Um zu beweisen, daß Che Guevara kein ungeachtet seines bewundernswerten persönlichen Einsatzes für seine Ideen kleinbürgerlicher Radikaler, sondern ein Kommunist war, wäre es notwendig gewesen, sich zumindest mit seiner Position zur Führungsrolle der Arbeiterklasse in einer sozialistischen Revolution auseinanderzusetzen. In der Tat bestand für Karl Marx kein Zweifel daran, daß die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann.
Daß die kubanische Revolution keineswegs als sozialistische gedacht war, daraus machten ihre Führer zunächst keinen Hehl. Fidel Castro sagte am 21. Mai 1959 ausdrücklich: "Unsere Revolution ist nicht rot, sondern olivgrün". Was die kubanische Revolution dann radikalisiert hat, war die negative Reaktion der USA und die daraus erwachsende Notwendigkeit, sich nach einem neuen Schutz umzusehen, der UdSSR. Erst auf dieser Basis wurde die alte KP des Landes, die seit ihrer Stalinisierung und insbesondere während der Batista-Diktatur und praktisch bis zu deren Sturz eine überaus dubiose Rolle - auf jeden Fall keine revolutionäre - gespielt hatte, reaktiviert und ihre Kader in die Organisierung des Landes nach dem Vorbild des stalinistischen Regimes der UdSSR einbezogen.
Was Che Guevara persönlich anbetrifft, so war er mit vielen Einzelheiten dieser Entwicklung sichtlich nicht einverstanden. Insbesondere schätzte er die mit ihr unvermeidlich einhergehende Bürokratisierung auf Kosten des revolutionären Elans, der revolutionären Moral, nicht. Dennoch zeigt sein Guerillakonzept und vorallem dessen praktische Umsetzung überall in Lateinamerka, und vorallem in Bolivien, daß auch er sich nicht von dem kleinbürgerlichen Revolutionskonzept befreien konnte, demzufolge es letztlich die Angelegenheit einer kleinen Gruppe edler Kämpfer ist, die Massen zu befreien. Die Arbeiterklasse selbst hatte er immer nur empiristisch als privilegiert gegenüber der Landarmut gesehen und nicht als das potentielle revolutionäre Subjekt, das sie dem wissenschaftlichen Sozialismus zufolge auf Grund ihrer auch unter Verhältnissen des abhängigen Kapitalismus gegebenen Stellung im Produktionsprozess ist. Als kleinbürgerlicher Nationalist und auf Grund der abstoßenden Erfahrungen mit den lateinamerikanischen stalinistischen KPs konnte und wollte er die Rolle der Arbeiterklasse nicht erkennen und deshalb auch nicht die Tatsache, daß schon damals die hauptsächliche Form der Unterdrückung in den meisten lateinamerikanischen Ländern nicht mehr die des landwirtschaftlichen Großgrundbesitzes war, sondern die der kapitalistischen Lohnarbeit.
Dieser Tatbestand kann nicht dadurch verdrängt werden, daß B. Simpson Che Guevara und die Seinen von Anfang an allenthalben in Kontakt mit angeblichen kommunistischen Kräften bringt. Simpson's Behauptung, die APRA sei eine kommunistische Organisation aus Peru, oder Guatemalas Präsident Jacobo Arbenz Guzmán habe sein Land in eine kommunistische Gesellschaft umwandeltn wollen, sind derart exotisch, daß man nur noch fragen kann "Wo zum Teufel hast Du das denn her?". In der Tat kann der Gen. Simpson das nur aus der Antipropaganda der USA und ihrer imperialistischen Kollegen und neokolonialen Kreaturen haben. Die APRA des Haya de la Torre war eine populistisch nationalistische Partei, die sich selbst als die Kuomintang Lateinamerikas bezeichnete, mithin eine Partei der nationalen Bourgeoisie. Heute ist sie Mitglied der Sozialistischen Internationale. Zuletzt wurde sie bekannt als unter der Präsidentschaft ihres Vorsitzenden Alan Garcia ein Massaker an revolutionären politischen Gefangenen in Peru veranstaltet wurde. Die Reformen der Regierung Arbenz in Guatemala richteten sich gegen den Großgrundbesitz - insbesondere den der US-amerikanischen "United Fruit Company" und gingen nicht über das hinaus, was unterdess in vielen Ländern des Trikonts im Rahmen der kapitalistischen Entwicklung von nationalistischen Regimen getan wurde. Als "kommunistisch" konnten sie nur damals den Verantwortlichen in Washington und eben den einheimischen Großgrundbesitzern vorkommen. Heute wäre Arbenz wohl wie die APRA sozialdemokratisch.
Einerseits wäre es ja schön, wenn die Welt so voll von kommunistischer Länder oder auch nur revolutionären kommunistischen Kräften gewesen wäre, andererseits fragt man sich, wieso der "Kommunismus" dann so schmachvoll zusammengebrochen ist. Obwohl es sich hier im wesentlichen um alte Geschichten handelt, muß leider auf einer Korrektur bestanden werden, da mit einer solchen Bezeichnung aller möglichen Länder und Regime, die damit nun wirklich - gleich wie sie sich selbst nennen mögen - nichts zu tun haben, der Begriff des Sozialismus/Kommunismus entwertet oder gar beschmutzt wird und damit auch der in unserer Zeit unverändert notwendigen Alternative zum Kapitalismus der Zugang zum Denken der Menschen verbaut wird. Kurz: Wenn alles von Stalin's UdSSR über Maos China und Castros Kuba bis zur APRA und Arbenz - und weshalb nicht auch Saddam Husseins Irak oder Algerien? - "Kommunismus" ist, wem kann man dann noch verdenken, wenn er mit Kommunismus nichts zu tun haben will?
Daß solche bonapartistischen Diktaturen, in denen die Arbeiterklasse und alle übrigen Werktätigen bestenfalls mit einigen sozialen Reformen beglückt wird, aber selbst nichts zu sagen haben, noch immer sogar von Linken als sozialistisch bezeichnet werden, hat seinen Grund in einer verbreiteten Denkweise, die das, was ist, als das einzig Mögliche betrachtet. Das aber ist eine völlig antimarxistischen und also antisozialistische Denkweise.
Die Tatsache, daß kleinbürgerlich nationalistische Regime sich nach dem Krieg getraut haben, im Interesse ihrer bürokratischen Herrschaft umfangreiche Verstaatlichungen vorzunehmen und damit die nationale Bourgeoisie als Klasse zu liquidieren, hat seinen Grund darin, daß sie sich von der Arbeiterklasse nicht bedroht fühlten. In der Tat war die Arbeiterklasse unterdess von ihrer traditionellen Führung, den Stalinisten und den Sozialdemokraten als Klasse politisch derart geschlagen worden - vorallem unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg (s. z.B. Italien und Frankreich) - , daß das nationalistische Kleinbürgertum es sich erlauben konnte, auf die Bourgeoisie als Verbündeten gegen die Arbeiterklasse zu verzichten.
Daß auch die Entwicklung Kubas selbst in diesem Rahmen gesehen werden muß, hat Fidel Castro schon vor Jahren in einem Gespräch mit mexikanischen Kapitalisten, d.h. mit Leuten, denen man weniger leicht als dem Gros der "Linken" einen Bären aufbinden kann, gesagt. Auf die Frage, weshalb er um ausländische Investitionen nachsuche, es aber Kubanern verwehre, im eigenen Land zu investieren, antwortete er: "Nun, das würde bedeuten, das System zu verändern. Wir sind Kapitalisten, aber Staatskapitalisten. Wir sind keine Privatkapitalisten." (Wochenzeitung "Proceso", Mexico City, 4.12.1988)