische SWP herrscht über die IST auf einer völlig undemokratischen Basis. Es gibt kein führendes internationales Komitee; die SWP beschäftigt sich einzeln mit jeder nationalen Sektion ohne die übrigen über die politischen Fragen zu informieren, um die es geht, oder über Spaltungen usw. Ihre Entschuldigung ist, daß die IST keine wirkliche Internationale ist, ein sich selbst erfüllendes Argument, das die US-Führung im Wesentlichen akzeptiert.

Aber eine Reihe von Faktoren haben diesen Kampf hier von den bisherigen verschieden gemacht. Erstens haben die SWP-Führer keine starke alternative Führung innerhalb der ISO aufgebaut, durch die sie die gegenwärtigen Führer ersetzen könnte. Im Gegenteil scheinen ihre bürokratischen Attacken die US-Führer gegen die Briten zusammengeschweißt zu haben. Zweitens hat der Tod von Cliff die britische SWP der Autorität beraubt, die es ihr ermöglicht hatte, den nationalen Sektionen Befehle zu erteilen. Wie wir noch sehen werden, ist eine solche bürokratische Herrschaft wesentlich, um die IST durch ihre vielen opportunistischen Wendungen und Zickzacks hindurch zusammenzuhalten.

Drittens brach der Kampf zu einem Zeitpunkt aus, in dem die SWP einen deutlichen Ruck nach rechts macht - hin zum Parlamentarismus, einer Form des Reformismus, den sie in der Vergangenheit immer verurteilt hatte. Es ist auch eine Zeit vertieften Opportunismus bei der ISO, sowohl in ihrer Kampagne gegen die Todesstrafe, als auch in Hinblick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA, wo sie darüber nachdenkt, die prokapitalistische und nationalistische Kampagne von Ralph Nader zu unterstützen. Schließlich folgt dieser Kampf auf eine Reihe von Abspaltungen von Gruppen oder ganzen Sektionen von der IST in Ländern so weit verstreut wir Australien, Südafrika, Deutschland, Griechenland, Belgien und Kanada.

Nicht mit einem Schlag, sondern mit einem Winseln

Die IST ist eine notorisch opportunistische Tendenz. Wie all diejenigen, die von Lenin und Trotzki als Zentristen bezeichnet wurden, weil sie zwischen revolutionärer Rhetorik und reformistischer Praxis hin und her schwanken, opfert die ISO üblicherweise ihre angeblichen revolutionären Ansichten, sobald sie eine Gelegenheit erblickt, sich es mit reformistischen Gewerkschaften und Führern gemütlich zu machen. Ihre Priorität besteht darin, neue Rekruten durch militantes 'cheerleading' (Bejubeln) für Reformkämpfen zusammenzutreiben. Die IST lehnt den revolutionären Ansatz ab, Vorschläge für die unmittelbaren Kämpfe der Arbeiter mit politischen Herausforderungen an deren reformistische Führer zu verbinden, um deren Widerwillen dagegen zu entlarven, die Kämpfe zum Sieg zu führen.

Der Fraktionskampf scheint so schnell und willkürlich zu Ende gegangen zu sein wie er begonnen hat. Angesichts solcher scharfer Differenzen würde jeder wirkliche Revolutionär das Verlangen haben, bis zu klaren Schlußfolgerungen weiterzudiskutieren. Die ISO-Führer haben sich gegen die Vorwürfe der SWP verteidigt, sich aber bemüht, einen Kampf zu verhindern; sie haben niemals die Frage angesprochen, was sich hinter den Angriffen der SWP verbarg. In einem ihrer Internet-Dokumente jammerten sie: "Wir glauben nicht, daß es zwischen der ISO und der SWP prinzipielle Unterschiede gibt. Darüber hinaus sind einige der angesprochenen Fragen... auch nicht von der Art, daß sie einer völligen politischen Übereinstimmung unter Revolutionären bedürften, vor allem nicht unter Revolutionären in verschiedenen Ländern.... Wir wünschen keinen Fraktionskampf und haben uns auch bemüht, ihn zu verhindern." Das bedeutet: wir kritisieren Eure Perspektiven und Aktivitäten nicht, warum tut Ihr uns diesen Gefallen nicht auch? So können wir zusammen bleiben und in unseren jeweiligen Ländern tun, was uns gefällt.

Wenig mehr als zwei Monate später gibt es -- angesichts dessen, daß die SWP-Führer kompromißlos bleiben -- Hinweise darauf, daß die ISO-Führer eine Abspaltung von der IST planen. Sie haben dem Vernehmen nach alle Formen regulärer Kooperation mit der SWP vom Verschicken der Literatur bis zur Teilnahme an ihren jeweiligen Jahreskonferenzen abgebrochen. Sie sind einem Fraktionskampf ausgewichen, weil sie die politische Debatte vermeiden wollten, die so ein Kampf mit sich gebracht hätte. Am Ende könnte die Spaltung der einzige Weg für sie sein, eine Diskussion zu verhindern.

Natürlich waren die SWP-Führer auch nicht an einem politischen Kampf interessiert. Ihre Kritik an der ISO hatte nicht den Zweck, die ISO-Führer politisch zu überzeugen, sondern ausschließlich den, sie als willfährige Jasager auf Linie zu bringen.

Ebensowenig haben die Oppositionsgruppen innerhalb der ISO, von denen die Rede war, ihren Versprechen Taten folgen lassen. Auf der ISO Sommer-Schule in Chicago vom 8.-11.Juni, auf der zahlreiche Sitzungen eine Gelegenheit boten, die landesweit versammelte Mitgliederschaft der ISO zu erreichen, erhob keine ISO- oder Ex-ISO-Opposition ihre Stimme. Die einzige Herausforderung an den Opportunismus der ISO kam von der 'League for the Revolutionary Party'. Und die ISO-Führung antwortete auf unsere Unterstützer nicht mit Politik, sondern zunächst mit Verleumdungen und Drohungen und schließlich mit körperlichen Angriffen.

Die Tatsache, daß der Fraktionskampf ohne eine klare Lösung geendet zu haben scheint, macht eine Diskussion der anstehenden Fragen umso wichtiger. Über die Jahre hin hat die Konzentration der ISO auf Oberklasse-Colleges sie mit vielen im Grunde liberalen Mitgliedern ohne wirkliches Interesse am revolutionären Marxismus oder politischer Diskussion versorgt. Sie hat aber auch einige Menschen erreicht, die ernsthaft nach dem revolutionären Sozialismus suchen und von denen einige zur Sommer-Schule gekommen waren. Wir hoffen, daß diese GenossInnen Wege finden werden, revolutionäre Politik zu erlernen und sich dafür einzusetzen; der Zweck dieses Artikels ist der, ihnen bei diesem Kampf zu helfen.

Die SWP läuft hinter dem Links-Labourismus her...

Ein Kennzeichen des Cliffismus sind die plötzlichen und willkürlichen Perspektivwechsel, die der Mitgliedschaft durch ein bürokratisches Regime aufgezwungen werden. So eine Wende ist der Hintergrund des jüngsten Krachs.

Jahrelang hat die SWP erklärt, daß sich der Klassenkampf im 'Abschwung' befinde und daß Revolutionäre in dieser Phase nur eine minimale Rolle innerhalb der Arbeiterklasse spielen könnten. Sie arbeitete deshalb lieber in Mittelklasse-Protestkampagnen mit. Sie spielte deshalb bei dem großen Bergarbeiterstreik von 1984-5 eine zu vernachlässigende Rolle, während sie alle Kraft in den Aufbau von Frontorganisationen wie der 'Anti-Nazi-League' steckte.

Mitte der 90er Jahre aber kündigte die SWP eine Wende hin zur Arbeiterklasse und zur Massenrekrutierung an. Diese Wende war nicht durch irgendeinen massiven Aufschwung bei den Arbeiterkämpfen in Großbritannien (die Arbeiterbewegung ist dort nach wie vor in der Defensive) bedingt, sondern durch den Zusammenbruch der Linken der Labour Party wie sie durch Leute wie den Bergarbeiterführer Arthur Scargill und die "trotzkistischen" Gruppen, die in der Labour Party waren, der traditionellen Falle für sich radikalisierende Arbeiter, repräsentiert wurde. Die SWP hoffte, daß in dem Maße wie die Enttäuschung über die rechte 'New Labour'-Regierung Tony Blair's wüchse, sie das entstehende Vakuum füllen könnte. Ihre Methode bestand einfach darin, sich als die militante Alternative zu Blair darzustellen.

Für wirkliche Marxisten bot die Krise des Linkslabourismus eine große Möglichkeit, den Reformismus zu entlarven und Arbeiter für den revolutionären Kommunismus zu gewinnen. Aber für die Cliffisten bedeutete es, sich dem Labourismus anzupassen und die SWP als die Heimat für Reformisten zu präsentieren, die aus der Labour Party verdrängt wurden. Wie es ein SWP-Führer auf dem Parteitag von 1996 formulierte: "Es gibt Zehntausende von Arbeitern, die ihre Verbindung zur Labour Party in Frage stellen. Tony Blair beraubt sie ihrer natürlichen politischen Heimat. Das stellt für Sozialisten in Großbritannien eine historische Gelegenheit dar; wir haben eine Chance, beträchtlich zu wachsen." In jüngster Zeit hat diese Perspektive die SWP dazu geführt, eine scharfe Wende in Richtung Parlamentarismus zu machen. Die SWP hat sich in ihrer gesamten Geschichte geweigert, in Wahlkämpfen gegen Labour anzutreten, und es vorgezogen, die Arbeiter aufzufordern, Labour zu wählen, weil das "ihre" Partei sei. Auf diese Weise haben sie einen offenen Kampf gegen die Führung der Labour Party und ihre Helfershelfer in der Gewerkschaftsbürokratie vermieden und haben statt dessen rekrutiert, indem sie als "die besten Kämpfer" aufgetreten sind.

1996 hat Blair der Labour-Linken eine massive Niederlage beigebracht als er die Bestimmung in Parteistatut abgeschafft hat, durch die sie auf Verstaatlichung und eine Umverteilung des Reichtums verpflichtet wurde. Scargill antwortete darauf, indem er sich von der Labour Party abspaltete und die glücklose 'Socialist Labour Party' (SLP) initiierte, um Labour in Wahlen herauszufordern (s. "Death Agony of the Labour Left" in: Proletarian Revolution No.52). Scargill's Bürokratie, der entgegenzutreten die SWP kein Interesse hatte, war in der Lage, die radikale Linke zu unterdrücken, und er genießt immer noch die Unterstützung einer Schicht von Industriearbeitern, von der sich die SWP ferngehalten hatte. Die SWP reagierte auf gewohnte Art und wandte sich gegen die SLP mit einer Rhetorik, die eine Beteiligung von Sozialisten an Wahlen mit dem Argument verurteilte, daß das unweigerlich zum Reformismus führe. Statt dessen richtete sie ihre Hoffnungen auf eine Wiederbelebung des außerparlamentarischen Kampfes nach der Wahl der Blair-Regierung: "In Worten ist es möglich davon zu reden, eine ernsthafte Intervention in den Wahlen mit dem Kampf außerhalb des Parlaments zu verbinden. In der Praxis ziehen diese beiden Aktivitäten in unterschiedliche Richtungen. Die Bemühungen um Stimmen bringt eine Partei dazu, ihre Botschaft zu mäßigen, dazu eine Übereinkunft mit den Gewerkschaftsführern zu suchen, um von ihnen Unterstützung und Geld zu bekommen. Die Alternative liegt darin, sich auf den Kampf zu konzentrieren und anzuerkennen, daß revolutionäre Sozialisten in jeder Situation außerhalb eines Aufstands nur bei einer Minderheit der Klasse Gehör finden werden." (Socialist Worker, 25.Nov.1995)

Der Aufschwung des Kampfes, den die SWP erwartete, fand nicht statt, wohl aber eine neue Bewegung hin zu einer linken Wahlalternative zu Labour. Der populäre linke Reformist Ken Livingstone, von den rechten Labour-Führern um die Nominierung als Kandidat der Partei für das Amt des Bürgermeisters von London gebracht, trat als unabhängiger Kandidat an. Livingstone genoß große Unterstützung bei Arbeitern, aber anders als Scargill kontrollierte er nicht einmal einen Anschein einer organisatorischen Struktur, die die SWP daran hätte hindern können, innerhalb seiner Basis zu rekrutieren. Deshalb reagierte die SWP auf typisch opportunistische Art und Weise, schon ihre Anti-Wahl-Rhetorik beiseite und sprang auf Livingston's Zug auf. Sie führte einen nahezu unkritischen Wahlkampf für Livingstone (trotz dessen arbeiterfeindlichen Block mit den bürgerlichen Grünen und einer bitteren Attacke auf seine sozialistischen Cheerleader und führte einen Wahlblock, die 'London Socialist Alliance' (LSA) an, die sich in einen rein reformistischen Wahlkampf um Ämter auf Gemeindebene bemühte.

Obwohl die LSA ziemlich schlecht abschnitt, hoben die SWP (und andere Zentristen) das Wahlergebnis in den Himmel. Jetzt scheint es, daß die SWP darauf drängt, daß die LSA eine permanente Wahlfront oder sogar eine neue Partei wird. Die Politik der SWP bestätigt die Vorhersage, die wir in unserem erwähnten Artikel in PR 52 getroffen haben: angesichts des Zusammenbruchs des Labour-Reformismus würde die zentristische Linke nicht versuchen, eine revolutionäre Begräbnismannschaft zu organisieren, sondern eher den linken Reformismus in Form einer neuen reformistischen Partei wiederzubeleben.

Um diese Rechtswende zu verbergen, hat die SWP eine Perspektive entwickelt, der zufolge die Welt in eine Epoche wie die 30er Jahre -- allerdings "in langsamem Tempo" -- eingetreten sei. Aber das ist absurd: Unsere Zeit ist nicht wie die 30er Jahre mit massiven Klassenkämpfen zwischen den Kräften der Revolution und der Konterrevolution. Die gegenwärtige Periode ist nur ein Übergang zu so einer Zeit. In den imperialistischen Ländern ist sie überwiegend durch defensive Kämpfe der Arbeiterklasse gekennzeichnet. Die der Weltwirtschaft zugrundeliegenden Widersprüche produzieren überall in der "Dritten Welt" und in den schwächeren imperialistischen Ländern Krise, und die ungleichmäßige Prosperität der größten imperialistischen Mächte ist lediglich zeitweilig. Eine neue weltweite 'Große Depression' und tiefgreifende Massenerhebungen liegen vor uns, sind aber noch nicht da.

...während die ISO den Mittelklasse-Protesten hinterherläuft

Die ISO hat versucht, die opportunistische Wende der SWP hin zu den Arbeiterkämpfen und der Massenrekrutierung (s. unsere Polemik "Die rechte Wende der ISO hin zur Arbeiterbewegung" in PR 51) mit ihrer Konzentration auf verschiedene Mittelklasse-Kampagnen wie den Anti-Sweatshop-Kampagnen in den Colleges und der liberalen Kampagne gegen die Todesstrafe zu kombinieren.

Als sich die Amerikaner weigerten, blind der letzten Direktive aus London Folge zu leisten, wurden sie von den britischen Führern dafür attackiert, daß sie nicht genug Kraft in die Proteste in Seattle im vergangenen Herbst gesteckt hätten und allgemein dafür, daß sie sich nicht ausreichend einem vermeintlichen neuen antikapitalistischen Massenbewußtsein angepaßt hätten. Zweifellos waren die Proteste in Seattle ein wichtiger Ausdruck einer konfusen, populistischen Militanz -- in erster Linie unter Teilen der Studentenschaft und der Mittelklasse. Aber die SWP lobte sie als Beleg einer internationalen "antikapitalistischen Stimmung", die eine "grundlegende Verschiebung im Bewußtsein der Arbeiterklasse" (Socialist Review, January 2000) repräsentiere. Die ISO verteidigte ihre Haltung und behauptete auf der einen Seite, sie habe in Seattle ihr Bestes getan, und andererseits, daß die Briten eine "reformistische Stimmung" mit einer revolutionären verwechselten.

Der Opportunismus ist unvermeidlich nationalistisch, weil er bedeutet, vor reformistischen Kräften zu kapitulieren, die in jedem Land spezifische Formen annehmen. Was die Führung der SWP und der ISO entzweite, sind ihre unterschiedlichen nationalen opportunistischen Interessen. Die Briten haben die Radikalisierung, die zu Seattle führte, grob übertrieben, aber das ist nicht einfach eine falsche Einschätzung; es ist eine notwendige Rationalisierung für ihren Rechtsschwenk zu Hause. Schließlich haben die cliffistischen Führer sowohl in Großbritannien als auch in den USA oftmals "die Öffnung der Tore der Partei" mit angeblich ähnlichen Wendungen Lenins 1905 und 1917 begründet. In Abwesenheit einer wirklichen Revolution wie der in Rußland haben sie die "starke antikapitalistische Stimmung" und den "wichtigen politischen Wendepunkt" von Seattle erfunden.

In den USA jedoch sind die Begrenztheiten von Seattle selbst für die ISO zu offensichtlich, um darauf eine neue Perspektive zu begründen. Darüber hinaus ist nicht zu erwarten, daß eine Radikalisierung in den USA in die gleiche Richtung geht wie die, die die SWP in Großbritannien erwartet. Ohne sich einer Labour Party oder einer links-reformistische Schicht von Gewerkschaftsbürokraten anpassen zu können, kann die ISO ihr Schwergewicht nur auf Kampagnen-Bewegungen der Mittelklasse legen.

Verschiedene Perspektiven, gleicher Opportunismus

Die Differenzen über Perspektiven täuschen über die Tatsache hinweg, daß beide Führungen den gleichen opportunistischen Ansatz haben. Selbst was Seattle betrifft hat die ISO, die jetzt sagt, daß die Proteste gegen die Globalisierung nur Zeichen für eine neue reformistische und nicht etwa revolutionäre Stimmung sind, im vergangenen Herbst Seattle ebenso unkritisch bejubelt wie ihre Genossen in Großbritannien und geschrieben, daß "der Haupttrend... in Seattle eindeutig antikapitalistisch war".

Natürlich folgt die ISO der gleichen Methode wie die SWP, Kritik an reformistischen falschen Führern zu verwässern und sich als "die besten Erbauer" von Reformbewegungen darzustellen. In ihrem gegenwärtigen Aktionsschwerpunkt -- der Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe -- beispielsweise ist die ISO bei erster Gelegenheit nach rechts gerückt, um sich mit liberalen Politikern zusammenzutun. Als Forderungen nach der Abschaffung der Todesstrafe gleichzeitig mit Skandalen aufkamen, in denen empörende Fälle von Manipulationen und falschen Verurteilungen von Hinrichtungskandidaten bekannt wurden, begannen einige Politiker der Demokraten und der Republikaner über die Notwendigkeit eines Moratoriums, eines Aufschubs aller Hinrichtungen zu sprechen. Diese Initiative sollte einer möglichen Massenbewegung für die Abschaffung der Todesstrafe die Spitze abbrechen und Reformen bringen, die sie gegen zukünftige Herausforderungen stärken sollte. Die ISO antwortete, indem sie ihren Slogan für die Abschaffung der Todesstrafe in den Hintergrund schob und unkritisch die Idee eines Moratoriums lobte. Wenn auch ein Moratorium ein zeitweiliger Sieg wäre, führt doch die ISO fort, indem sie nicht vor seinen Gefahren warnt, den bürgerlichen Politikern dabei zu helfen, den Kampf vom Weg abzubringen. (s. "Death Penalty Moratorium Debate" in PR 59)

Überhaupt erscheinen schon die Zeichen dessen, wie die zukünftige Kapitulation der ISO aussehen wird. In der Ausgabe ihrer Zeitung 'Socialist Worker' vom 12. Mai äußerte sich die ISO überaus mild gegen die Präsidentschaftskandidatur von Ralph Nader. Im Mittelpunkt ihrer Kritik stand sein Stil und einige nicht-fortschrittliche Positionen anstatt die zentrale Frage des Mittelklasse-Charakters seiner Kampagne und seiner Partei (s. unser Artikel auf Seite 27 in dieser Ausgabe). Die ISO behauptete auch, er sei mit keiner Bewegung verbunden: "Eine wirkliche linke Alternative wäre eine willkommene Veränderung in der US-Politik. Aber es ist nicht klar, daß Nader daran wirklich interessiert ist."

Nein, es ist vollkommen klar, daß Nader einen linkslastigen bürgerlichen Wahlkampf führt und um die Stimmen der Mittelklasse und deren Aktivismus wirbt; Die ISO fühlt sich davon überhaupt nicht betroffen, sondern interessiert sich nur dafür, wieviel Mittelklasse-Unterstützung er auf sich ziehen kann. Was er nicht tut, ist eine Arbeiterklasse-Alternative aufzubauen.

In unserem Bulletin für die ISO-Sommerschule sagten wir voraus, daß die ISO wohl genötigt sein werde, ihre Linie opportunistisch zu ändern: "Die ISO... muß sich darüber Sorgen machen, daß diese Wahlkampagne sich an ihre eigene Klientel von Studenten, Mittelklasse-Aktivisten und Gewerkschaftsmitglieder wendet. Wie feindlich sie Nader gegenüber bleibt, wird davon abhängen, wie stark sich die Mittelklasse und die Arbeiterbürokratie angesprochen fühlen werden.... In Anbetracht des Charakters der ISO-Rekrutierung ist es durchaus möglich, daß ein wesentlicher Teil ihrer vorübergehenden Mitgliedschaft Nader wählen wird." So ist es nicht verwunderlich, daß sich die Linie weniger als einen Monat nach ihrer ursprünglichen Stellungnahme gegen Nader in der Tat opportunistisch geändert hat. Die Ausgabe des 'Socialist Worker' vom 9. Juni diskutierte Nader's Wahlkampagne ohne viel Kritik und stellte nun fest, daß er doch eine Bewegung im Rücken habe: "Nader's Bilanz ist gemischt. 1996 war er der Präsidentschaftskandidat der Partei der Grünen, führte aber kaum einen Wahlkampf -- und sagte den Wählern schließlich, sie sollten für Clinton stimmen, falls Bob Dole eine Chance habe zu gewinnen. Wenn Nader aber diesesmal seine Kandidatur ernst nimmt -- wie er es bis jetzt auch getan hat --, dann könnte sein Wahlkampf in der Tat ein Brennpunkt für all die neu radikalisierten Menschen werden, die in Seattle und Washington DC auf die Straße gegangen sind. Das würde bedeuten, daß wirkliche Themen, die für die normalen Leute wichtig sind -- wie die Raffgier der Konzerne und die Zerstörung der Umwelt -- bei den Wahlen des Jahres 2000 auf den Tisch kämen. Und das wäre eine willkommene Änderung gegenüber den in Wahljahren üblichen zweideutigen Reden." Und auf der ISO-Sommerschule argumentierten in der Tat jede Menge von ISO-Mitgliedern einschließlich Mitgliedern der Führung zu Gunsten einer "kritischen" Unterstützung. Es ist offensichtlich, daß die ISO darüber nachdenkt, sich für die Wahl Nader's auszusprechen. Und, wenn man von dem ober zitierten Leitartikel ausgeht und gleichzeitig von der ganzen Geschichte der Haltung des Cliffismus gegenüber Reformisten, dann wird sie kaum noch kritisch sein.

Das ist nicht einfach ein taktischer Fehler. Es ist eine Verletzung eines Grundprinzips des Marxismus -- des kompromißlosen Kampfes für die organisatorische und politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse. Lenin und Trotzki beispielsweise erklärten, daß kritische Wahlunterstützung für bürgerlichgeführte Arbeiterparteien wie die britische Labour Party denkbar sei und zwar mit dem Ziel der Entlarvung ihrer Führer. Aber offen bürgerlichen Parteien ihre Stimme zu geben, bedeutet für Marxisten, den Klassenfeind zu unterstützen.

Wenn die Cliffisten Nader politische Unterstützung bieten, dann wird das nicht das erste mal sein, daß sie die Klassenlinie überschreiten. In den letzten Jahren konnte man sie sowohl für den bürgerlichen ANC in Südafrika stimmen (nachdem sie sich über diese Frage gespalten hatten) als auch regelmäßig zur Wahl der liberal kapitalistischen PASOK in Griechenland aufrufen sehen. Heute unterstützt jüngsten Berichten zufolge die IST-Sektion in Zimbabwe die bürgerlich-demokratische, pro-IWF 'Bewegung für einen demokratischen Wandel' (MDC) bei den bevorstehenden Wahlen.

Das Problem des Kosovo-Krieges

Ein weiteres Thema zwischen den Führungen der SWP und der ISO war der imperialistische Krieg gegen Serbien, obgleich ihre Unterschiede in der Öffentlichkeit kaum zu bemerken waren. Beide Gruppen führten eine Kampagne gegen den Bombenkrieg der NATO, aber keine ging über eine 'Stoppt diesen Krieg!'- Rhetorik hinaus und trat für die Verteidigung Serbiens gegen den imperialistischen Angriff und damit für die militärische Niederlage der NATO-Kräfte ein, was die Pflicht revolutionärer Internationalisten war. Gleichermaßen gaben weder die SWP noch die ISO mehr als eine papierene Unterstützung für das Recht des Kosovo auf Selbstbestimmung, obwohl die SWP behauptet, daß die ISO hier sogar zuviel des Guten getan habe. Aber der wichtigste Punkt bezüglich des SWP-ISO-Streits über den Krieg wurde in den Hinweisen der Dokumente zur Rolle der UNO nur kurz erwähnt.

Da die UNO als Organisation ebenso imperialistisch ist wie die NATO, mußten Revolutionäre die Gegner des NATO-Krieges bekämpfen, die die UNO als eine akzeptable Alternative ansahen, um dem Balkan Frieden zu bringen. Die SWP beschwerte sich, daß die ISO diesen Punkt zu sehr hervorgehoben habe, da die UNO im Krieg nur eine geringe Rolle gespielt habe. Aber in der Tat war die ISO nicht weniger opportunistisch wie die SWP. Während des Krieges kritisierte die ISO die NATO und die UNO vor allem als unfähige Friedenserhalter und nicht etwas als imperialistische Kriegstreiber.

Die UNO war zu diesem Zeitpunkt in der Tat im Balkankrieg an den Rand gedrückt worden, aber dafür waren andere imperialistische Vereine präsent. Die 'Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa' (OSZE) beispielsweise überwachte das Kosovo im Interesse der imperialistischen Mächte bevor die NATO mit ihrer Bombardierung loslegte. Während der Bombardierung ließ Pierre Bourdieu, ein prominenter französischer Linksintellektueller, unter seinen Mitakademikern eine Petition zirkulieren, in der er die NATO-Bombardierung verurteilte, aber statt dessen dazu aufrief, "Elemente einer (vor allem aus Serben und Albanern zusammengesetzten) multinationalen Polizei-Kraft in den Reihen der OSZE zu finden, um eine Übergangsregelung zu erzwingen." Dieser Brief trug auch die Unterschrift von Alex Callinicos, einem führenden Mitglied der SWP, Internationalem Organisator der 'International Socialist Tendency' -- und Mitunterzeichner des Briefes von Cliff, in dem die ISO unter anderem beschuldigt wird, "sich von solchen Fragen wie ... den Vereinten Nationen auf Nebengleise geführt haben zu lassen".

Irgendeine Art von imperialistischer Intervention zu befürworten, bedeutet für einen Sozialisten, die Klassenlinie zu überqueren. Das hat Callinicos getan, dem hat die SWP zugestimmt, und das hat die ISO-Führung unter den Tisch gekehrt. Keiner von ihnen hat sich durch die Aufgabe, fest gegen den Imperialismus zu stehen, von dem Versuch abbringen lassen, sich mit jedem proimperialistischen Pazifisten, den sie auftreiben konnten, zu vereinigen. Sie alle sind verachtenswerte Verräter an der Sache des 'internationalen Sozialismus', den sie predigen.

Cliffismus gegen revolutionären Marxismus

Eine Frage, die in jedem politischen Kampf innerhalb der IST gestellt wird, ist die nach der Demokratie, oder eher nachdem Fehlen der selbigen innerhalb der internationalen Tendenz sowie ihrer einzelnen nationalen Sektionen. Was jeder, der gerne innerhalb der ISO ein Revolutionär wäre, sich bewußt machen muß, ist die Tatsache, daß die bürokratischen Regime aller cliffistischen Gruppen und die koloniale Herrschaft der SWP auf internationaler Ebene notwendiger Ausdruck ihrer grundlegenden Politik sind. Selbst nachdem Tode Cliff's ist es unmöglich, das zu finden, was viele dissidente ISTler in der Vergangenheit gesucht haben, einen "Cliffismus ohne Cliff" -- d.h. eine nicht bürokratisch geführte Tendenz.

Die zunehmend häufigen Manöver, durch die die Bemühungen der IST-Gruppen, sich an die Rockschöße kleinbürgerlicher Reformisten zu hängen, gekennzeichnet sind, verlangen starke Einschränkungen im Prozeß demokratischen Beschlußfassung Man kann seine Linie zum Parlamentarismus oder zu Nader nicht über Nacht willkürlich ändern und gleichzeitig ernste Debatten mit Mitgliedern erlauben, die immer noch an die Linie der Zeitung von gestern glauben. Ebenso öffnet die Politik der Rekrutierung von Mitgliedern auf der Grundlage eines katastrophal niedrigen Niveaus politischen Verständnisses plus der Betonung von Aktivismus auf Kosten der Kader-Erziehung die IST-Gruppen unvermeidlich zügelloser politischen Konfusion und Instabilität! Das kann nur durch ein bürokratisches Regime kompensiert werden.

Ein Bruch mit den schlimmsten bürokratischen und politisch opportunistischen Charakteristika des Cliffismus verlangt einen Bruch mit den theoretischen und programmatischen Kernpositionen, durch die er definiert ist. Diejenigen in der IST, die diesen Kampf aufnehmen mächten, werden die Politik der IST mit der revolutionären Tradition von Marx, Engels, Lenin und Trotzki vergleichen müssen. Sie werden auch die von den IST-Führern geförderte sektiererische Selbstzensur zurückweisen müssen, die ihre Mitglieder anweisen, höhnisch über andere Linke zu lachen und was sie sagen nicht zur Kenntnis zu nehmen. ISO-Mitglieder sollten die Ansichten aller Gruppen prüfen und sich selbst entscheiden. Zu diesem Zweck schließen wir mit einem kurzen Überblick über die charakteristischen ISO-Positionen, die sich in scharfem Gegensatz zum Weltverständnis des revolutionären Marxismus befinden.

  1. Cliff's bankrotte Theorie des Stalinismus

    Cliff und die IST sind am besten für ihre Theorie des Stalinismus als 'bürokratischer Staatskapitalismus' bekannt. Während es der Antistalinismus der Theorie den Cliffisten ermöglicht zu behaupten, es handelt sich dabei um eine ernsthafte marxistische Analyse, die durch den Zusammenbruch der stalinistischen Staaten ihre Bestätigung erfahren habe, ist in Wahrheit das Gegenteil der Fall.

    Unser Buch, 'The Life and Death of Stalinism', stellt unser Verständnis des Stalinismus als eines deformierten verstaatlichten Kapitalismus vor, der auf den usurpierten Errungenschaften der Revolution von 1917, vor allem auf dem nationalisierten Eigentum, beruht, was das stalinistische System zu einer besonders krisengeschüttelten Form des Kapitalismus machte. Wir analysieren Cliff's Theorie (so wie auch verschiedene Theorien vom 'deformierten Arbeiterstaat' und vom 'bürokratischen Kollektivismus') und erklären, weshalb diejenige von Cliff nutzlos für eine Vorhersage des Zusammenbruchs des stalinistischen Systems war. Cliff sagte voraus, daß der Stalinismus über den traditionellen Kapitalismus triumphieren werde, da der bürokratische Staatskapitalismus "die höchste Form, die der Kapitalismus je erreichen könne" sei. Daraus folgte, daß es "von einer im Besitz des Staates befindlichen und geplanten Wirtschaft kein Rückschreiten zu einer anarchischen, Privateigentums-Wirtschaft geben kann" (Tony Cliff. State Capitalism in Russia. London 1988. pp.188, 273). Die Realität hat das Gegenteil erwiesen.

    Als der Stalinismus in Osteuropa und in der UdSSR zusammenbrach weigerte sich die IST, die übriggebliebenen Errungenschaften der Arbeiterklasse zu verteidigen und applaudierte dem "Tod des Kommunismus". Privatisierung, sagten sie, sei keine Niederlage der Arbeiter, sondern ein "Schritt zur Seite",der für die Arbeiter kaum von Interesse sei. Cliff's Staatskapitalismus-Theorie erwies sich so gleichermaßen als Instrument der Vorhersage der Ereignisse wie als Anleitung zum Handeln als bankrott.

  2. Die Zurückweisung des leninistischen Kampfes gegen den Reformismus

    Die gesamte Geschichte des Leninismus und des Trotzkismus ist die eines unablässigen Kampfes gegen reformistische Irreführer der Arbeiterklasse. Einer der Kämpfe, die dem Bolschewismus Form gegeben haben, war der gegen den 'Ökonomismus' -- der Auffassung, daß man sich den Arbeitern im Wesentlichen mit Parolen und Argumenten für ihre unmittelbaren Kämpfe zuwenden solle und sich nicht mit der Kritik reformistischer Führer oder mit politischen Slogans beschäftigen solle, von denen man nicht glaube, daß sie sofort akzeptiert werden könnten. Eine solche Ansicht, die unter Sozialisten verbreitet ist, ist die, daß die Arbeiterklasse "spontan" revolutionär werden kann -- alleine auf der Grundlage ihrer Tageskämpfe ohne die erzieherische Hilfe der Organisation der klassenbewußtesten Arbeiter, der revolutionären Avantgardepartei.

    Lenin argumentierte, daß die ökonomistische Strategie letztlich darauf hinauslaufe, sich zu weigern, die reformistischen Führer herauszufordern, und diesen so helfe, die Arbeiter zu kontrollieren. Sowohl für Lenin als auch Trotzki konnte die Arbeiterklasse nur zu revolutionärem Klassenbewußtsein gelangen, wenn sie ihre eigene Kampferfahrung mit den unablässigen Bemühungen der revolutionären Partei kombinieren könnte, die Irreführer und die begrenzten Möglichkeiten, den Kapitalismus zu reformieren, zu entlarven.

    Der Cliffismus lehnt eine solche Methode ausdrücklich ab. Wie wir gesehen haben, besteht seine Methode darin, "die besten Aufbau" von Reformkämpfen zu sein, und sich gleichzeitig jeder ernsthaften Kritik an den reformistischen Führern zu enthalten, die eine bürokratische Zusammenarbeit erschweren könnte. Da die Arbeiterklasse ja durch Massenkämpfe "spontan revolutionär" werden kann, besteht weder eine Notwendigkeit, einen offenen Kampf für ein revolutionäres Programm gegen die Reformisten zu führen, noch irgendwelche Forderungen zu erheben oder Argumente vorzubringen, die dem aktuellen Verständnisniveau der meisten militanten Arbeiter "zu weit voraus" sind. Dieser Ansatz fördert natürlich reformistisches auf Kosten revolutionären Bewußtseins. Und es ist auch angesichts der Neigung reformistischer Führer, Kämpfe zu verraten, keineswegs der beste Weg, die Arbeiterbewegung aufzubauen, sondern vielmehr ein sicherer Weg, sie in die Niederlage zu führen.

    Wahre Marxisten sehen einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Wunsch der Arbeiter, für Reformen zu kämpfen, und Reformismus -- der Ideologie, die der Revolution ein Programm für eine Reform des Kapitalismus entgegenstellt. Aber die Cliffisten (gleichden meisten zentristischen Gruppen) glauben wirklich, daß die Arbeiter durch ein Stadium reformistischen Bewußtsein gehen müssen, bevor sie revolutionäre Ansichten annehmen können. Um diesen Prozeß zu beschleunigen, ermutigen sie die Unterstützung für Reformisten in der Hoffnung, daß das die Militanz unter den Arbeitern ermutigen werde.

    Das führt die Cliffisten in einer Zeit, da sich die Krise des Reformismus vertieft, zunehmend dazu, die schwächer werdenden reformistischen Führer zu stärken oder sogar zu ersetzen. So eilen die Cliffisten in Großbritannien während sich die Labour-Linke in ihrem Todeskampf befindet, eine rein reformistische -- in der Tat volksfrontartige -- Wahlkampagne nach dem Bild von 'old Labour' zu unterstützen. Gleichermaßen wird die ISO in den USA, wo sich die Krise des Liberalismus der Demokratischen Partei vertieft, dahingezogen, den Mann zu unterstützen, der versucht, diesen wiederzubeleben -- Ralph Nader. Die Cliffisten denken, daß sie heute die reformistischen Führer aufbauen werden, nur um sie morgen schon auszutricksen, indem sie deren Anhänger rekrutieren. Aber alles, was sie wirklich tun, ist den Reformismus wiederzubeleben und zu einer Kraft aufzubauen, die in der Lage ist, weitere Kämpfe in die Niederlage zu führen.

  3. Die Ablehnung der leninistischen Avantgardepartei

    Lenins Konzeption der revolutionären Vorhutpartei beruht auf der Notwendigkeit, daß sich die klassenbewußtesten Arbeiter selbst als eine Alternative Führung ihrer Klasse in offenem und kompromißlosen Kampf gegen die reformistischen Führer organisieren. Der Cliffismus weist diesen Ansatz zurück und stellt sich statt dessen als sie bessere Führung für reformistische Kämpfe dar; die revolutionäre Partei ist für ihn in der Tat ein 'Netzwerk von Militanten' und nicht von bewußten Revolutionären. Das führt direkt dazu, das angebliche revolutionäre Programm zu verwässern, um es Sozialisten zu ermöglichen, sich mit 'Militanten' zu vereinen und Mitglieder auf der Basis einer minimalen politischen Übereinstimmung zu rekrutieren. Die einzige Garantie für den angeblich revolutionären Charakter der Organisation wird damit die allwissende Führung, die bereit ist jede neue Wendung bürokratisch zu erzwingen.

  4. Die Zurückweisung der Imperialismustheorie

    Trotz des offensichtlichen Ausblutens der 'Dritten Welt' durch miserable Löhne und lastende Schulden verneinen die Cliffisten, daß die Arbeiter und Bauern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas überausgebeutet sind. Sie betrachten die armen Länder, in denen die Mehrheit der Weltbevölkerung lebt, als für den internationalen Kapitalismus unwesentlich und im grunde außerhalb seiner Grenzen stehend. Ursprünglich leugneten die Cliffisten Lenin's Theorie, daß der Imperialismus das "höchste Stadium des Kapitalismus" kennzeichne; später benutzten sieden Begriff wieder aber ohne seinen Inhalt.

    Diese Haltung verschafft der IST eine Rechtfertigung dafür, sich imperialistischen Kriegen nicht entgegenzustellen, wenn sie das von ihren reformistischen Verbündeten isolieren würde. Die Cliffisten verteidigten so in den 50er Jahren Korea nicht gegen den UNO-Angriff, aber sie stellten sich in den 60ern auf die Seite Vietnams als es im Westen eine massive Antikriegsbewegung gab. Die SWP weigerte sich, Partei zu ergreifen als Großbritannien und Argentinien 1982 über die Malvinas (Falkland-Inseln) in einen Krieg gerieten, finden es aber leicht, die imperialistischen Angriffe auf den Irak und auf Serbien zu verurteilen, wenn diese von den USA angeführt werden.

  5. Die Leugnung der Existenz einer Arbeiteraristokratie

    Für wahre Marxisten ist der Reformismus nicht einfach ein Problem schlechter Ideen; er hat eine materielle Basis in der kapitalistischen Gesellschaft. Marx und Engels analysierten die Korruption der britischen Arbeiterbewegung im späten 19.Jahrhundert. Lenin machte daraus später ein zentrales Element in seiner Imperialismustheorie und erklärte, daß die Extraprofite, die aus den Kolonien gezogen würden, es den Kapitalisten ermöglichten, eine Schicht relativ privilegierter Arbeiter mit einem Interesse am Kapitalismus auszuhalten -- eine Arbeiteraristokratie. Diese Schicht bilde die soziale Grundlage des Reformismus und wende sich gegen die revolutionären Interessen der am meisten ausgebeuteten und unterdrückten Arbeiter.

    Lenin verstand, daß die Arbeiteraristokratie (und ganz allgemein die kleinbürgerlichen Mittelschichten der Gesellschaft), während auch sie der Unterdrückung und Ausbeutung durch den Kapitalismus unterworfen sei, bei Abwesenheit einer [revolutionären] Führung der Arbeiterklasse ihre zeitweiligen und partiellen Interessen am kapitalistischen System auf Kosten der Masse der Arbeiter verteidigen werde. Weil die unterdrücktesten Arbeiter nichts zu verlieren haben und vom Sturz des Kapitalismus alles zu gewinnen haben, repräsentiert ihr unmittelbares Interesse die historischen Interessen der Arbeiterklasse als ganzer, und sie sind es, die die eine besondere Rolle bei der Führung des Restes ihrer Klasse zu spielen haben. Eine Partei aufzubauen, auf die man sich beim Kampf für die Revolution verlassen konnte, bedeutete stets, dafür zu kämpfen, daß sie immer tiefere Wurzeln in den ausgebeutetsten Schichten ihrer Klasse schlägt.

    Das offensichtlichste Symptom der verbogenen Perspektiven der Cliffisten ist der soziale Charakter ihrer Mitgliederschaft und die politischen Ideen, die diese vertritt. Mag die IST in der Theorie auch die Existenz der Arbeiteraristokratie und der Mittelklasse generell ignorieren, so ist sie doch in der Praxis an diese gebunden. Die Tatsache, daß die ISO so viele Mitglieder aus Elite-Colleges bezieht, erklärt zu einem guten Teil ihre patzige Besserwisser-Haltung. Sie bestimmt auch, daß sie sich mit einer politischen Perspektive wohlfühlt, die Arbeiter als Kinder behandelt, die erschrecken werden, wenn man ihnen die harte Wahrheit erzählt -- daß nämlich der Sozialismus für das menschliche Überleben notwendig ist und daß eine Arbeiter-Vorhutpartei notwendig für den Sozialismus ist. Statt dessen erwartet die IST, daß die Arbeiter unbewußt zum Sozialismus geführt werden, indem man sie durch die Reifen nur der unmittelbarsten und partiellsten Forderungen springen läßt.

  6. Das Mißachtung der Arbeiteraristokratie für die Unterdrückten

    Vor allem in den Vereinigten Staaten ist ein grundlegendes Verständnis der rassischen Unterdrückung für jeden Revolutionär eine absolute Notwendigkeit. Die rassische Spaltung der Arbeiterklasse wirkt dahin, daß Farbige zu einer Quelle superausbeutbarer Arbeit werden und dazu gleichzeitig dienen, weißen Arbeitern materielle Privilegien zu verschaffen, was deren Unterstützung für den Kapitalismus und ihre Feindschaft gegenüber einem gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse fördert. Der Kapitalismus spaltet so die Arbeiterklasse und benutzt die Konkurrenz zwischen beiden Gruppen, um die Löhne und Arbeitsbedingungen aller Arbeiter zu drücken.

    Für die Cliffisten allerdings ist der Rassismus kaum mehr als eine Reihe schlechter Ideen in den Köpfen der weißen Arbeiter. Callinicos schrieb: "Das Höchste, was die weißen Arbeiter dabei gewinnen können, ist der imaginäre Trost, Mitglied der höheren Rasse zu sein, der dazu beiträgt, sie für ihre wahren Interessen blind zu machen" (Race and Class, p.44; dtsch. 'Rasse und Klasse', Köln 1992, S.23).

    Nur die aller privilegiertesten und blasiertesten "Sozialisten" könnten nicht sehen, daß farbige Arbeiter stärker ausgebeutet und verarmt sind als weiße Arbeiter, daß weiße Arbeiter Vorteile in Hinblick auf jeden Aspekt des Lebens vom Arbeitsplatzangebot, Wohnung, Ausbildung und der Freiheit von den schlimmsten Formen der Belästigung durch die Polizei genießen. Weiße Arbeiter wird man nur durch einen kompromißlosen Kampf gegen jede Form rassistischer Unterdrückung und Privilegien von den rassistischen oder einfach konservativen Anschauungen, die viele von ihnen vertreten, befreien können. Trotz der Gegnerschaft der ISO gegen den Rassismus wird ihre Theorie sie unvermeidlich in die falsche Richtung führen, sobald die Kämpfe der Schwarzen und Latinos sich direkt gegen die Interessen der Arbeiterbürokratie richten. Ihre wachsende Unterstützung für Ralph Nader, dessen Verachtung für die Kämpfe der Unterdrückten offensichtlich ist, ist dafür ein Zeichen.

  7. Das 'Sozialismus von unten'-Trugbild

    Die IST faßt ihre politischen Anschauungen unter dem Begriff 'Sozialismus von unten' zusammen. Das, so glauben sie, unterscheidet sie von allen Arten von 'Sozialismus von oben' wie dem Stalinismus und dem wahlorientierten Reformismus. In der Tat mag diese demokratische, populäre und aktivistische Formel wie eine gesunde Alternative im Interesse der Arbeiteiterklasse aussehen.

    Aber der 'Sozialismus von unten' des Cliffismus ist in Wirklichkeit ein Ausdruck seiner niedrigen Einschätzung der Arbeiterklasse, eine elitistische Konzeption seiner eigenen Rolle. Wir haben gesehen wie die Cliffisten ihr angebliches Engagement für die Massen durch ihre abwertende Haltung gegenüber den Unterdrückten und ihr Weißwaschen des Imperialismus verraten. Und wie die Cliffisten, indem sie sich weigern, gegen die reformistischen Illusionen der Arbeiter aufzutreten, sie nur zur Unterstützung für die reformistischen Führer ermutigen, die die Massen versklavt halten.

    Ähnliche Formeln wurden auch schon zu Lenin's Zeiten propagiert. Als Ultralinke, die die Notwendigkeit der Führung durch eine revolutionäre Partei im Namen den 'von unten' -- von den Massen und nicht von den Führern -- kommenden Sozialismus leugneten, wandte sich Lenin in den härtesten Worten gegen die ganze Idee: "Der Leser wird hoffentlich verstehen, warum dem russischen Bolschewik, der mit diesem Mechanismus [der Beziehung zwischen der revolutionären Partei und den Massen] vertraut ist und der beobachtet hat, wie sich dieser Mechanismus im Laufe von 25 Jahren aus kleinen, illegalen, unterirdischen Zirkeln entwickelte, das ganze Gerde, ob 'von oben' oder 'von unten', ob Diktatur der Führer oder Diktatur der Massen usw. als lächerlicher, kindischer Unsinn erscheinen muß, als eine Art Streit darüber, ob dem Menschen der linke Fuß oder die rechte Hand nützlicher ist." (Der 'linke Radikalismus', die Kinderkrankheit des Kommunismus. in LAW, Bd.31, S.34)

    Wenn auch nur, um die irreführende Formel der Cliffisten zurückzuweisen, kann man sagen, daß Lenin verstand, daß revolutionäres Klassenbewußtsein sowohl von unten wie von oben kommt: von den unmittelbaren Interessen und Kämpfen der ausgebeutetsten Massen in den Tiefen der Arbeiterklasse und von den klassenbewußtesten Arbeitern, die in einer 'Elite', einer revolutionären Avantgardepartei organisiert sind; von den Lexionen, die von der Partei gelehrt werden, und von der Art und Weise, wie diese durch die Erfahrungen der Massen im Kampf bestätigt werden.

    In diesem Kampf steht der Cliffismus in der Tat in der Mitte, zwischen dem offenen Reformismus der Sozialdemokraten und dem wahren revolutionären Marxismus. Das ist nur ein Ausdruck der kleinbürgerlichen Klassen, auf denen der Cliffismus wirklich beruht, der Intellingenzia und der Arbeiteraristokratie, deren Existenz er bestreitet.

(aus: Proletarian Revolution, No.61, New York, Summer 2000)

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