Unser Standpunkt:
Nein zu neuen reformistischen Parteien!
von Sy Landy
Wir nähern uns einer kritischen Situation in der politischen Geschichte der Linken. Überall in der Welt haben führende Teile der ‘äußersten Linken' eine dramatische Wendung zum Reformismus vollzogen. Im Bemühen, das politische Vakuum zu füllen, daß durch den Zusammenbruch des Stalinismus vor einem Jahrzehnt und durch die parallele Entwicklung nach rechts bei der Sozialdemokratie und den ‘Labour'-Parteien hinterlassen wurde, bilden jetzt linke Organisationen, die zuvor davon gesprochen hatten, bolschewistisch-leninistische Avantgardeorganisationen aufzubauen, reformistische Parteien und Blöcke, die auf sozialdemokratische Programme eingeschworen sind.
Wir sprechen nicht von der Unterstützung für Reformen innerhalb des Kapitalismus, was Revolutionäre häufig tun. Was wir heute sehen, ist eine vollständige Annahme der gegen die Arbeiterklasse gerichteten reformistischen Ideologie zusammen mit Versuchen, ganze reformistische Institutionen neuzugründen, um die diskreditierten zu ersetzen. In einigen Fällen führen die Linken bereits die Logik ihres Wechsels weiter, indem sie versuchen, offen populistische Parteien der Klassenkollaboration und Volksfronten aufzubauen oder zu unterstützen.
Nicht zufällig findet diese Hinwendung zum flicken der kapitalistischen politischen Struktur zu einer Zeit statt, da sich das System selbst wieder einmal als unrefomierbar erweist. Zeitweilige Auf- und Abschwünge können nicht die Tatsache verdecken, daß die globale Wirtschaft sich im Niedergang befindet. Die Überausbeutung ist allgegenwärtig. Die Kluft zwischen den extrem reichen Kapitalisten und der zunehmend verarmenden Arbeiterklasse vergrößert sich, und die Mittelschichten zerfallen. Der Reformismus hat sich als Flop erwiesen: das ist der Grund, weshalb die Mainstream-Sozialdemokraten und Liberalen, deren festeste soziale Basis stets in der Mittelklasse und Arbeiteraristokratie gelegen hat, sich so schnell nach rechts entwickeln. Der Reformismus des zweiten Aufgebots bei der extremen Linken hat noch weniger Substanz. Sein Programm ist weniger als illusorisch: es führt angesichts der sich vertiefenden Krise des Systems gefährlich in die Irre.
In der Sprache des Bolschewismus-Leninismus sind diejenigen ‘Zentristen', die sich auf der einen Seite für die Revolution und die unabhängige Organisierung der fortgeschrittendsten Sektoren der Arbeiterklasse erklären, anderseits aber den Reformismus praktizieren. Gestern noch haben die Zentristen, unwillig, selbst kleine taktische Differenzen im Interesse der Einheit hintanzustellen, in jedem Land der Welt eine große Zahl verschiedener Gruppen unterhalten. Heute beginnen sie, sich zusammenzutun, aber nicht etwa, um auch nur rhetorisch vereinigte Organisationen zustande zu bringen, sondern sie schließen die wenigen noch übriggebliebenen linksreformistischen Politiker in ihre Arme und versuchen, zusammen mit ihnen die absterbende Sozialdemokratie wiederzubeleben.
Lenin und Trotzki haben uns gelehrt, daß Reformismus und Populismus in eine progressive Sprache gekleidete konterrevolutionäre Doktrien sind. Authentische Kommunisten, die in Opposition zum gegenwärtigen Trend den Tod des Reformismus begrüßen und sein Wiederauferstehen bekämpfen, müssen sich zusammenfinden und diesen neuen Betrug bekämpfen. Als Antwort auf die zentristische Wende zum Reformismus müssen Kommunisten ihre Anstrengungen verdoppeln, um in ihren jeweiligen Ländern die revolutionäre Partei des Proletariats als Teil einer politisch wiederhergestellten echten Vierten Internationale wiederzuerschaffen.
Der neue Reformismus
Die verbreitetste und vielleicht größte Strömung der Zentristen weltweit, das ‘Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale' (VSVI), steht kurz davor, endgültig seinen Anspruch aufzugeben, an der Konzeption und dem Programm des Trotzkismus festzuhalten. Dieser Schritt wird die wirkliche Praxis der meisten seiner Anhänger -- sich ununterscheidbar mit dem linken Reformflügel der Sozialdemokratie zu vermischen -- besiegeln.
Eine Vorreiterrolle bei der aktuellen Wende hat das ‘International Socialist Movement' in Schottland gespielt, eine Gruppe, die das ‘Committee for a Workers International' (CWI), die ehemalge ‘Militant Tendency', verlassen hat. Das ISM hat die ‘Scottish Socialist Party' (SSP) lanciert, eine leicht linke Organisation, die unter dem Banner des Nationalismus und des parlamentarischen Weges zur Macht angetreten ist und einen Sitz im neuen schottischen Parlament errungen hat. Die schottischen Anhänger des verstorbenen Tony Cliff und der britischen ‘Socialist Workers Party' (SWP) haben sich bereits in diese neue Partei aufgelöst.
In England und Wales spielt die SWP die Hauptrolle bei der ‘Socialist Alliance' (SA), ein Vor-Partei-Wahlblock, der bei den Parlamentswahlen vom Juni 2001 gegen Tony Blair's ‘New Labour Party' angetreten ist. Zusammen mit der SWP umfasst der Block den größten Teil der zentristischen Linken: die ‘Workers Liberty'-Gruppe, die ex-stalinistische ‘Communist Party of Great Britain' (CPGB, Herausgeber des 'Weekly Worker'), ‘Workers Power' (die führende Sektion der ‘Liga für eine revolutionär-kommunistische Internationale', LRKI), die ‘International Socialist Group' des VSVI (Herausgeber von ‘Socialist Outlook') und kleinere Gruppen. Die ‘Socialist Party' des CWI steht zur Zeit mit einem Fuß innerhalb und mit einem Fuß außerhalb der SA, obwohl ihre politischen Differenzen bloß taktischer Natur sind.
Der britische Bergarbeiterführer Arthur Scargill hatte schon früher den Versuch unternommen, durch die Gründung der ‘Socialist Labour Party' (SLP) für die Parlamentswahlen von 1997 eine alternative reformistische Partei zu schaffen. Heute konkurriert sie bei Wahlen als ebenso reformistisch aber stalinistisch angehauchter Verein mit der neueren SA.
In Deutschland tendierten zu Beginn Elemente der äußersten Linken, namentlich Freunde des VSVI und die LRKI-Sektion (‘Gruppe Arbeitermacht') zu Gregor Gysi's gar nicht so linker ex-stalinistischer ‘Partei des Demokratischen Sozialismus' (PDS). Aber die PDS ist so schnell offen den Weg der Kapitulation gegangen, daß der größte Teil der äußersten Linken bereits wieder abgefallen ist und auf eine Formation mit weniger starkem reformistischen Geruch wartet. In Frankreich hat ‘Lutte Ouvrière' zwischenduch zu einer neuen Arbeiterpartei auf einer vagen programmatischen Basis aufgerufen, während die ‘Ligue Communiste Révolutionnaire' (LCR im VSVI) einen Schritt weitergeht und sich um die Schaffung einer neuen radikalpopulistischen Partei bemüht. Anderswo in der Europäischen Union versuchen verschiedenste zentristische Gruppen, irgendeine Art von gemeinsamer Partei auf der Basis eines nicht-revolutionären Programms zu schaffen.
In Australien gehören zur nach britischem Vorbild geschaffenen neuen ‘Socialist Alliance' die pro-stalinistische ehemals zum VSVI gehörende ‘Democratic Socialist Party', die cliffistische ‘International Socialist Organization', die ‘Freedom Socialist Party', die australische Zweigorganisation der ‘Worker-Communist Party of Iraq', ‘Workers Power' (LRKI), ‘Socialist Democracy' und die inoffiziellen Cliffisten der ‘Socialist Alternative'. In Kanada diskutieren ebenfalls eine Reihe von zentristischen und grünen Gruppen die Bildung eines neuen reformistischen oder populistischen Blocks oder einer entsprechenden Partei. Der Sprung nach rechts auf Seiten der traditionellen reformistischen Labour-Partei, der ‘New Democratic Party', hat deren dezimierten linken Flügel in noch größerer Verwirrung als üblich zurückgelassen. Und in den USA hat ein Gemisch von Gewerkschaftsbürokraten unterstützt von radikalen Linken die sogenannte ‘Labor Party' gegründet, die in den Kulissen wartet, ohne Kandidaten aufzustellen (während ihre Führer weiter die bürgerlichen Democrats unterstützen) -- und das in der Hoffnung, irgendeinen zukünftigen Bruch der Arbeiter von der 'Democratic Party' fort kanalisieren zu können.
Teile der südafrikanischen Linken, die jüngst die ‘Workers List' als eine reformistische Wahlfront angeschoben haben, haben solche Versuche trotz des Mangels an Interesse seitens des großen revolutionär gesonnenen Teils des Proletariats nicht aufgegeben. Und obwohl ein älterer Versuch, die von Lula geführte brasilianische ‘Arbeiterparte' (PT), bereits auf einen Großteil ihres früheren Auftretens verzichtet hat, fesselt sie noch immer viele zentristische Organisationen in Lateinamerika und anderswo.
Offene Klassenkollaboration
Reformismus bedeutet seinem Wesen nach Klassenkollaboration. Der Schwenk der Zentristen ist daher nicht darauf beschränkt, reformistische Organisationen, die nominell in der Arbeiterklasse verwurzelt sind, wiederzuerschaffen. In Südafrika hat die dominante klassenkollaborationistische Linie ihren Ausdruck in der eifrigen Unterstützung gefunden, die linke Gruppen der vom bürgerlichen African National Congress (ANC) und der stalinistisch-reformistischen kommunistischen Partei geführten Volksfrontregierung gegeben haben. In Indonesien hat die ‘Peoples Democratic Party' (PRD), die in der Vergangenheit durch die Unterstützung für Megawati Sukarnoputri eine Volksfront-Linie eingeschlagen hatte, wie es scheint jetzt ihre Unterstützung auf den kürzlich gestürzten nicht minderbürgerlichen Präsidenten Abdurrahman Wahid übertragen. Dabei wurde sie von der australischen DSP unterstützt.
In England fand der Ausfall nach rechts keineswegs mit der Schaffung der Socialist Alliance sein Ende: die Bürgermeisterwahlen des Jahres 2000 sahen die gleichen Zentristen Ken Livingston und seinen offen volksfrontartigen Wahlkampf unterstützen. In den USA unterstützten die unterdess ausgeschlossenen Cliffisten der ‘International Socialist Organization' (ISO) sowie die ‘Socialist Alternative' der CWI (1) mit großer Energie die von Ralph Nader und den mittelklasse ‘Grünen' geführte liberal-populistische Wahlkampagne. In Zimbabwe haben die Cliffisten sich beim Überschreiten der Klassenlinie selbst übertroffen. Sie traten in das ‘Movement for Democratic Change' (MDC) ein, kandidierten auf einer gemeinsamen Wahlliste und dienten ihm damit als linkes Feigenblatt. Die Gründung des MDC war ursprünglich von den Gewerkschaften initiiert worden, es wurde aber vollständig von pro-kapitalistischen Bürokraten und Politikern übernommen, die dafür sorgten, daß die Partei keine organisatorischen Beziehungen mit den Gewerkschaften hat und frei ist, Sprachrohr der großen städtischen Kapitalisten und der weißen Landbesitzer zu sein -- eine Tatsache, die die ISO(Zim) offen zugibt!
Das Vorbild für die britischen Socialist Alliance ist die italienische Rifondazione Comunista (PRC), die bereits den Beweis dafür angetreten hat, daß neue reformistische Parteien keine Alternative zu den alten sind. 1995 stimmte die PRC im Parlament für das Sparprogramm des Ministerpräsidenten und rettete damit die bürgerliche Regierung. Danach unterstützte sie die volksfrontartige ‘Olivenbaum-Koalition', die ein Sparprogramm gegen die Arbeiter durchsetzte. Livio Maitan, eine Führer des VSVI (2), sitzt in der Führung der Rifondazione, und Mitglieder der zentristischen ‘Internationalen Trotzkistischen Opposition' (Herausgeber der Zeitschrift Proposta) waren dort auch als organisierte Tendenz vertreten.
In der Ukraine fanden sich die falschen Trotzkisten in der dem CWI angeschlossenen Organisation ‘Rabotnitschii Sprotiv' (Arbeiterwiderstand) in der Nationalen Rettungsfront, dem bürgerlichen Oppositionsblock, der den damaligen Ministerpräsidenten Yuschtschenko unterstützte. Das wäre schon schlimm genug gewesen, auch wenn zur NRF keine faschistische Organisation gehört hätte. Die der LRKI freundschaftlich verbundene Gruppe ‘Robitnitschja Wlad/Molodije Revolutionije Marksisti' (Arbeitermacht/Junge Revolutionäre Marxisten) hat die NSF als progressiv bezeichnet, sich ihr aber noch nicht angeschlossen.
Historischer Verrat
Die neue Rechtswende ist natürlich nicht die erste ihrer Art in der Geschichte der sozialistischen Linken. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts predigte die Sozialdemokratie innerhalb der Arbeiterbewegung die utopische Lüge, daß der Kapitalismus durch Klassenzusammenarbeit reformiert und menschlich gemacht werden könne. Das war ein Betrug von weltgeschichtlichem Ausmaß, der zur Unterstützung des ersten imperialistischen Weltkriegs und blutigem Brudermord für die internationale Arbeiterklasse führte.
Nach der bolschewistischen Revolution verlor der sozialdemokratische Betrug für ein zunehmend revolutionären Proletariat weltweit viel von seiner Anziehungskraft. Mit der Isolation der Revolution und dem Wachsen des Stalinismus wurden der Reformismus und die Klassenkollaboration von den neuen Betrügern als ‘Volksfront' umgekleidet. Diese Unterordnung der Unabhängigkeit der Arbeiterklasse war der nächste Betrug von welthistorischer Bedeutung, einer der zur erfolgreichen Konterrevolution in der UdSSR beitrug, dem Faschismus den Weg bereitete und für Unterstützung für den zweiten imperialistischen Weltkrieg sorgte. Für nahezu 70 Jahre seit Mitte der 30er haben die stalinischen Kommunistischen Parteien die Ideologie der Klassenkollaboration in Form des Populismus und der Volksfront verbreitet.
Die heutige Wende ist ein weiterer welthistorische Akt des Klassenverrats. Niemand sollte sich durch die Tatsache täuschen lassen, daß die Täter noch immer Zentristen sind, die zwischen Reformismus und Revolution schwanken und nicht Kräfte, die bereits bewiesen haben, daß sie konterrevolutionär sind. Wenn die gegenwärtige Rechtswende nicht aufgehalten wird, dann wird es auch ihr Schicksal sein, dieses kriminelle Ende zu finden.
Wir können uns auch nicht dadurch täuschen lassen, daß die Kräfte des internationalen Zentrismus heute vergleichsweise schwach und noch gespalten sind. Die grundlegende und sich vertiefende Krise des Kapitalismus ist dabei, erneut das Potential für revolutionäre Erhebungen der Arbeiterklasse und Massenstreiks in einem Land der Welt nach dem anderen hervorzubringen. Als Ergebnis der Verwüstung, die die Sozialdemokratie und der Stalinismus mitsichgebracht haben, gibt es erst wenig fortgeschrittenes Bewußtsein innerhalb der internationalen Arbeiterklasse, und dieses ist zerbrechlich und noch leicht politisch zu korrumpieren. Und der Zentrismus hat ungeachtet seines aktuellen Mangels an Größe und Kraft in vielen Ländern den größten negative Einfluß unter der Vorhut der Arbeiter und der kommunistisch gesinnten Militanten.
In dem Maße, wie der Kampf an Tempo gewinnt und das Bewußtsein wächst, werden Zentristen in der Lage sein, weitaus entscheidendere Sektoren der Arbeiterklasse irrezuführen als jene, die ihnen heute folgen. Sie schaffen prophylaktische Fallen, die zu ernsten Hindernisswen für die Wiedererschaffung der Weltparteider sozialistischen Revolution werden könnten.
Die der Wende zu Grunde liegenden Bedingungen
Während der Prosperitätsperiode nach dem Zweiten Weltkrieg gewannen die Sozialdemokratie und der Stalinismus in vielen Ländern unter der Arbeiterklasse an Kraft und behielten sie auch. Der Kapitalismus in seiner imperialistischen Form war in der Lage, genügend Zugeständnisse zu machen, um bedeutenden Sektoren der Arbeiterklasse einen materiellen Anreiz zu verschaffen, das System aufrecht zu erhalten. Die Arbeiteraristokratie und die bürokratischen technischen und professionellen Mittelklassen wuchsen. Unter solchen Bedingungen wurden durch Massenkämpfe und die Drohung mit der Revolution gewonnene Reformen genutzt, um die Doppelideologie von Reformismus und klassenübergreifendem Populismus zu fördern.
Als in den späten 60ern und frühen 70ern die tiefliegende ökonomische und soziale Krise des Systems wieder an die Oberfläche kam, brachen überall in der Welt proletarische Erhebungen und massive Generalstreiks aus. Die Sozialistischen-, Kommunistischen- und Labour-Parteien versuchten, die Arbeiterkämpfe aus der Bahn zu werfen. Trotz ihres zeitweiligen Erfolgs dabei trug der Zynismus, den sie dabei hinterließen, in hohem Maße dazu bei, daß ihre Fähigkeit, die Masse der Arbeiter wirklich zu kontrollieren, beständig abnahm. Während der Erhebungen redeten die Zentristen angesichts der in Bewegung begriffenen Massen und der potentiell revolutionären Situationen linker, paßten sich aber grundsätzlich den reformistischen und radikalen Mittelklasse-Kräften an und versäumten es, einen alternativen kommunistischen Pol zu bilden. Schließlich konnten die Zentristen, wenn sie auch wegen ihrer revolutionären Rhetorik zahlenmäßig stärker wurden, die alten heruntergekommenen reformistischen Parteien nicht ablösen.
Die Verhinderung der Revolution beendete keineswegs die tödlichen Widersprüche, mit denen die Herrschenden dieser Welt konfrontiert waren. Das stalinistische Osteuropa und die UdSSR selbst waren die ersten, die unter dem Eindruck des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der massiven Wiederzunahme proletarischer Aufstände in den 80ern explodierten. Wenn auch die Revolutionen von bürgerlichen mit dem Westen sympathisierenden imperialistischen Kräften gestohlen wurden, beschleunigte doch der Abgang des Stalinismus im Osten den Einfluß der reformistischen KPs innerhalb der Arbeiterbewegung in der restlichen Welt.
Die Krise des Kapitalismus verzehrte bereits Errungenschaft der Arbeiterklasse im fortgeschrittenen imperialistischen Teil der Welt sowie auch in der ehemals kolonialen und halbkolonialen Welt. Die Arbeiteraristokratie und die Mittelklassen zerfielen langsam, wobei ein kleiner Teil in die Bourgeoisie aufstieg, während der große Rest in die schlechter bezahlte Arbeiterklasse oder in sogar noch stärker mitgenommene Schichten herabgedrückt wurde. Der stalinistische Zusammenbruch beschleunigte den Niedergang von all dem, was noch von der traditionellen Loyalität der ehemaligen Anhänger der Kommunistische Parteien in der Arbeiterklasse einiger Länder übriggeblieben war. Reformistische Parteien bewahrten ihre Stärke bei Wahlen, kaum aber auch nur einen Abglanz der engagierten Unterstützung, die sie einst genossen hatten. Und unter den militantesten Elementen und den bewußteren Sektoren der Avantgarde nahm die Verachtung für die Reformisten nicht gekannte Ausmaße an.
In dem Maße, wie sich die Krise vertiefte und die Arbeiterklasse im Westen sich wieder zu rühren begann, fingen die traditionellen reformistischen Staatsmänner an, selbst ihren früheren fadenscheinigen Bezug auf den ‘Sozialismus' und die Arbeiterklasse über Bord zu werfen. Das Fehlen einer gut organisierten revolutionären Alternative überzeugte die Bonzen der Arbeiterbewegung davon, daß sie noch weiter nach rechts hin zu offenem Liberalismus und Wählern aus der Mittelklasse rücken könnten, ohne zu viele Stimmen aus der Arbeiterklasse zu verlieren. Gleichzeitig sehen diese reformistischen Führer, wo sich die Wirtschaftskrise verschärft und die Arbeiterklasse deutlich Hinweise darauf gibt, daß sie in immer mehr Teilen der Welt ihre Massenkämpfe wieder aufnehmen wird, die Gefahr am Horizont auftauchen. Sie streben deshalb noch mehr zur Macht der Großbourgeoisie hin.
Die Enge der Beziehungen zwischen Tony Blair von der britischen Labour Party und dem US-Demokraten Bill Clinton zeigen, daß die Rechtswende der alten dominanten Reformisten die noch vorhanden politischen Unterschiede, die sie einst zu offen bürgerlich liberaler Ideologie zu haben behaupteten, praktisch eliminiert hat. In der Tat bewegen sie sich zu einem Zeitpunkt auf offen liberale Positionen zu, da der Liberalismus selbst konservativ wird. So ist auf Seiten der reformistischen Linken ein Vakuum entstanden, daß die faszinierte Aufmerksamkeit der Zentristen auf sich gezogen hat. Daher also die Geburt der neuen "sozialistischen" Wahlformationen und Wahlblocks, die Zentristen mit verwirrten linken Labour-Anhängern sowie den Mittelklasse-radikalen ‘Grünen' und anderen die Bourgeoisie unterstützenden Elementen kombinieren. Die Pseudorevolutionäre kundschaften jetzt beim Versuch, neue "sozialistische" Institutionen als Ersatz für die abtrünnigen früheren Führer zu schaffen, verschiedene Formen aus.
"Revolutionäre" Doppelzüngigkeit
Bei ihrer Wende bedienen sich die verschiedenen Zentristen dessen, was George Orwell ‘doublespeak' nannte. Sie benutzen den Begriff ‘sozialistisch', um die neuen Blöcke, die sie bilden, zu bezeichnen und um so zu rechtfertigen, daß sie ihr angeblich revolutionäres Programm zu Gunsten von Vorschlägen begraben, die gemäßigt linke Reformisten nicht stören sollen. Und um sicherzustellen, daß sie mit ihren neuen Programme weder bei Reformisten noch bei Populisten Anstoß erwecken, benutzen sie auch möglichst wenig das ‘s'- (sozialistisch) und vorallem das ‘r'-Wort (revolutionär), wenn sie ihre Forderungen aufzählen. Als ein Echo auf die altehrwürdige stalinistische Propaganda für Volksfronten und die "Volksdemokratie" betonen sie zunehmend den angeblichen progresssiven Charakter des Populismus.
Darüber hinaus bedienen sie sich klassenunspezifischer Termini wie ‘antikapitalistisch', um die wachsenden Proteste gegen die Weltwirtschaft zu beschreiben. Diese Demonstrationen sind wichtig, aber in ihrer Zusammensetzung klassenübergreifend. Zusammen mit Anarchisten, Liberalen, radikalen Mittelklasse-Umweltschützern, Erznationalisten, Zurück-zur-Natur-Vertretern, Gewerkschaftern, subjektiv revolutionären und wirklich revolutionären Menschen ziehen sie auch solche an, die noch nicht poplitisch bewußt sind. Sie werden meistens von Kleinbürgern und Vertretern der Arbeiterbürokratie geführt, deren Antwort auf den globalen Imperialismus ein in nationalem Chauvinismus und Protektionismus wurzelnes reaktionäres Programm ist.
Die Masse der Aktivisten ist noch immer verwirrt und hat ein gemischtes Bewußtsein; aber ihre grundlegenden Interessen und ihr Wunsch, die weltweite Unterdrückung zu bekämpfen, werden von diesen Irreführern verraten. Wie Lenin und Trotzky betont haben, kann die reformistische Sichtweise bei den Aktivisten der Arbeiterklasse vorübergehend sein; bei den Führern aber ist sie permanent, denn sie spiegelt ihre langfristigen Interessen und ihre Rolle in der Gesellschaft wieder. Deshalb ist es unbedingt nötig, an diesen gemeinsamen Aktionen teilzunehmen; aber zur gleichen Zeit ist es nötig, die prokapitalistischen Programme der liberalen und reformistischen Führer zu entlarven. Es ist kriminell, die Verrater an der Arbeiterklasse dadurch zu legitimieren, daß man sie unter dem gemeinsamen und empörend falschen Begriff des "Antikapitalismus" mit denen, die von ihnen verraten werden, in einen Topf wirft.
Die Zentristen hoffen, die ‘Antiglobalisierungsbewegung' für ihre neuen Formationen zu gewinnen. Ihre Aversion dagegen, die reformistischen Arbeiterführer und "fortschrittlichen" Führer anzugreifen, beruht zum großen Teil auf der Notwendigkeit, diese Elemente zu gewinnen, um den Blöcken bürgerliche Legitimität zu verschaffen. Die Zentristen fürchten, daß ihre neuen Bündnisse ohne die reformistischen Berühmtheiten kaum eine Chance haben, ernst genommen zu werden und die erhoffte Authentizität zu erlangen.
Vorallem die Cliffisten sind dafür bekannt, daß sie sich weigern, die Reformisten, mit denen sie zusammenarbeiten, zu kritisieren. Deshalb ist es eine Ironie, wenn sie in der theoretischen Zeitschrift der ‘Socialist Workers Party' (SWP-GB) das, was sie als Trotzki's "allgemeine Zusammenfassung der Vereinigten Front" bezeichnen, zitieren und erklären, weshalb es notwendig ist, genau das zu tun, was sie eben nicht tun:
"Die Kommunistische Partei beweist den Massen und ihren Organisationen ihre Bereitschaft, gemeinsam mit ihnen Kämpfe durchzuführen für Ziele, gleich wie bescheiden, so lange wie diese auf dem Weg der historischen Entwicklung des Proletariats liegen; die Kommunistische Partei berücksichtigt bei ihrem Kampf den wirklichen Zustand der Klasse in jedem gegebenen Augenblick; sie konfrontiert die reformistischen Organisationen vor den Augen der Massen mit wahren Problemen des Klassenkampfes. Die Politik der Einheitsfront beschleunigt die revolutionäre Entwicklung der Klasse, indem sie die Tatsache offenlegt, daß der gemeinsame Kampf nicht durch die zerstörerische Aktion der Kommunistischen Partei, sondern durch die bewußte Sabotage seitens der Führer der Sozialdemokratie untergraben wird." (Zitiert aus The Struggle Against Fascism in Germany, in "Anti-capitalism, reformism and socialism" von John Rees, International Socialism No.90, London, Spring 2001)
Rees fügt hinzu: "Trotzky hat über die kommunistischen Massenparteien und reformistische Massenparteien in den 30er Jahren geschrieben, aber der gleiche Ansatz kann heute von viel kleineren revolutionären Organisationen angewandt werden." Allerdings laden SWP, ISO & Co. oft Gewerkschaftsführer, Labour-Abgeordnete und andere offen reformistische Sprecher zu ihren Veranstaltungen ein -- und wir können ohne zu zögern garantieren, daß sie nicht ein einziges mal die "bewußte Sabotage" der Arbeiterkämpfe durch ihre ‘Einheitsfront'-Partner entlarvt haben. Das ist so, weil die ‘Socialist Alliances' keine wirklichen Einheitsfronten, die sich über gemeinsame Aktionen einig sind, sondern Propagandablöcke sind, in denen vermeintliche Revolutionäre ihre Programme denen ihrer reformistischen Partner unterordnen.
Der revolutionäre Schwanz
Der vielleicht korrupteste Versuch, dem Reformismus neues Leben einzuhauchen, ist der von Gruppen wie der ‘Communist Party of Great Britain' (CPGB) und ‘Workers Power' in Großbritannien, die sich als die äußerste Linke der Bewegung betrachten. Sie tun alles, was ihnen möglich ist, um die reformistischen Gruppierungen aufzubauen und applaudieren deren Wahlbemühungen -- und rechtfertigen das alles, indem sie behaupten, sie versuchten diese Blöcke für ein revolutionären Programm zu gewinnen. Natürlich werden sie die offen reformistischen Führer niemals davon überzeugen können, ihr Programm zu akzeptieren; und deswegen werden sie auch niemals ihre Mitopportunisten in der restlichen äußersten Linken überzeugen. Wenn es irgendeine Chance dafür gäbe, daß sie wirklich erfolgreich wären, dann würde das den ganzen Zweck der Wende hinfällig machen und das Ende dieser verrotteten Blöcke bedeuten. Deshalb stoßen sie, sobald ihre diplomatisch vorgeschlagenen Slogans sicher abgelehnt worden sind, einen erleichterten Seufzer aus und beteiligen sich mit ganzen Herzen am reformistischen Wahlzirkus. Ihre ‘Übergangs-' und ‘revolutionären' Interventionen sind ein Vorwand, der traurigerweise ihren Anhänger -- und sogar ihren selbst -- weismacht, sie verhielten sich wie Bolschewiki.
Insbesondere ‘Workers Power' behauptet, ihre Methode sei die von Trotzkis Übergangsprogramm. Aber das Übergangsprogramm war ein offener und glühender Angriff auf den Reformismus und kein Versuch, ihn von der linken Flanke her zu decken.
Man beachte die Frage der Labor Party in den Vereinigten Staaten in den späten 30er Jahren, ein Beispiel dafür, daß Trotzki die Bildung einer neuen Partei der Klasse unterstützte. Trotzkis Unterstützung für eine Labor Party beruhte auf der Tatsache, daß sich der Massenkampf der Klasse auf der Ebene des Betriebs und der Ökonomie erschöpft habe und zu einer politischen Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat übergehen müsse. Er sagte voraus, daß sich eine Bewegung bei den Arbeitern entwickeln werde, die nach einer unabhängigen Partei auf der Basis der erwiesenen Militanz der neuen CIO-Gewerkschaften verlangen werde. Die Masse der Arbeiter werde an diesem Punkt nicht direkt zu den kleinen und relativ schwachen revolutionären Organisationen kommen. Vielmehr sähen sie die Kraft, die sie brauchten, als von den großen kämpferischen Gewerkschaften kommend.
Unter solchen Umständen wäre es dumm und sektiererisch gewesen, die kleine Avantgardepartei der großen Klassenpartei, die die Arbeiter verlangten, entgegenzustellen. Darüberhinaus war es noch offen, was für ein Parteiprogramm -- reformistisch oder revolutionär -- die Bewegung produzieren werde. Die Trotzkisten stimmten mit ihren Brüdern und Schwestern aus der Arbeiterklasse darin überein, daß sie eine Massenpartei für ihre Klasse brauchten, aber sie stellten dem reformistischen Programm der gewerkschaftlichen und stalinistischen Irreführer angemessene Übergangsforderungen entgegen.
Die Labor Party-Forderung sollte eine feindliche Herausforderung der CIO-Führung im Angesicht der Masse der kämpfenden Arbeiter sein, die Illusionen darin hatten, daß die Führer sich zur Unabhängigkeit und Militanz verpflichtet fühlten. Sie sollte die reformistischen Gewerkschaftsbürokraten dazu zwingen, mit der Democratic Party zu brechen und die Staatsmacht zu übernehmen -- oder aber deutlich als das dastehen, was sie, wie das die Revolutionäre offen kundtaten, waren: Schwindler.
Trotzki stellte ausdrücklich fest, daß das Programm, für das sie eintraten, nur von einer revolutionären Arbeiterpartei durchgeführt werden könne. "Es wäre absurd, zu sagen, wir träten für eine reformistische Partei ein." Das war das Ziel der Stalinisten und ihresgleichen.
Das Übergangsprogramm wurzelte in der Idee, daß die Arbeiter in zunehmendem Maße im Zuge des Klassenkampfes ihre grundlegenden materiellen Interessen verstehen würden. Wie Trotzki ausführte, kann Kampf an und für sich sowohl rückschrittliches als auch fortschrittliches Bewußtsein hervorbringen; der Schlüssel für den Erfolg der Kommunisten ist, daß die Arbeiter-Avantgardepartei ehrlich die revolutionären Lektionen im Gegensatz zu den konterrevolutionären reformistischen Betrügereien darlegt. "Warum nicht offen sagen, was ist? Ohne irgendeine Verkleidung, ohne irgendwelche Diplomatie."
Im Gegensatz dazu schlagen ‘Workers Power' vor, die SA sollten Übergangsforderungen wie die entschädigungslose Enteignung der Industrie durch den Staat stellen. Natürlich wird die Massen der Arbeiter, die solche Maßnahmen gut findet, angesichts der materiellen und ideologischen Macht des Kapitalismus zunächst die Durchführung einer solchen Maßnahme vom bestehenden Staat verlangen, anstatt sofort für die sozialistische Revolution zu optieren. Indem sie gemeinsam mit den Massen kämpfen, können Revolutionäre zeigen, daß nur die revolutionäre Partei ein solches Programm durch den Sturz der Bourgeoisie verwirklichen kann. Aber indem sie nicht darauf besteht, daß ihr Programm die Revolution und die kommunistische Partei erfordert, hilft ‘Workers Power' den reformistischen und pro-reformistischen Führern, die utopischen Illusionen in den kapitalistischen Staat aufrecht zu erhalten.
Der Unterschied zwischen Trotzkis Methode und der der heutigen Zentristen besteht darin, daß Trotzki vorschlug, daß die Labor Party auf einem schon stattfindenden, massivem Kampf der Arbeiterklasse basiere -- dessen Siege und Hindernisse den authentischen Kommunisten dabei helfen würden, viele Arbeiter davon zu überzeugen, daß ein revolutionäres Programm der einzige Weg voran sei. Die heutigen ‘Socialist Alliances' aber reflektieren für die Arbeiter keineswegs proletarische Stärke und Kampf. Sie erscheinen als eine linke Version der heutigen Labour Party. Aber sie sind diesen reformistischen Parteien definiv unterlegen, da sie eindeutig zu schwach sind, die gegenwärtige unheilvolle Situation zu verändern. In Großbritannien haben wir ein äußerst niedriges Niveau industrieller Streiks. In Australien war dieses höher, aber auch dort ist die Waffe des Streiks beileibe noch nicht ausgereizt. Die Arbeiterklasse hat noch in keinem der beiden Länder ihr Potential für einheitliche Aktion und ihre enorme Macht eingesetzt. Daraus folgt, daß die SAs nur fortgeschrittene revolutionär gesinnte Arbeiter vom Weg abbringen können, ohne die Massen unserer Klasse zu erreichen. Sie sind Formationen, die dazu dienen, bereits im Vorfeld zukünftige Massenerhebungen der Arbeiterklasse in eine Falle zu locken und zu zähmen.
In solchen Situationen kämpfen authentische Revolutionäre für den Generalstreik als Mittel, um die zukünftige von der Arbeiterklasse geführte Massenaktion zu einer politischen Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat werden zu lassen. Der Generalstreik ist eine Waffe, die am wirkungsvollten dann ist, wenn die Führung der Klasse schwach ist und die Massen sich noch nicht der Macht bewußt sind, die sie bei einer einheitlichen Aktion haben können. Sobald unsere Klasse sich ihrer Macht bewußt ist, ist alles möglich.
Bis jetzt sind weder die sogenannte ‘antikapitalistische Bewegung' noch die Kämpfe der Arbeiterklasse erfolgreich in die neuen reformistischen Formationen kanalisiert worden. Das liegt aber nicht daran, daß sich die Zentristen nicht bemüht hätten. Die Cliffisten und die anderen Hauptakteure nehmen bereits Abstand davon "abgelegene" Forderungen zu stellen oder die reformistischen Führer herauszufordern. Wenn die kommenden Massenausbrüche reif werden, werden ‘Workers Power' und gleichgesinnte Gruppen links davon ihre Fähigkeit einbüßen, die Art von radikalen Forderungen zu stellen, die ihre reformistischen Spielkamaraden abschrecken. Hoffentlich wird das subjektische Engagement einiger ihrer Anhänger es ihnen erlauben, mit solchen Organisationen und ihrer Rolle als linke Schwänze des reformistischen Drachen zu brechen.
Es ist bezeichnend, daß weder die SWP noch ihre weiter linken Verbündeten, die den Trotzkismus lauter für sich in Anspruch nehmen, zitieren wollen, was Trotzki über Wahlblöcke zu sagen hatte. Hier ist ein solches Zitat:
"Die Bolschewiki schlossen mit den revolutionären kleinbürgerlichen Organisationen praktische Übereinkommen.... Während der Wahlen zur Staatsduma beteiligten sie sich unter bestimmten Bedingungen bei der zweiten Runde an Wahlblocks zusammen mit den Menschewiki oder der Sozialrevolutionären. Das ist alles. Keine gemeinsamen ‘Programme', keine gemeinsamen und permanenten Institutionen, kein Verzicht auf die Kritik an ihren zeitweiligen Verbündeten. Solche vorübergehenden Übereinkommen und Kompromisse [waren] strikt auf praktische Ziele beschränkt -- und Lenin sprach nie von irgendeiner anderen Sorte..." (‘France at the Turning Point', March 1936, in Leon Trotsky on France, p.146)Oder wie Trotzki bezüglich des Blocks gesagt hatte, den zusammen mit den Sozialdemokraten zu bilden, er die deutschen Kommunisten aufgefordert hatte, um Hitler aufzuhalten:
"Keine gemeinsame Plattform mit der Sozialdemokratie oder mit den Führern der deutschen Gewerkschaften, keine gemeinsamen Publikationen, Banner und Plakate! Marschiert getrennt, aber schlagt gemeinsam! Einigt Euch darüber, wie zu schlagen ist, wer zu schlagen ist und wann zu schlagen ist!" ("Für eine Arbeitereinheitsfront gegen den Faschismus", Dezember 1931)Man vergleiche das damit, wie sich die SWP innerhalb der Scottish Socialist Party vergräbt und wie ‘Workers Power' und die CPGB dazu aufrufen, die ‘Socialist Alliances' zu einer dauerhaften "revolutionären" Partei zu machen.
Frühere Beispiele für die neue Wende
Die Schärfe der gegenwärtigen Wende der Zentristen ist qualitativ größer als alles, was sie in der jüngeren Vergangenheit getan haben. Wir müssen jedoch feststellen, daß viele der pseudo-trotzkistischen Strömungen auch in der Vergangenheit schon die Klassenlinie überschritten haben, als hätten sie sich auf die heutige Wende vorbereitet. Hier einige der bedeutenderen Beispiele:
- Die überwiegende Mehrheit der Gruppen, die das Erbe des Trotzkismus für sich in Anspruch nehmen, unterstützen nach wie vor das Konzept der ‘deformierten Arbeiterstaaten' -- d.h. sie glauben, daß proletarische Staaten geschaffen wurden, ohne daß es von der Arbeiterklasse geführte Revolutionen gab. Da darüber hinaus die Staaten Osteuropas und Ostasiens von Kommunistischen Partei geschaffen und geführt wurden, die offen in klassenkollaborationistischen Blöcken zusammen mit bürgerlichen Elementen herrschten, bedeutet die ‘orthodox trotzkistische' Konzeption in der Tat, daß sozialistische Revolutionen von Volksfronten gemacht werden können.
- In den späten 40er Jahren traten praktisch alle verschiedenen Arten von Pseudotrotzkisten für einen ‘tiefen Entrismus' in die sich nach rechts bewegenden sozialdemokratischen und/oder stalinistischen Parteien ein. In scharfem Gegensatz zu Trotzki's Strategie des Entrismus in den 30er Jahren war das kein Versuch, sich nach links bewegende Arbeiter von ihren reformistischen Irreführern zu brechen, sondern eine Unterstützung von Illusionen in den vermeintlich progressiven -- wenngleich zu gemäßigten -- Charakter dieser Parteien.
- 1952 unterstützte die trotzkistische ‘Partido Obrero Revolucionario' (POR) in Bolivien, eine bedeutende politische Kraft, aktiv die linksbürgerlichen Nationalisten während der Revolution in diesem Land und half dabei, eine bedeutende proletarische Erhebung zum Scheitern zu verurteilen. Kein Führungsorgan innerhalb der degenerierten trotzkistischen Vierten Internationale äußerte auch nur im geringsten Opposition gegen diesen offenen Akt von Klassenkapitulation. Kurz danach traten die ceylonesischen Trotzkisten (LSSP) in die bürgerliche Regierung ihres Landes ein. Obwohl sich die Führung der Vierten Internationale gegen diesen empörenden Akt aussprechen mußte, war dieser doch nur ein Ergebnis ihrer gemeinsamen Methode.
- Während der 60er Jahre war das pseudotrotzkistische Milieu voll von Organisationen, die das Studentenmilieu anstatt des städtischen Proletariats als die revolutionäre Avantgarde betrachteten. Diese Rolle verliehen sie auch den sich auf die Bauern stützenden Guerrillakämpfen in einer Reihe von Ländern. So halfen sie, nicht nur die potentielle proletarische Revolution vom Weg abzubringen, sondern auch die Befreiung der Bauernschaft, deren einzige Chance in der Führung durch die Arbeiterklasse liegt.
Die historische Wiederholung vergangener Verrate durch die heutigen angeblichen Trotzkisten ist nicht grundlegend das Ergebnis einer Reihe von Verschwörungen oder zu vieler schlechter Ideen. Wie Lenin und Trotzki uns gelehrt haben, können solche ernsten Überschreitungen nur durch materielle Gründe bedingt sein -- d.h. durch das Eindringen von kleinbürgerlichen und Mittelklasse-Interessen in die Arbeiterbewegung. Unserer Meinung nach ist es daher kein Zufall, wenn die überwältigende Mehrheit jener Gruppen, die sich heute als bolschewistisch-leninistisch bezeichnen, der ausdrücklich von Marx, Lenin (nach 1905) und Trotzki vertretenen Meinung widersprechen, nämlich der, daß die Arbeiterklasse ihr eigenes revolutionäres sozialistischen Klassenbewußtsein selbst erlangt. Statt dessen behaupten sie, daß ein solches Bewußtsein, von der Mittelklasse-Intelligenz in die Arbeiterklasse hineingetragen werden müsse.
Diese anti-marxistische und anti-proletarische Anschauung spiegelt die Tatsache wider, daß während der Periode des Wohlstands nach dem 2. Weltkrieg das gewaltige Wachstum der Mittelklasse und der Arbeiteraristokratie weltweit nicht nur damals den Reformismus erneut stärkte, sondern daß dieser gleichzeitig auch in die Reihen der trotzkistischen Vierten Internationale selbst eindrang. Das schaffte nicht nur die Basis für die neue Führung, die das revolutionäre Programm und die Politik der VI Mitte der 50er Jahre bereits korrumpiert und zerstört hatte, sondern lenkte diese Führung auch hin zu ihren kapitulantenhaften Anpassungen an die Reformisten.
Was tun?
Die Befreiung der Arbeiterklasse ist die Aufgabe dieser Klasse selbst; sie ist eine Aufgabe, die in Opposition zu den ‘mitfühlenden Rettern' aus der Mittelklasse durchgeführt werden muß. Die revolutionäre Partei aufbauen, ist noch immer die zentrale kommunistische Parole. Jetzt reformistische Wahlblöcke und Parteien zu fördern, steht nicht nur dieser zentralen Aufgabe des Aufbaus der revolutionären Partei entgegen, sondern auch dem Kampf für Massenaktion.
Einheit in der Aktion ist für die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten lebensnotwendig. In der kommenden Periode werden Revolutionäre nicht nur für den Generalstreik und andere Massenaktionen kämpfen, sondern die proletarische Einheitsfront zu ihrem Kampfruf machen. Erneut wird die Idee, daß die Arbeiterklasse alle Entrechteten und Unterdrückten in ihren Kämpfen führen muß, zur Auffassung von Millionen von Kämpfern werden.
Kommunisten "sagen, was ist": Reformismus ist keine gemäßigte oder zu langsame Form von Sozialismus, sondern dessen tödlicher, konterrevolutionärer Feind. Er ist ein Feind jeglicher wahrer Reformen, die noch erreicht werden könnten, denn diese sind nur möglich als Ergebnis von Massenaktionen und der Androhung der Revolution. Im Gegensatz zu den nach rechts rückenden Zentristen und ihrem Versuch, den sich zersetztenden Leichnamen der Reformismus und Populismus neues Leben einzuhauchen, treten Arbeiterklasse-Kommunisten offen für den Sozialismus und die proletarische Revolution ein. Selbst wenn die Umstände nach taktischen Blöcken mit reformistischen Parteien verlangen, warnen wir offen vor deren Verrat und kritisieren ihre Führungen. Bei jeder Gelegenheit bestehen wir auf der Notwendigkeit der Wiedererschaffung der kommunistischen Avantgardepartei -- im Gegensatz zum Aufruf zu neuen reformistischen, radikalen und grünen Parteien. Die Hauptaufgabe, mit der das Proletariat heute konfrontiert ist, ist die Wiedererschaffung der authentischen Vierten Internationale!
(Original auf Englisch in: ‘Proletarian Revolution' No.63, Fall 2001)
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(1) ‘Committee for a Workers International'; in der BRD repräsentiert durch die ‘Sozialistische Alternative Voran' (SAV) Rückkehr
(2) ‘Vereinigtes Sekretariat der Vierten Internationale', wie das CWI einer der internationalen Zusammenschlüsse des sogenannten ‘orthodoxen' Trotzkismus Rückkehr