Eine der aktivistischsten politischen Gruppen mit marxistischen Anspruch ist seit einiger Zeit die Organisation "Linksruck". "Linksruck" ist der Teil der ehemaligen zentristischen "Sozialistischen Arbeitergruppe" (SAG), der auf Geheiß ihrer Londoner Herren und Meister von der "Socialist Workers Party" (SWP) in die JUSOS eingetreten ist. Die zentrale Parole von Linksruck, einer Organisation lautet seit der Studentenbewegung Ende 1997 und der Arbeitslosenbewegung 1998 "Geld her für Bildung und Arbeit - Millionäre besteuern".
Die Reichen zu besteuern, scheint auf den ersten Blick die naheliegendste Lösung der Probleme und überdies eine Parole zu sein, die geeignet ist, marxistischen Kräften den Zugang zum Massenbewußtsein zu verschaffen. Dieser erste Blick jedoch täuscht gründlich.
In Wirklichkeit ist diese Parole, die in ähnlicher Form seit je zum Standardrepertoire solcher Kräfte wie der DKP und anderer Zentristen und Reformisten gehört, weder als Reformforderung realistisch, noch eröffnet sie auf der Ebene des Massenbewußtseins den Weg zu revolutionärem Denken. Sie ist entgegen dem ersten Anschein eine zutiefst konservative Parole.
Auf eine stärkere Besteuerung der "Millionäre" oder der "Reichen" - losgelöst von begleitenden politischen Forderungen - würden gerade die großen Kapitalisten jedoch würden entweder mit der Verlagerung ihres Kapitals reagieren oder aber die Unkosten durch höhere Zinsen, niedrigere Löhne, höhere Preise oder einfach, indem sie ihre Betriebe dichtmachen, an die Arbeiterklasse und die übrigen ausgebeuteten Massen weitergeben. In der heutigen Krise gilt das mehr denn je.
Die Parole "Millionäre besteuern" ist aber - wenn sie, wie bei 'Linksruck', alleine steht - nicht nur unrealistisch. Vorallem festigt sie die herrschende bürgerliche Ideologie in mehrfacher Hinsicht. Sie dient nicht dazu, bei den Lohnabhängigen Klassenbewußtsein zu fördern, denn sie stellt nicht den Gegensatz von Kapital und Arbeit heraus, sondern den Unterschied zwischen "arm" und "reich", ist analytisch also nicht auf der Ebene der Produktion angesiedelt, sondern auf der der Distribution, ein typisches Merkmal der kleinbürgerlichen Kapitalismuskritik. Sie ist somit populistisch, zumal wenn man bedenkt, daß Millionär zu sein heute zwar immer noch ein Privileg ist, aber längst nicht mehr notwendigerweise unmittelbar an die soziale Funktion der Ausbeutung von Lohnarbeit gebunden ist. Diese Parole liegt grundsätzlich auf der gleichen theoretischen Ebene und hat den gleichen bürgerlichen Klasseninhalt wie die reaktionäre Parole von der Privilegiertheit der beschäftigten Arbeiter gegenüber den erwerbslosen Mitgliedern der Arbeiterklasse. Wenn es nur um "reich" gegen "arm" geht, hat auch diese klassenspalterische Parole einen gewissen Realitätsgehalt, und zwar nicht nur die Tatsache, daß sie politisch ausschließlich der Ausbeuterklasse nutzt. Da die Parole "Millionäre besteuern" die Stellung der Kapitalisten im gesellschaftlichen Produktionsprozess, die Ausbeutung durch Lohnarbeit also, nicht in Frage stellt, ist sie keine sozialistische Parole, sondern eine Parole, die auch von bürgerlichen Demagogen aufgegriffen werden kann.
Nun lehnen Marxisten den Kampf um Reformen innerhalb des herrschenden Systems keineswegs ab. Sie führen ihn bzw. beteiligen sich an ihm allerdings in einer grundsätzlich anderen Art und Weise als das Reformisten tun. Marxisten sind sich der Tatsache bewußt, daß Reformen innerhalb des Kapitalismus zwar möglich sind - in unterschiedlichem Maße je nach Geschäftslage des Kapitals einerseits und der Kampfkraft der Arbeiterklasse andererseits - daß die möglichen Erfolge für die Arbeiterklasse aber notwendigerweise nur zeitweiligen Charakter haben und bei der ersten Gelegenheit vom Kapital wieder in Frage gestellt werden. Für revolutionäre Sozialisten, d.h. Marxisten, ist deshalb der Kampf für Reformen stets dem Kampf um die Beendigung jeglicher Ausbeutung, d.h um die Abschaffung des Kapitalismus untergeordnet. Der Hauptzweck eines solchen Kampfes um Reformen besteht deshalb darin, bei den an ihm Beteiligten das Bewußtsein von der Stärke der Arbeiterklasse und von der Notwendigkeit, Ausbeutung und Profitwirtschaft überhaupt abzuschaffen, zu fördern.
Aus diesem Grund werden sich revolutionäre Sozialisten mit aller Kraft an den Kämpfen der Arbeiterklasse und anderer ausgebeuteter Schichten auch für solche Reformen beteiligen. Dabei werden sie jedoch den illusorischen Charakter von Parolen wie "Millionäre besteuern" oder "gerechter Lohn" darlegen.
Es kann aber gar keine Rede davon sein, daß in der BRD heute irgendwelche Massen unter solchen Parolen kämpfen. Die Führer solcher Gruppen wie "Linksruck" laufen also nicht etwa einer vielleicht bestehenden Massenbewegung hinterher und unterwerfen sich deren reformistischem Bewußtsein, was angesichts ihres revolutionären Anspruchs bereits katastrophal genug wäre. Indem sie jedoch als eine Kraft mit Führungsanspruch - ein unveräußerliches Merkmal jeder sich mit einigem Recht als marxistisch verstehender politischen Organisation - eine derartige Parole selbst aufstellen, versuchen sie, eine zukünftige Massenbewegung auf eine politische Linie festzulegen, die notwendigerweise zur Niederlage führt.
Diese Politik stellt das Ausbeutersystem nicht in Frage, sie ist kein Kampf um zeitweilig vielleicht mögliche Reformen, sondern ein im engeren Sinn reformistischer Kampf. Der Reformismus aber ist kein unzureichender Schritt in die richtige - sozialistische - Richtung, sondern ein Hinderniß auf diesem Weg. Er ist objektiv konterrevolutionär, und die für ihn verantwortlichen politischen Führungen müssen von Marxisten entsprechend bekämpft werden, um seine Opfer von ihnen zu befreien.
Die richtige Parole in dieser Lage ist deshalb die der Enteignung z.B. der Banken, weil sie das Recht auf Privateigentum an den Produktionsmitteln in Frage stellt, und deren Unterstellung unter Arbeiterkontrolle, eine Forderung, der auf die Notwendigkeit hinweist, die Bourgeoisie und ihrem Staat die gesamte soziale und politische Macht zu entreißen und durch die der Arbeiterklasse zu ersetzen. Das wäre noch kein Sozialismus, aber das sind Übergangsforderungen, die auf seine Notwendigkeit hinweisen. Die Parole "Millionäre besteuern" steht dieser Perspektive entgegen.
Natürlich sind Revolutionäre keineswegs dagegen, die "Reichen" zu Gunsten der "Armen" zu besteuern. Isoliert, wie diese Parole bei "Linksruck" steht, hat sie jedoch einen ökonomistischen Charakter. Der Klassenkampf im revolutionären Sinn ist jedoch in erster Linie ein politischer Machtkampf. Insbesondere die Parole der Arbeiterkontrolle ist eine politische Parole, die von "Linksruck" zwar in theoretischen Schriften verteidigt wird, nicht jedoch in der Agitation - und das heißt gerade bei dieser Organisation im 'täglichen Leben' - verwendet wird. Ohne in den Zusammenhang mit einem politischen Übergangsprogramm gestellt zu werden, stellt diese Parole weder eine Herausforderung der Art und Weise dar, in der die Arbeiterklasse politisch von der Bourgeoisie beherrscht noch wirtschaftlich von ihr ausgebeutet wird. Politisch hat "Linksruck" denn auch konsequenterweise bislang für die Herrschaft der Bourgoisie gekämpft, indem sie zur - natürlich "kritischen" - Wahl der SPD aufgerufen hat.
Was nun die Führer der Gruppe "Linksruck" anbelangt, so stellt sich die Frage, was der Grund für eine solche Position ist. Man muß sagen, daß es ein Zeichen generellen Wohlwollens ihnen gegenüber wäre, wenn man davon ausginge, daß sie um den Charakter ihrer Parole nicht wissen. Langjährige Kenntnis ihrer politischen Aktivitäten läßt jedoch etwas Schlimmeres vermuten. Sie wissen um den reformistischen Charakter der Parole, haben aber ein derart manipulatives Verhältnis zu den intellektuellen und politischen Fähigkeiten zunächst der jugendlichen Mitglieder ihrer Gruppe und sodann der Arbeiterklasse allgemein, daß sie diese für unfähig halten, das zu begreifen, was sie selbst denken. In diesem Fall würde sich zeigen, daß ihre sonstige verbale Basistümelei ("Sozialismus von unten") nur der Deckmantel dafür ist, eine unemanzipierte Klasse zum Rammbock ihrer zukünftigen bürokratischen Herrschaftsinteressen machen zu wollen. In dieser Hinsicht ähnelt "Linksruck" den von ihr ansonsten zurecht kritisierten stalinistischen Kräften und steht in vollem Gegensatz zur Position Lenin. Dieser schrieb in in "Was tun?" über die Aufgaben der revolutionären Partei: "Die Aufmerksamkeit muß deshalb vorallem darauf gerichtet werden, die Arbeiter auf das Niveau der Revolutionäre zu heben: es ist überhaupt nicht unsere Aufgabe, auf das Niveau der 'arbeitenden Massen' herabzusteigen, wie es die Ökonomisten tun wollen, oder auf das Niveau des 'Durchschnittlichen Arbeiters' wie die Svoboda möchte... "