Antirassistische Demo in Pützchen: Ein "Grenzfall" von Politik

Am 14. Juni haben ca. 100 Menschen in Pützchen in Solidarität mit dort lagernden Zigeunern - man muß davon ausgehen, daß sie entweder Roma oder Sinti, weniger wahrscheinlich Calé sind, jedenfalls keine "Roma und Sinti" - gegen die offenkundig rassistische "Bürgerinitiative für Sport und Sauberkeit" und andere ähnlich gesonnener Initiativen demonstriert. Das ist gut!

Gar nicht gut ist leider das Flugblatt zur Demonstration. Dieses Flugblatt, unterzeichnet von einer sich vollmundig als "Immigrants' self-defence unit" bezeichnenden Gruppe namens "Grenzfall", einer weiteren namens ArGiB und schließlich der "Antifa Bonn/Rhein Sieg" scheint es sich zum Ziel gesetzt zu haben, die in Bonn unvermeidlich überwiegend deutsche Öffentlichkeit davon in Kenntnis zu setzen, daß die Autoren kompromißlos anständige Menschen, der Rest der Bevölkerung hingegen rassistische Arschlöcher sind, mit denen man weder heute noch in Zukunft irgendetwas zu tun haben will. Die "theoretische" Grundlage dieser Position ist die des "Antinationalismus", einer Strömung der westdeutschen kleinbürgerlichen "Linken", die sich von der Analyse der Gesellschaft in Begriffen von Klasse zugunsten einer völkischen Analyse verabschiedet hat und sich von den Rechten vorallem dadurch unterscheidet, daß sie einfach alles gut findet, was diese schlecht finden und umgekehrt.

Das Flugblatt beginnt denn auch mit einem Appell an den Gedanken der Sippenhaft, wenn es dort heißt, daß mit Protesten der Pützchener Bürger gegen die "deutsche Säuberung" nicht zu rechnen sei, da ja schon "ihre Eltern und Großeltern in der Zeit des Nationalsozialismus ihren Teil dazu beigetragen haben, daß Sinti und Roma in KZs gesperrt, erschossen und vergaßt wurden". Da stellt sich doch zunächst die Frage: Was ist mit den Flugblattautoren und deren Eltern? Mit dieser Blut- und Bodenargumentation geht es dann weiter, wenn es heißt: "die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen und an unzähligen anderen Orten, die tägliche (Lebens-)Bedrohung aller nach deutschen Auswahlkriterien nicht zur deutschen Volksmasse gehörenden Menschen, sprechen eine deut(sch)liche Sprache." Es scheint uns, als wollten die Autoren hier nicht etwa die unbestreitbare Tatsache kundtun, daß es eine ganze Menge von deutschen Rassisten gibt, wie es übrigens auch Mengen von britischen, französischen, russischen, rwandesischen oder kambodschanischen Rassisten gibt, was wohlbemerkt die Angelegenheit in Deutschland nicht um ein Iota besser macht. Sie wollen sagen, daß der Rassismus organisch mit dem Deutschsein verbunden ist und merkwürdigerweise nur sie verschont hat.

Da sie so also nur ein einiges reaktionäres deutsches Volk kennen und keine Klassen oder individuellen Unterschiede mehr, kommt es ihnen natürlich auch nicht in den Sinn, sich zu überlegen, wie man bei diesem Volk eventuell Verbündete für sein antirassistisches Anliegen gewinnen könnte. Verbündete bedeutet notwendigerweise Menschen, deren Denken nicht mit dem eigenen völlig identisch ist. Soweit es die "normale" Bevölkerung anbelangt, d.h. all jene Menschen, deren Weltanschauung keiner wissenschaftlichen Systematisierung ausgesetzt wurde, ist ihr Denken allemal widersprüchlich und vielfältig zusammengesetzt. Die Aufgabe politischer Organisationen besteht nicht zuletzt darin, ihnen zu helfen, aus diesem Wirrwar eine zusammenhängende Weltanschauung zu machen. Die antinationalen Flugblattautoren jedoch treten den normalen Bürgern, die in nichtrevolutionären Zeiten innerhalb der kapitalistischen Klassengesellschaft überhaupt nicht anders können, als ein spontanes Bewußtsein zu haben, das die mit dem Kapitalismus verbundene Konkurrenzsituation im Rahmen des bürgerlichen Denkens - d.h. in der Epoche des niedergehenden Kapitalismus notwendigerweise reaktionären Denkens - weitgehend widerspiegelt, wie Marsmenschen gegenüber. Aber nur eine Minderheit spiegelt dieses reaktionäre Denken fast widerspruchslos wider. Es gilt, an die Widersprüche anzuknüpfen. Das Auftreten der Flugblattautoren diesen Menschen gegenüber jedoch ist ultimatistisch, wenn sie sagen: "Wir betrachen es als notwendig, Diskussionen - auch wenn sie gut gemeint sind - über rassistische Argumente gegen Roma und Sinti nicht zuzulassen. Das Debattieren darüber, ob und wieviel Lärm die Roma- und Sinti-Familien machen oder wieviel Roma und Sinti der Deutsche auf einmal ertragen kann, dienen lediglich der Legitimierung des Rassismus." So etwas kann nur jemand schreiben, der nur noch sich selbst auf der einen Seite und eine kompakte rassistische Masse auf der anderen Seite sehen kann und der nicht vorhat, aus seiner gesellschaftlichen Isolation herauszukommen. Herauskommen heißt wohlbemerkt nicht, sich irgendwelchen reaktionären Stimmungen und Argumenten anzupassen, nur um eine "Massenbasis" zu gewinnen. Es heißt aber, sich ernsthaft mit den Problemen der Menschen auseinanderzusetzen und ihnen andere Lösungen als die der rassistischen Bauernfänger anzubieten. Von Anfang an die Diskussion mit Menschen zu verweigern, deren Argumente teilweise rassistisch beinflußt sind, ist das Gegenteil. Angesichts des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zwischen der "Linken" und dem Rest der Bevölkerung ist das eine Haltung, die im übrigen nichts mit Politik zu tun hat. Bewußt in der marginalen Minderheit bleiben zu wollen, kann psychologisch durchaus nachvollziehbar sein, ist aber völlig steril und hat mit Politik ebenso wenig zu tun, wie um Gottes Segen zu flehen.

Was das mögliche Argument betrifft, es handele sich hier bewußt um eine Provokation, und eine derartige Strategie der Provokation habe sich zu Zeiten der 68er-Bewegung bereits als erfolgreich erwiesen, muß auf Folgendes hingewiesen werden: Das kulturreformistische Projekt der studentischen 68er konnte nur deshalb über "Provokationen" befördert werden, weil es ein gesellschaftliches Bedürfnis für einen Modernisierungsschub im Rahmen des Kapitalismus gab.

Was angesichts der heutigen Krise des Kapitalismus übrigbleibt, ist ein objektives gesellschaftliches Bedürfnis nach der Lösung der "Krise der revolutionären Führung", d.h. nach der Schaffung einer in der Arbeiterklasse verwurzelten revolutionären kommunistischen Partei als notwendige wenngleich nicht ausreichende Voraussetzung für den revolutionären Sturz dieser Ausbeutergesellschaft, die Krieg, Faschismus und Rassismus notwendigerweise erzeugt. Zur Lösung dieser historischen Aufgabe trägt niemand bei, der die Arbeiterklasse nur als eine unveränderbar reaktionäre Masse sehen will oder der ohnehin nur im Begriff des - natürlich zutiefst verachteten - "deutschen Volks" denken kann.

Wir könnten die "antinationale" "Linke", die ihren pervertiertesten und reaktionärsten Ausdruck seinerzeit in den "Wohlfahrsausschüssen" fand, die die Bombardierung der Zivilbevölkerung in Dresden durch die Luftwaffe des britischen Imperialismus beklatschte, rechts liegen lassen, wenn nicht eine ansonsten vielversprechende Organisation wie die Antifa im Bündnis mit solchen Kräften ihr Ansehen beschmutzen würde und wenn angesichts des von diesen "antinationalen" Kleinbürgern veranstalteten Lärms nicht die in der BRD zahlenmäßig so kleine revolutionäre proletarische Linke unter ihren Umtrieben, die von der Arbeiterklasse als Umtriebe "der Linken" mißverstanden werden können, leiden müßte. Dieses Interesse alleine ist es, daß uns nötigt, uns hin und wieder mit diesem abgeschmackten objektiv reaktionären Unsinn zu befassen.

Bonn, den 29.6.1998

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