Verstaatlichung und Sozialismus: Zur Programmatik der PDSFührung und ihrer innerparteilichen Kritiker

von A.Holberg

Die Führung der ‘Partei des Demokratischen Sozialismus' (PDS), die aus dem Zusammenbruch der stalinistischen SED erwachsen ist, ist gestärkt durch ihre Wahlerfolge in ihrem ehemaligen Herrschaftsgebiet eifrig bemüht, die programmatische Basis zu legen, auf daß die Partei möglichst schnell im Gesellschaftssystem der monopolkapitalistischen, also imperialistischen BRD "ankommt". Die in Vorbereitung des anstehenden Parteitags eingesetzte ‘Programmkommission' der PDS hat dementsprechende Änderungen am gültigen Programm vorgeschlagen. Darüber hinaus feuern Parteiführer wie Gregor Gysi im Vorgriff auf die Ergebnisse des Parteitags in den Medien ideologische Breitseiten gegen die Tradtionalisten in ihrer eigenen Partei ab, mit dem Ziel, diese zu neutralisieren oder gar aus der Partei zu drängeln, um den gewünschten Schulterschluß zumindest mit der linksliberalen imperialistischen Bourgeoisie in Gestalt von SPD und ‘Grüne' zu ermöglichen. Sie attackieren vor allem den bisherigen radikalpazifistischen Konsens, die angeblich notwendigerweise zur Diktatur führende Theorie der revolutionaren Avantgardepartei und die grundsätzliche Ablehnung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Mit anderen Worten: sie greifen mit Ausnahme des Pazifismus, der ohnehin kein Bestandteil des marxistisch verstandenen Sozialismus ist, die Grundpfeiler des Marxismus in der Epoche des Imperialismus an.

Schon jetzt kann vorausgesagt werden, daß der Angriff der ‘Modernisierer' erfolgreich sein wird, um so mehr als das angegriffene Lager nur jämmerliche Rückzugsgefechte führt, wie das beispielhaft an Sahra Wagenknechts Gastkommentar in der ‘jungen Welt' v. 9.2.2000 deutlich zu Tage trat, der angeblich dem Kampf Gysis gegen den ‘Avantgardismus' gewidmet war, dazu aber keinen Ton verlor, sondern den Charakter einer Aufforderung an die Parteirechte mit dem Tenor hatte: "Bitte tut uns nichts!" Darüber hinaus jedoch versucht das angegriffene Lager, seine Positionen auf fragwürdiger oder einfach falscher theoretischer Basis zu verteidigen.

Die hier behandelte Frage nun sei die nach der dem Wesen der Forderung nach Verstaatlichung der Produktionsmittel.

Im Papier der Programmkomission der PDS heißt es dazu: "Da der Profit die Realisierung des kapitalistischen Eigentums ist, lag in der Geschichte der Linken die Vorstellung nahe, durch einen Akt der Enteignung der Kapitaleigentümer die Unterwerfung von Wirtschaft und Gesellschaft unter die Kapitalverwertung beenden zu können. Marx selbst unterlag dem Verführerischen dieses Gedankens".

So abwegig natürlich die Idee der PK ist, ausgerechnet sie sei in der Lage, Marx in dieser Hinsicht verbessern zu können, so falsch wäre es, die Tatsache zu leugnen, daß die Vorstellung, die Enteignung des personifizierten Kapitals und dessen Überführung in Staatseigentum sei bereits Sozialismus, gerade auch in der stalinistischen Tradition, aus der die meisten PDSMitglieder kommen, stets einen festen Platz hatte.

Während sich die Kritik der PK gegen die Notwendigkeit der Enteignung richtet, muß eine korrekte marxistische Kritik die Tatsache betonen, daß die Enteignung der Kapitalisten und die Konzentrierung der Produktionmittel in der Hand des Staates zwar eine notwendige, doch keineswegs eine ausreichende Basis für den Arbeiterstaat und erst recht nicht für den Sozialismus ist.

Was die Notwendigkeit betrifft, so genügt es zunächst, die 1910 erschienene Schrift des irischen Revolutionärs James Conolly ‘Labour, Nationality and Religion' zu zitieren, in der es heißt: "Wie kann eine Person oder eine Klasse frei sein, wenn sich die Mittel für ihren Lebensunterhalt im Griff eines anderen befinden?"

Nachdem die Unvereinbarkeit von Freiheit und des gesetzmäßig zur Konzentration tendierenden Privateigentums an den Produktionsmitteln, und insbesondere des auf der Ausbeutung von Lohnarbeit beruhenden kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln festgestellt worden ist, stellt sich nun die Frage nach dem Charakter des verstaatlichen Eigentums.

Ist Staatseigentum per se fortschrittlich, ist es ein Zeichen oder gar das Zeichen für Sozialismus oder auch nur für die Ökonomie eines den Sozialismus vorbereitenden Arbeiterstaates?

Engels bereits wußte um die theoretische Möglichkeit weitestgehender Verstaatlichung innerhalb des Kapitalismus. Er schrieb in ‘Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft': "Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben. Aber auf der Spitze schlägt es um. Das Staatseigentum an den Produktivkräften ist nicht Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung." Die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus, dessen Basis die Akkumulation von Kapital mittels der Ausbeutung von Lohnarbeit ist, und in dem die Konkurrenz lediglich die inneren Gesetze des Kapitals ausführt (s. K.Marx ‘Grundrisse') vertragen sich theoretisch also durchaus mit der Verstaatlichung der Produktionsmittel. In der Praxis jedoch ist deren völlige Konzentration in der Hand des bürgerlichen Staates aus politischen Gründen letztlich unmöglich.

Wir bezeichnen die Gesellschaften, in denen wie in den stalinistischen die traditionelle Bourgeoisie ihre politische und ökonomische Macht verloren hat und in denen alle relevanten Teile der nationalen Ökonomie verstaatlicht wurden, die dem Kapitalismus zu Grunde liegenden Gesetzmäßigkeiten dennoch fortbestehen und sich verfestigt haben als staatskapitalistisch. Dieser Staatskapitalismus ist ein Aspekt des staatsmonopolistischen Kapitalismus, der den Imperialismus, die Epoche des kapitalistischen Niedergangs, kennzeichnet. Er ist entgegen dem ersten oberflächlichen Eindruck eine Stütze für die Aufrechterhaltung der weltweiten Herrschaft des imperialistischkapitalistischen System. Er entwickelt sich auf der Grundlage der von der stalinistischen Bürokratie führend organisierten Niederlagen der Arbeiterklasse.

Der Staatskapitalismus stellte in der Zeit vor dem Zusammenbruch des Stalinismus einen Versuch der im allgemeinen der relativ fortgeschritteneren unterentwickelten Länder, die von Lenin als die ‘schwachen Glieder des Imperialismus' bezeichnet wurden, dar, die entwickelten einzuholen. Das in einem großen Ausmaße zu tun, setzt entweder die proletarische Revolution wie 1917 in Rußland voraus oder die politische Kneblung der Arbeiterklasse wie in den von der Roten Armee im Zuge des 2. Weltkriegs eroberten Ländern 194748 oder etwa in der VRChina, wo die völlige Verstaatlichen nicht vor 1953 stattfand, d.h. nachdem der revolutionäre Impetus der Massen gebrochen war. Bis dahin war das Ausmaß der Verstaatlichung in Tschiang Kaischeks Taiwan bezeichnenderweise deutlich größer als in der ‘Volksrepublik'. Im Unterschied allerdings zum Arbeitersstaat Rußland, der in einer Zeit, da die kapitalistischen Ökonomien der bürgerlichen Staaten am Boden lagen, unvergleichliche Fortschritte erzielen konnte, ist das keinem dieser stalinistischen Staaten gelungen. Diese konnten nach dem Zusammenbruch des russischen Arbeiterstaates und dessen Ersetzung Ende der 30er Jahre durch einen imperialistischen staatskapitalistischen Staat als Ergebnis der Tatsache, daß sie ja gerade durch die Armee dieses nunmehr konterrevolutionären Staates geschaffen wurden, natürlich niemals Arbeiterstaaten deformierte oder nicht sein.

Die Fesseln, die die Öberreste der ökonomischen Errungenschaften der proletarischen Revolution von 1917 dem normalen Funktionieren der nunmehr ihres proletarischen Charakters entkleideten Sowjetunion und erst recht den nie proletarischen übrigen stalinistischen Staaten angelegt haben, haben schließlich deren Rückfall hinter den ‘normalen' imperialistischen Länder und letztlich ihren Zusammenbruch zur Folge gehabt. Diese staatskapitalistischen Länder wie Vietnam, Laos, Kambodscha, Kuba, Angola oder Mozambique konnten sich nur kurzfristig vom Imperialismus befreien und haben sich ökonomisch unter des in die Riege der übrigen neokolonialen Länder eingeordnet. Alle nutzen in unterschiedlichem Maße die erzwungene Bedürfnislosigkeit ihrer Arbeiterklasse, um imperialistisches Kapital anzulocken.

Jahre vor ihrem Zusammenbruch Ende der 90er Jahre sind die traditionellen Zeichen der kapitalistischen Anarchie: Arbeitslosigkeit, Inflation, nachlassendes Wirtschaftswachstum, gewaltige Staatsschulden wieder als entscheidende Faktoren in die staatskapitalistischen Länder zurückgekehrt. Reformen in Osteuropa und später in Ländern wie der VR China, Vietnam oder Kuba haben in unterschiedlichem Maße und Tempo offene interne Konkurrenz wieder eingeführt und in verschiedenen Ländern das staatlichen Außenhandelsmonopol gebrochen.

Die Erosion der nationalisierten Formen ist Ergebnis der gleichen kapitalistischen Krise, die das proletarische Aufbegehren in den späten 60er Jahren hervorrief. Die Massenbewegungen in Frankreich und Italien fanden ihre Entsprechung in Polen, der Tschechoslowakei, der VR China und anderen stalinistischen Staaten. Es ist kein Zufall gewesen, daß die Westmächte eifrig dafür sorgten, die staatskapitalistischen Regime mit Anleihen wieder auf die Beine zu bekommen (und gleichzeitig auszubeuten), noch daß die Staatskapitalisten die größere Flexibilität der werstlichen Wirtschaftsmethoden sehr aufmerksam begutachteten.

Sosehr Verstaatlichung auch den nationalistischen Ambitionen der nationalen Bourgeoisien oder der den Staatskapitalismus an ihrer Stelle sozusagen als ‘Regenten' verwaltenden Bürokratien entgegenkommt, ist sie doch eine Waffe, die zu schwingen, für die Herrschenden angesichts eines in Bewegung geratenen Proletariats zu gefährlich ist. Genau das ist der Grund, weshalb eine volle Verstaatlichung, obwohl sie wie Engels schon betonte theoretisch im Kapitalismus möglich ist, in der Praxis nicht vorkommt. L.Trotzki schrieb dazu: "Theoretisch kann man sich zwar eine Situation vorstellen, in der die Bourgeoisie als ganze sich als Aktiengesellschaft etabliert, die mit Hilfe ihres Staates die ganze Volkswirtschaft verwaltet. Die ökonomische Ordnung eines solchen Regimes birgt kein Geheimnis... Ein solches Regime hat jedoch nie existiert und wird infolge der schweren Gegensätze unter den. Besitzenden auch nie existieren um so weniger, als der Staat als Universalvertreter des kapitalistischen Eigentums für die soziale Revolution ein allzu verlockendes Objekt wäre." (1)

Ob aber das Staatseigentum fortschrittlich, also in der Übergangsperiode des Arbeiterstaates protosozialistisch, oder gar sozialistisch ist, hängt davon ab, ob die Arbeiterklasse im Staat in der Realität die herrschende Klasse ist. Wie wir aber 1976 schrieben, ist letztlich diese politische Frage ausschlaggebend und ist "die Basis des russischen Staatskapitalismus die Nutzung der Errungenschaften der Arbeiter, insbesondere der erweiterten und nationalisierten Produktionsmittel, gegen die Arbeiterklasse. Vulgärer Pragmatismus kann nicht begreifen, was unter dem Kapitalismus selbstverständlich ist: das Kapital ist selbst tote Arbeit, die vom Proletariat geschaffen wurde, aber genutzt wird für die Unterdrückung und Beherrschung der lebendigen Arbeit. Nationalisierung, Zentralisierung und Konzentration sind lebenswichtige Formen, die durch den Kampf der Arbeiter erforderlich gemacht wurden. Als Kapital werden sowohl Form als auch Inhalt von der Bourgeoisie gegen die Arbeiter benutzt. Die den Arbeitern unter dem Kapitalismus entfremdete Arbeit wird durch die Arbeiterrevolution wiederangeeignet werden." (2)

Das verstaatlichte Eigentum hat Marx, Engels und Lenin zufolge allerdings ebenso wie die Zentralisierung der Produktionsmittel einen proletarischen Inhalt, es ist Teil dessen, was Engels die in den Kapitalismus eindringende sozialistische Gesellschaft nannte. Die Produktionsmittel werden dadurch bereit für die Übernahme durch die Arbeiterklasse gemacht, wenngleich das natürlich nicht das Ziel ihrer kapitalistischen Herren ist. Das ist die Revolte der Produktivkräfte gegen die bestehenden Produktionsverhältnisse. Aus diesem Grund verteidigen wir die verstaatlichten Produktionsmittel stets gegen ihre Privatisierung.

Letztlich ausschlaggebend ist allerdings für die Bestimmung des Klasseninhaltes der Verstaatlichung die reale Stellung der Arbeiterklasse im Produktionsprozess und nicht die formaljuristische Bestimmung des Eigentums. Das gilt umso mehr als diese real existierenden Produktionsverhältnisse auch das Bewußtsein der Klasse ausschlaggebend prägen und als dieses Bewußtsein für die Frage der Herrschaft der Arbeiterklasse und des Übergangs zum Sozialismus einen ganz anderen, nämlich primären, Stellenwert hat als etwa beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus. Dieser war gewissermaßen naturwüchsig vor sich gegangen, da die Bourgeoisie schon vor ihrer politischen Revolution im wesentlichen über die Produktionsmittel verfügte.

Trotzki schrieb: "Um gesellschaftliches Eigentum zu werden, muß das Privateigentum unvermeidlich das staatliche Stadium durchlaufen, so wie die Raupe durch das Stadium der Larve gehen muß, um Schmetterling zu werden. Aber die Larve ist noch kein Schmetterling. Unmengen von Larven kommen um, bevor sie Schmetterlinge werden. Das Staatseigentum wird nur in dem Maße zum »Volkseigentum«, in dem die sozialen Privilegien und Unterschiede verschwinden, und folglich auch das Bedürfnis nach dem Staat. Mit anderen Worten: Das Staatseigentum verwandelt sich in dem Maße in sozialistisches Eigentum, wie es aufhört Staatseigentum zu sein." (3)

Die Klärung dieser Frage ist wichtig, um in Zukunft eine staatskapitalistische Herrschaft einer bürokratischen Regentenklasse von der Herrschaft des Proletariats und damit der Grundlage des Sozialismus eindeutig unterscheiden zu können. Das wiederum ist unverzichtbar, um das nicht zuletzt wegen dieser Verwechslung in der bekannten katastrophalen Weise zerstörte Klassenbewußtsein des Proletariats wiederbeleben zu können.


(1) Trotzki, L.: Verratene Revolution: Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie?. Essen 1990, S.249 Rückkehr

(2) ‘Socialist Voice' No.1, New York, 1976, p.27 Rückkehr

(3) Trotzki, L.: Verratene Revolution. Essen 1990, S.241 Rückkehr


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