Erklärung zu den Bundestagswahlen am 22. Sept. 2002

Am 22.9.2002 werden in der BRD Wahlen zum Bundestag durchgeführt. Dabei wird auf formeller Ebene in erster Linie bestenfalls festgestellt werden, ob die nächste Bundesregierung von der SPD oder von der CDU/CSU geführt werden wird -bestenfalls, weil eine Koalition zwischen diesen Parteien keineswegs ausgeschlossen ist.

Eine der sich auf den Trotzkismus berufenden zentristischen Gruppen, die 'Gruppe Arbeitermacht' fasste in ihrem Wahlaufruf zu Gunsten von SPD und/oder PDS die Leistungen der bisherigen aus SPD und der Partei der 'Grünen' zusammengesetzten Regierung zutreffend wie folgt zusammen:

Schröder und Fischer haben in vier Jahren viel für die herrschende Klasse getan. Ihre Bilanz kann sich sehen lassen:- Zwei Kriege mit Bundeswehrbeteiligung, Reformen in Richtung weltweiter Eingreiftruppe;- Verschärfung der inneren Sicherheit durch Schilys "Anti-Terrorpakte";- massive Steuergeschenke für Großkonzerne, Banken und Vermögensbesitzer;- weitere Privatisierungen im öffentlichen Dienst;- Einstieg in die private Rentenversicherung;- Einführung des EURO als wichtiger imperialistischer Leitwährung; Und vor allem: durch das Bündnis mit den GewerkschaftsführerInnen und die sozialdemokratische Kontrolle der Gewerkschaften konnten Abwehrkämpfe der Arbeiterklasse weitgehend verhindert werden. Doch das imperialistische Kapital ist ein undankbarer Herr. Rot/grün hat seine Schuldigkeit getan, jetzt soll der konservative Knüppel ran: Stoiber und die FDP.

Dieser Bilanz bei den gut bezahlten Bemühungen der SPD/Grünen-Regierung, der arbeitenden Bevölkerung das Fell über die Ohren zu ziehen, könnten eine Vielzahl weiterer 'Erfolge' hinzugefügt werden. Wir denken jedoch, dass das nicht nötig ist.

Unsere Position als Marxisten zu Wahlen zu bürgerlichen Institutionen ist eine taktische und nicht wie die der Anarchisten durch eine in der Theorie grundsätzliche Ablehnung jeder Beteiligung gekennzeichnet. Dafür beteiligen wir uns allerdings im Gegensatz dazu, wie das etwa die spanischen Anarchisten in den 30er Jahren getan haben, grundsätzlich nicht an bürgerlichen Regierungen.

Die Grundlage unserer Haltung zu bürgerlichen Wahlen ist die Frage, was einen Beitrag dazu leistet, die Arbeiterklasse als das potentielles revolutionäres Subjekt in der kapitalistischen Gesellschaft, ideologisch und politisch von einer Klasse für sich, d.h. von einer soziologischen Klasse, zu einer Klasse an und für sich, zu einer politischen Klasse also, zu machen, oder mit anderen Worten, sie vom ideologischen und politischen Einfluss aller Fraktionen der Bourgeoisie -- der herrschenden Großbourgeoisie ebenso wie der verschiedenen Schichten der oft selbst unterdrückten Kleinbourgeoisie -- zu befreien. Diese Unabhängigkeit der Arbeiterklasse manifestiert sich in revolutionär-sozialistischem Bewusstsein und in ihren auf dieser Grundlage stattfindenden Klassenkämpfen. Ihre Formierung von einem potentiellen zu einem aktuellen revolutionären Subjekt unter Führung ihrer eigenen Avantgardepartei ist der eigentliche Zweck der Existenz einer kommunistischen Organisation. Sie ist gleichzeitig die unverzichtbare Voraussetzung für die Eröffnung einer nicht durch Ausbeutung, Unterdrückung, Krieg, Hunger, ökologische und psychische Zerstörung gekennzeichneten Zukunft für die überwältigende Mehrheit der Menschen dieser Welt. In einer Phase, in der alle von bürgerlichen Ideologen voreilig als überwunden deklarierte Krankheiten des Imperialismus wieder offen ausbrechen, ist diese Perspektive sogar die einzige, die in der Lage ist, relevante Reformen zu Gunsten der arbeitenden Massen innerhalb des Kapitalismus zu ermöglichen.

Auf dieser Grundlage ist die Frage zu beantworten, ob ein Aufruf zur Wahl irgendeiner der kandidierenden Parteien diesen Kriterien entsprich. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die KOVI-BRD ist der Auffassung, dass er das nicht täte.

Nachdem es für Linke, die wir mit unserer Erklärung ansprechen wollen, keine Frage sein sollte, dass die Wahl offen bürgerlicher Parteien wie der CDU/CSU, der FDP oder der 'Partei bibeltreuer Christen', der NPD oder der Schill'schen 'Partei rechtsstaatlicher Offensive' ein ebenso offener Verrat an der Arbeiterklasse wäre, bleibt die Frage nach SPD, PDS und -- sicherheitshalber -- auch noch nach den 'Grünen' sowie nach den verschiedenen sich als marxistisch Kleinstparteien von der Art der DKP, der MLPD oder der KPD.

Die SPD, zu deren Wahl manche wie die erwähnten 'Trotzkisten' wie die Pawlow'schen Hunde aufzurufen pflegen, mag -- obwohl sie sich seit 'Godesberg' selbst nicht mehr als 'Arbeiterpartei' versteht -- noch immer die Unterstützung breiter Teile der organisierten Arbeiterklasse genießen. Aber bedeutet das, dass Marxisten sie bei Wahlen stützen müssten, wie der Strick den Gehängten stützt (Lenin), d.h. um die bei ihrer Basis vorhandenen Illusionen mit der Realität konfrontieren zu können?

Der Führer der US-amerikanischen Trotzkisten James P. Cannon sagte: "Man hat argumentiert, dass 'wir zusammen mit den Arbeitern durch diese Erfahrung gehen müssen'. Das ist eine sehr gute Formel -- unter der Bedingung, dass man sie nicht universell macht. Wir gehen mit den Arbeitern nur durch jene Erfahrungen, die Klassencharakter haben. Wir gehen mit ihnen durch die Erfahrungen von Streiks, auch wenn wir denken, dass es für einen bestimmten Streik der falsche Zeitpunkt ist. Wir mögen sogar mit den Arbeitern gemeinsam durch die Erfahrung gehen, eine reformistische Arbeiterpartei an die Regierung zu bringen, unter der Voraussetzung, daß es sich um eine wirkliche Arbeiterpartei handelt und sie dem Druck der Arbeiter unterworfen ist, auf dass diese aus ihrer Erfahrung lernen können, dass der Reformismus nicht das richtige Programm für die Arbeiterklasse ist."

Was nun die SPD anbelangt, so ist die Realität die, dass die Arbeiter weniger dumm sind als das Gros der Linken und dass sie deshalb längst keine Illusionen in die SPD als eine klassenkämpferische und gar sozialistische Kraft haben, sondern bestenfalls in eine SPD als 'kleineres Übel'. Das jedoch genügt allemale, um angesichts der organischen Beziehungen zwischen der Gewerkschaftsbürokratie und der SPD die Arbeiterklasse gegenüber den von der SPD vermittelten Angriffen der Bourgeoisie in einem Maße zu lähmen, wie das im Fall einer offen bürgerlichen Regierung kaum vorstellbar ist. Ein Wahlaufruf für die SPD eignet sich unter diesen Umständen nicht zur späteren Zerstörung von Illusionen, die sich auf Klassenkampf oder gar Sozialismus beziehen. Diese Illusionen gibt es nicht!

Für die PDS gilt, dass sie zum einen in wesentlich geringerem Maße als die SPD mit der organisierten Arbeiterbewegung verbunden ist. Die sich in letzter Zeit verstärkende rechte Tendenz der Partei ist von Anfang an in ihr angelegt. Sie ist aus der stalinistischen SED entstanden und ideologisch eine pluralistische 'Volksfront' im Kleinen. Die linksreformistischen und zentristischen Kräfte innerhalb dieser Partei konnten unter der Bedingung eines alles in allem daniederliegenden Klassenkampfes, einer Lähmung der Arbeiterklasse, die sich nicht aus dem Würgegriff ihrer traditionellen Führungen von SPD, Gewerkschaftsbürokratie und stalinistischer Bürokratie befreien konnte, nur sukzessive marginalisiert werden. Eine Wahl dieser Partei würde die Entwicklung der Partei nach rechts nur verstärken, da sie als Belohnung des Rechtskurses der bisherigen Führung verstanden würde. Außerdem würde die Stärkung der Partei im oder auch nur die Rückkehr der Partei in den Bundestag die Aussichten auf eine Beteiligung an einer eventuellen SPD-Regierung vergrößern. Die Tatsache, dass die PDS als einzige Partei noch eine starke Tendenz zum Pazifismus zum Ausdruck bringt, ist demgegenüber untergeordnet. Der stets nur bürgerliche Pazifismus, der sich ohnehin vor der Realität notwendigerweise blamiert und hilflos bleibt, wird sich mit dem weiteren Rechtsrutsch der Partei, der durch einen Wahlerfolg beschleunigt werde, zunehmend bis zur schließlichen Unkenntlichkeit zersetzen. Der Drang an die Futtertröge der (bürgerlichen) Macht, der der PDS-Führung wie allen bürgerlichen Politikern zu eigen ist, steht im Gegensatz zu all ihren heute noch verkündeten Idealen und wird diese besiegen. Im übrigen liegt es keineswegs im Interesse der Arbeiterklasse, nach dem Verrat und dem Zusammenbruch von Sozialdemokratie und Stalinismus neue reformistische Parteien aufzupäppeln, die unvermeidlich in die Fußstapfen ihrer abschreckenden Vorbilder treten.

Die 'Grünen' sind bekanntlich in keiner Hinsicht eine Arbeiterpartei. Sie sind den Weg, den die PDS erst noch gehen möchte, bereits gegangen und haben damit eine nicht unerhebliche Zahl subjektiver Linker politisch korrumpiert. Angesichts ihrer Bilanz sollten sich revolutionäre Linke über den eventuellen Untergang dieser Partei freuen, auch wenn leider nicht mehr zu verhindern sein wird, dass ihre bekanntesten 'Revoluzzer' vom Typ Joschka Fischer & Co für ihre Dienste gegenüber der Bourgeoisie auf jahrzehnte hinaus fürstlich belohnt werden.

Die Wahl von Gruppen wie der DKP, der MLPD oder der KPD ist politisch bedeutungslos. Keine von ihnen ist in einem nennenswerten Segment der Arbeiterklasse verwurzelt. Keine von ihnen hat irgendwelche Chancen, auch nur einen Achtungserfolg zu erringen. Alle drei sind in unterschiedlichem Maße an ihr stalinistisches Erbe gebunden und damit ungeachtet der Ehrlichkeit vieler ihrer Aktivisten Repräsentanten des Eindringens der kleinbürgerlichen Bürokratie in die Arbeiterklasse und damit einer politischen Strömung, die sich zusammen mit der Sozialdemokratie im 20. Jahrhundert als Totengräber der ersten und bislang einzigen proletarisch-sozialistischen Revolution, der Oktoberrevolution, betätigt hat. Eine Wahl solcher Gruppen symbolisiert bestenfalls den Wunsch, die Bourgeoisie 'etwas zu ärgern' und schlimmstenfalls die ideologische Unterstützung für Gruppen, die entweder wie die MLPD und KPD die stalinistische Ideologie mehr oder weniger offensiv vertreten oder sich wie etwa die DKP nur unvollkommen von ihr gelöst haben.

Die Arbeiterklasse der BRD verfügt gegenwärtig über keine eigene politische Partei. Die Wahl einer der bürgerlichen Parteien kann von Revolutionären nicht als Ausgangspunkt für deren Entlarvung genommen werden, da die Arbeiterklasse keine über den Kapitalismus hinausreichenden oder auch nur ernsthaft reformistische Illusionen in sie hegt. Ein Wahlsieg der ehemals reformistischen SPD und der noch reformistischen PDS würde unter diesen Umständen der Arbeiterklasse ebenso wenig das notwendige Selbstbewusstsein für die Eröffnung von Klassenkämpfen verschaffen, wie er das vor vier Jahren getan hat. Unter diesen Umständen lehnen wir die Beteiligung an diesen Wahlen ab.

Bonn, den 30. August 2002

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