Obgleich die US-Präsidentschaftswahlen nun schon geraume Zeit zurückliegen, veröffentlichen wir den nachfolgenden Artikel über die Wahlkampagne von Ralph Nader. Wir sind der Meinung, daß dieser Artikel aus der Zeitschrift der 'League for the Revolutionary Party' (LRP/COFI) das Problem einer Wahlunterstützung seitens der Linken für Parteien darstellt, die keine Arbeiterparteien sind. In der BRD gibt es bereits ausreichende Erfahrung mit den 'Grünen', während die mit der ungeachtet ihres Namens ebenfalls in diese Kategorie fallende PDS teilweise noch aussteht. Darauf hingewiesen werden muß an dieser Stelle auch, daß die im Artikel kritisierte ISO-US, die eine wichtige Mitgliedsorganisation der 'International Socialism Tendency' um die britische 'Socialist Workers Party' (SWP) war, von dieser inzwischen aus der IST herausgedrängt wurde und zwar wesentlich mit der Begründung, sie habe Nader nicht ausreichend unterstützt (s. 'KOVI Dokumente' Nr.5). Der bundesdeutsche Ableger der SWP-GB ist die Gruppe 'Linksruck'. KOVI-BRD


Nader: Das kapitalistische Amerika vor sich selbst retten

von Dave Franklin und Matthew Richardson

Ralph Nader's Wahlkampagne zu den Präsidentschaftwahlen begann mit einem Knall, aber endete mit weniger als einem Wimmern.

Der Knapp kam mit Nader's Ankündigung, daß er den massiven Protest von Seattle im November 1999 in eine Wahlkampagne weiterführen werde, um sowohl die Republikanische und die Demokratische Partei als auch die großen Konzerne, denen diese dienen, herauszufordern. Er brandmarkte das politische System, das vom Großkapital betrieben werde, und verurteilte einen Wirtschaftsboom, der die Taschen der Konzerne füllte und gleichzeitig die Arbeiter hinter sich ließ. Und er schien absolut kompromißlos in seiner Feindschaft gegenüber den Demokraten und weigerte sich sogar, seine Kandidatur zurückzuziehen, selbst wenn es Al Gore die Präsidentschaft kosten sollte.

Nader's Anspruch "die Geißel der amerikanischen Konzerne" zu sein, fand ein Echo bei einer Menge prominenter Liberaler, Berühmtheiten und selbst solchen, die sich als Sozialisten bezeichnen. Sie unterstützten Nader als einen mutigen Gegner der herrschenden Mächte und einen Verteidiger von 'Basisdemokratie'. Und all das schien durch die Kampagne Gore's bestätigt zu werden, der Nader hart als einen "Pöstchenjäger" angriff.

Als das Patt bei den Novemberwahlen das Land in politische Raserei stürzte und den Betrug seiner Demokratie entlarvte, schien für Nader die Bühne bereit zu sein, um die Gelegenheit zu ergreifen und aufzustehen für Gerechtigkeit. Als aber Zehntausende von schwarzen Bürgern Floridas ihr Recht zu wählen gestohlen sahen, weigerte sich Nader, dagegen aufzutreten. Während Gore dem Thema des rassistischen Entzugs des Wahlrechts auswich, sah Nader nicht einmal seine Bedeutung. Als empörte Wähler aus Protest in den Straßen marschierten, machte Nader einen Witz über das Münzenwerfen, um den Präsidenten auszuwählen. Der 'Verbraucher Wachhund', der jahrzehntelang über die Kriminalität der Konzerne gewettert hatte, erwies sich als ein williger Schoßhund für monumental kriminelles politisches System.

Radikale, die Nader unterstützten, weil sie glaubten, seine Kampagne könnte den Kampf gegen die Macht der Konzerne voran bringen, sollten über diesen Verrat empört sein. Wir hoffen, daß sie das dazu bringt, sich über Nader im Einzelnen und über eine Unterstützung für Mittelklasse-Reformer im Allgemeinen noch einmal Gedanken zu machen.

Die Klassenfrage

Die kapitalistischen Konzerne ernsthaft anzugehen, verlangt einen Kampf gegen das kapitalistische System insgesamt. Der Marxismus lehrt uns, und viele Radikale haben da aus den Kämpfen in Seattle und anderswo gelernt, daß diese Herausforderung nur von der Arbeiterklasse und ihren Kämpfen kommen kann.

Marxistische Revolutionäre können Wahlen nutzen, um Kämpfe der Arbeiterklasse zu ermutigen und unterden Arbeitern sozialistisches Bewußtsein zu fördern. Die einzige Kampagne, die diese Ziele unterstützen kann, ist eine, die auf der Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von der herrschenden kapitalistischen Klasse basiert. Aber populistische Mittelklasse-Kandidaten wie Ralph Nader verstärken, gleich wie radikal oder 'unabhängig' (und wir werden zeigen, daß Nader das nicht allzu sehr war) sie sind, nur den fehlenden Glauben der Arbeiter an die Fähigkeit ihrer eigenen Klasse, zu kämpfen und ihre eigenen Führer zu produzieren; sie fördern leere Hoffnungen darauf, daß ein Retter kommen und die Probleme der Arbeiter lösen wird. Deshalb ist es ein grundlegendes marxistisches Prinzip, daß Revolutionäre nur unabhängige Arbeiterklasse-Wahlkampagnen unterstützen können.

Nader hat die Partei der Grünen als den passendsten Mechanismus für sein Programm gewählt. Die Partei de Grünen ist keine Arbeiterpartei, sie ist keine Massenorganisation und kein Kampfinstrument. Sie ist eine Mittelklasse-, überwiegen weiße, Wahlmaschine. Während Nader in einigen Gegenden durchaus Unterstützung aus der Arbeiterklasse erfährt (und bei Arbeiterbürokraten in den UAW und den 'Teamsters' zum Jahresbeginn Gehör fand), kam gar nicht überraschend der größte Teil der Unterstützung für ihn bei den Wahlen von Mittelklasse-Liberalen.

Einige Sozialisten in Nader's Lager argumentierten, daß er trotz einiger Probleme eine Bewegung aufbaue, die es zu unterstützen gelte. Die 'International Socialist Organization' (ISO) (1) z.B. argumentierte, daß die Kampagne zur Unabhängigkeit der Arbeiterklasse führen könne:

"Nader ist kein Sozialist, aber seine Forderung nach einem nationalen Gesundheitssystem [national health care], nach Gewerkschaftsrechten und Sozialpolitik stehen weit links von den etablierten Parteien. Seine Kampagne gibt Aktivisten der Arbeiterbewegung und der Antiglobalisierungsbewegung einen Brennpunkt, um mit der Demokratischen Partei zu brechen. Das könnte den Weg zur Entwicklung einer unabhängigen politischen Partei der Arbeiterklasse eröffnen." (Socialist Worker 21. Juli 2000)

Die 'Socialist Alternative' Gruppe (2), deren zentrale Strategie darin besteht, in den USA eine reformistische Labor-Massenpartei als ein vermeintlicher Schritt zu einer revolutionären Arbeiterpartei aufzubauen, machte sich Sorgen über die Entscheidung Nader's, die Partei der Grünen als sein Vehikel auszuwählen.

"Die Gefahr besteht, daß die Grünen eine wichtige Wählerschicht (einschließlich vieler Arbeiter und Jugendlicher) und die neue entstehende Bewegung, die in Seattle begann, an ihr Programm und ihre Partei binden könnten. Das wird auf Jahre hinaus den Kampf für den Aufbau einer sich auf die Gewerkschaften stützenden Massenpartei der Arbeiterklasse behindern." (Justice, Sept-Oct)

Trotzdem untertstützten sie Nader und sagten, daß sie "für die Schaffung einer neuen, breiten Arbeiterpartei einträten, die aus der Wahlkampagne Naders entstehen würde". Das wird aber nie passieren.

Das Problem war nicht einfach der Nicht-Sozialismus von Nader oder die Mittelklasse-Grünen. Wir werden in diesem Artikel zeigen, daß Nader's Programm trotz seiner zahlreichen Reformen für die Arbeiterklasse ein Gift ist.

Alles politische Verstehen beginnt mit der Anerkennung der grundlegenden Klassenspaltung in der Gesellschaft: die Arbeiterklasse gegen die herrschende kapitalistische Klasse. Nader's politische Perspektive ist die seiner Unterstützerbasis, der Mittelschichten, die in der Mitte des Klassenkampfes gefangen sind und versuchen, eine Brücke zwischen den Klassen zu finden. Deshalb versuchte Nader, die Klassen in Amerika mit Appellen an den Nationalismus zu vereinen. Er nannte die kleinen Geschäftsleute und nicht die Arbeiterklasse als Schlüssel zu seinen wirtschaftlichen Perspektiven. Seine Kampagne stellte nicht einmal einen Bruch mit der Demokratischen Partei dar -- wie wir zeigen werden, war Nader's Ziel mit dieser Kampagne, entweder die Demokratische Partei nach links zu einem liberaleren Programm hin zu drücken, oder sie durch eine neue liberale Partei, aber nicht mit einer Arbeiterpartei herauszufordern. Darüber hinaus war seine Kampagne keine Fortführung des durch den Erfolg von Seattle hervorgrufenen Aktivismus -- er spielte z.B. keinerlei Rolle bei den Protesten gegen die Parteitage der Republikaner und der Demokraten. Seine Kampagne war eine Umlenkung potentieller Massenkämpfe zum bürgerlichen Wahlgeschäft hin.

In dem Maße wie sich die Krise des Kapitalismus entwickelt und sich die Arbeiterkämpfe verstärken werden auch in Zukunft populistische Politiker auftauchen und behaupten, noch viel mehr gegen die Konzerne zu sein und sogar militantere Kämpfer für Demokratie zu sein als Nader, und das nur, um wie dieser die Arbeiter von einem wirklichen Kampf gegen das System abzuhalten. Während Nader offen prokapitalistisch ist und sogar "das kapitalistische Amerika vor sich selbst retten will" (wie seine website bekräftigte), werden zukünftige Populisten den Kapitalismus verurteilen und den Sozialismus hochleben lassen. Dabei werden sie Unterstützung von Leuten finden, die sich selbst als Sozialisten bezeichnen, und die scharf darauf sind, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Das ist der Grund, weshalb es wichtig ist, nicht nur das wahre Wesen von Nader's Kampagne zu entlarven, sondern auch die Rolle von Sozialisten, die sich seiner Kampagne angeschlossen und sich für ihren politischen Wert verbürgt haben.

Nader und die Demokratische Partei

Nader zufolge ist die 'Demokratische Partei' "nicht länger die Partei der arbeitenden Familien", seit sie vom Demokratischen Führungsrat Clinton's und Gore's geführt wird. Statt dessen ist sie politisch mit der Republikanischen Partei zusammengefallen zu etwas, was er "Republicrats" nennt. Verschwunden ist die Partei, deren "zentrale Prinzipien" Nader wiederholt als diejenigen genannt hat, nach denen er strebt, die Demokratische Partei Franklin Roosevelt's und Harry Truman's. Nader hat seine ganze Karriere darauf aufgebaut, kleine Reformen durch seinen Zugang zu Demokraten im Kongreß durchzusetzen. Jetzt beklagt er sich, daß er keinen Zugang mehr hat.

Die Demokratische Partei war nie eine Partei der Arbeiter; sie war immer eine Partei der Kapitalisten. Die alte Demokratische Partei war nicht nur die Partei der Reformen des New Deal, sondern auch die des Rassismus in den Südstaaten und imperialistischer Kriege. Selbst ihre 'Reformen' waren kapitalistisch: unter Roosevelt rettete die Demokratische Partei in den 30er Jahren den Kapitalimus angesichts der zunehmenden Kämpfe der Arbeiterklasse, indem sie die Gewerkschaftsbürokratie in das bürgerliche Rechtssystem und die Umleitung des lebhaften Klassenkampfes in parlamentarische Politik einsperrte. Roosevelt war sich auch nicht zu schade dafür, Bundestruppen einzusetzen, um Streiks zu brechen, Sozialisten auf der Grundlage des Smith Act ins Gefängnis zu werfen und Tausende von Japano-Amerikanern während des Zweiten Weltkriegs in Konzentrationslager zu sperren. Truman gewann in den 40er Jahren den Weltkrieg, indem er die Atombombe auf die japanische Zivilbevölkerung warf, den imperialistischen Krieg in Korea begann und die Verfolgung linker Gewerkschafter und Intellektueller initiierte, die ihrem Höhepunkt im McCarthyismus fand.

Als die 'neuen Demokraten' Clinton und Gore den Irak aushungerten, Serbien bombardierten, das Wohlfahrtsprogramm beendeten, die Einwanderungskontrolle verschärften und die Todesstrafe durchsetzten, da mußten sie keine Anleihen bei den Republikanern machen. Die Demokratische Partei hat ihre eigene Bilanz von Krieg, Rassismus, Imperialismus und Sparpolitik.

Nichtsdestoweniger glaubt Nader, er könne weitere Verbrechen der Demokraten verhindern, indem er den Liberalismus der Demokratischen Partei von außen wiederbelebt. Die Partei der Grünen setzte ihre örtlichen Sektionen unter starken Druck, dort, wo das einem Demokraten den Wahlerfolg kosten könnte, keine eigenen Kandidaten aufzustellen, und kritisierte einige Grüne sehr heftig dafür, daß sie genau das täten. Nader ging so weit und rief Pressekonferenzen ein, um persönlich eine Reihe von Kandidaten der Demokraten für den Senat zu unterstützen. Auf dieser Grundlage wurde von Nader-Unterstützern eine Website eingerichtet, um einen Stimmenaustausch zwischen Unterstützern von Gore und von Nader zu erleichtern, wodurch Nader-Anhänger in umkämpften Staaten für Gore stimmen sollten, während Gore-Anhänger in für die Demokraten 'sicheren' Gebieten für Nader stimmen würden.

In dem Maße wie das Rennen zwischen Bush und Gore enger wurde, sah sich Nader der Alternative gegenüber, entweder seine Kampagne abzubrechen, oder aber notfalls genügend Stimmen von Gore abzuziehen und es dadurch Bush zu ermöglichen, die Wahl zu gewinnen. Er machte weiter und schien dadurch sein Image als ein unversöhnlicher Gegener der Demokraten zu bestätigen. Aber er erklärte, daß er den liberalen Flügel der Demokraten unterstütze und daß seine Kampagne darauf abziele, da sie gewählt würden. Er argumentierte, daß der Wahlkampf der Grünen viele neue Wähler mobilisieren und zu ihrer Registrierung (3) führen werde, und diese würden, wenn sie einmal erst für ihn in der Präsidentschaftswahl gestimmt hätten, in nachfolgenden lokalen Wahlen überwiegend für die Demokraten stimmen und diesen damit helfen, den Senat zu erobern.

Insbesondere äußerte sich Nader erfreut über die Möglichkeit, daß seine Kampagne vielleicht helfen könne, den Führer der Demokratischen Partei, Dick Gephardt, zum Parlamentssprecher zu machen. Die 'Washington Post' schrieb am 17. August:

"Nader selbst glaubt, daß er für die Demokraten eher eine Hilfe als ein Hinderniß sein könnte. Wenn er einen Teil der Dutzenden von Millionen Menschen, die entweder gar nicht wählen gehen oder unabhängige Kandidaten unterstützen, erreichen kann, würde er so den Demokraten ein Signal senden, ohne das Weiße Haus Bush auszuhändigen. Er glaubt auch, daß der Enthusiasmus der Unterstützung für die Grünen den Demokraten dabei helfen könnte, das Repräsentantenhaus zurückzuerobern. Menschen, die gar nicht zur letzten Wahl gegangen sind, könnten für Nader als Präsident stimmen und gleichzeitig für eine Kandidaten der Demokraten für das Repräsentantenhaus oder den Senat. «Jeder, der sagt, ich könnte Gore die Wahl kosten, muß eingestehen, daß ich Gephardt zum Sprecher machen könnte. Das ist eine schöne Perspektive für die Demokraten», sagt er."

In einem anderen Interview behauptete Nader, sich mit Gephardt getroffen und seine stillschweigende Zustimmung erlangt zu haben:

"Aus meinen Trefen mit Gephardt vor einigen Wochen wurde ganz deutlich, daß er nichts gegen diese Kandidatur hat. [Er richtet seinen Blick auf] ein paar Kongreßwahlkämpfe auf Distriktebene, die eng werden. Ein paar Tausend Stimmen hier und dort, und er ist der Sprecher. Das ist ziemlich wichtig...." (LA Weekly, Juni 30 - Juli 6.)

Das seine Wahlkampagne nur der letzte Versuch war, der Leiche des Liberalismus der Demokratischen Partei neues Leben einzuhauchen, wurde am besten von Nader selbst in einem umstrittenen Interview mit Jesse Jackson deutlich gemacht. Nader erklärte: "Jesse, wir versuchen nur von außen das zu tun, was Du nicht von innerhalb [der Demokratischen Partei] geschafft hast."

Naders reaktionärer Nationalismus

Revolutionäre Sozialisten sind für proletarischen Internationalismus, die Sache der Vereinigung der Arbeiter und unterdrückten Völker der Welt über nationale Grenzen hinaus gegen ihre eigenen nationalen herrschenden Klassen. Wir bekämpfen den Nationalismus als eine reaktionäre Ideologie, die die Massen an ihre Unterdrücker kettet und behauptet, sie hätten mit den Herrschenden in ihren jeweiligen Ländern mehr gemein als mit ihren Kollegen jenseits der Grenzen. Vorallem im Herzen des blutigsten Reichs der Geschichte ergreifen wir jede Gelegenheit, die vom US-Imperialismus angegriffenen Völker zu verteidigen.

Für Nader jedoch ist es der Nationalismus, der seine seine Opposdition gegen 'die Globalisierung der Konzerne' und Freihandelsarrangements antriebt. Die sogenannte 'Globalisierung' und die zu ihr gehörenden Deals werden in erster Linie durch die Ausdehnung der Ausbeutung der halbkolonialen Welt durch die imperialistischen Mächte, vorallem die USA, charakterisiert. Die amerikanischen Kapitalisten sind dann in der Lage, ihre Ausbeutung der amerikanischen Arbeiter zu intensivieren, indem sie die Drohung mit der Konkurrenz seitens ausländischer oder Arbeitsimmigranten nutzen, um die Löhne und die Arbeitsbedingungen zu Hause zu drücken.

Die Lösung für die Globalisierungsangriffe der Kapitalisten ist ein vereinter Kampf der Arbeiter weltweit gegen den Imperialismus. Aber prokapitaslistische Gewerkschaftsbürokraten, die darauf aus sind, den Klassenkampf zu vermeiden, drängen auf eine andere Strategie: Protektionismus. Sie ziehen es vor, sich mit den amerikanischen Bossen, die Angst haben, in der internationalen Konkurrenz den Kürzeren zu ziehen, in einer Kampagne für Handelsrestriktionen und dem Schutz der amerikanischen Industrie und amerikanischer Jobs zusammenzutun. So kamen Stahlbosse und die Stahlarbeiter-Gewerkschaft in einer Kampagne gegen den Import von Stahl aus China zusammen; und die Teamsters (4) protestierten zusammen mit lokalen Transportfirmen dagegen, das mexikanische Lastwagenfahrer Waren in die USA transportieren. Autofirmen und die 'United Auto Workers'-Gewerkschaft sind seit langem damit beschäftigt, Japan runterzumachen und Kampagnen gegen Asien durchzuführen.

Ralph Nader hat sich dieser protektionistischen Bande angeschlossen und seinen eigenen nationalistischen Dreh dazugetan. Sein Hauptgrund, aus dem er gegen das NAFTA-Abkommen und internationale Handels-Körperschaften wie die Welthandelsorganisation (WHO) ist, ist der, daß er sich wegen der Interessen der USA sorgt. Läßt man seine höfliche Stellungnahmen des Interesses für überausgebeutetete Arbeiter in fremden Ländern beiseite, so beschwerte sich Nader, wenn er gegen NAFTA und GATT war, darüber, daß diese Abkommen die amerikanische Souveränität verletzten, indem sie das Land nichtgewählten ausländischen Gerichten unterwarfen, und daß die Abkommen zum Export "amerikanischer Jobs" ins Ausland führten. In Wirklichkeit ist es der amerikanische Kapitalismus, der die Weltwirtschaft beherrscht und billige Arbeit sowohl im eigenen Land wie auch im Ausland fordert. Die USA sind kaum Ausländern untertan: sie unterwerfen die Arbeiter und sogar Kapitalisten in den armen Ländern dieser Welt ihrem Diktat.

Im Juni verletzte Präsident Clinton das NAFTA Handeldabkommen als er verbot, daß mexikanische Lastwagen in die USA kamen. Ein Segen für die Eigentümer der US-Straßentransportfirmen war Clinton's Politik gleichzeitig ein Angriff auf mexikanische Arbeiter, von denen viele ihre Jobs verloren. Nader lobte diese Politik, und sagte, sie sei der einzige Weg, amerikanische Autofahrer vor der Gefahr durch überladene und von unqualifizierten, schlecht bezahlten Fahrern gefahreren mexikanischen Lastwagen zu schützen. Er konnte sich auch nicht vorstellen, daß amerikanische Lastwagenfahrer gleichfalls gezwungen sind, ihre Lastwagen zu überladen und zu viele Stunden zu arbeiten, so daß sie auch zu einer Gefahr auf der Straße werden.

Nader's Amerika-Zuerst-Nationalismus brachte ihn dazu, mit dem offen rassistischen, Hitlerbewunderer und homosexuellenfeindlichen Pat Buchanan -- der sich von den Republikanern nach rechts abgespalten hatte, um seinen eigenen Wahlkampf mit der Reform Party zu führen -- einen Nichtangriffspakt zu schließen. Nader und Buchanan hatten in der Tat eine Menge gemeinsam: sie stimmten in ihrer Opposition gegen NAFTA aus protektionistischen Gründen überein, darin, China aus der WHO rauszuhalten, mexikanische Lastwagenfahrer zu ächten -- und sogar darin, den eindeutig politisch interessierten Versuch, Clinton amtszuentheben, zu unterstützen.

Diese unheilige Einheit zeigte sich in einer Reihe von gemeinsamen Auftritten. Beispielsweise beteiligte sich Nader gemeinsam mit Buchanan an einer Internet-Diskussion, die im November 1999 von der Zeitschrift 'Time' gefördert wurde, und wo er gefragt wurde: "Herr Nader, unterstützen Sie Herrn Buchanan's Präsidentschaftskampagne?" Statt seine Empörung darüber zum Ausdruck zu bringen, daß er so einen Reaktionär unterstützen könnte, räumte Nader diese Möglichkeit ein, indem er kundtat: "Da ich dabei bin, eine Entscheidung zu treffen, ob ich Anfang nächstes Jahr selbst kandidiere, kann ich zu diesem Zeitpunkt niemanden anders unterstützen."

Als er gefragt wurde, ob seine Zusammenarbeit mit Buchanan bezüglich Handelsfragen nur ein praktischer Block mit jemandem sei, der in Wirklichkeit in wichtigen Fragen sein Feind sei, wies Nader diese Idee scharf zurück. Er erklärte: "Unsinn. Wir haben das fünf Jahe lang diskutiert. Wir haben Pressekonferenzen abgehalten, und es ist eine Zusammenarbeit, die auf der Überzeugung basiert, daß wir unsere Demokratie verteidigen und verbessern müssen, so daß wir frei übereinstimmen können, nicht übereinzustimmen."

In Antwort auf einen Fragesteller, der sich nach seiner Kritik an den Konzernen erkundigte, sagte Buchanan:

"Lassen Sie mich sagen, daß meine Kritik an amerikanischen Konzernen darin besteht, daß so viele von ihnen nicht länger amerikanisch in ihrer Betrachtungsweise, in ihren Interessen und ihren Sorgen sind. Sie wenden sich von ihrem Land und ihren Arbeitern ab."

Und Nader schmückte Buchanan's Behauptung weiter aus als er sagte:

"Vor etwa zwei Jahren habe ich Briefe an einige dergrößten amerikanischen Konzerne geschickt. Ich habe sie gefragt, da sie doch in den USA geboren sind, da sie ihre Profite aus der Arbeit der amerikanischen Arbeiter machten, da sie, wenn sie in Schwierigkeiten kommen, nach Washington gehen und dort um Bürgschaften durch den US-Steuerzahler nachfragen und, wenn sie in Übersee Schwierigkeiten bekommen, die US-Marines zu Hilfe rufen, ich habe also vorgeschlagen, daß sie doch bitte ihre Treue zur amerikanischen Fahne bekunden."

Nader und Buchanan schwenken die amerikanische Flagge, um die US-Arbeiter an die US-Bosse zu ketten. Sie haben für die Arbeiter im Ausland nur Mißachtung übrig und fürchten die Möglichkeit von Bündnissen der Arbeiterklasse über die Grenzen hinweg. Ob er will oder nicht, der 'Konzerngegner' Nader fördert den US-Imperialismus und damit die herrschenden US-Konzerne rund um die Welt.

Nader's Flaggenschwenkerei war nicht nur verbal. Bei seinen 'Super-Kundgebungen' überall im Land hing auf der Bühne hinter ihm eine große amerikanische Flagge -- als Symbol für den Imperialismus, den er verteidigt.

Zweideutigkeiten über die Außenpolitik

Naders proimperialistischer Nationalismus wird auch bei seiner Einwanderungspolitik klar. Auf den ersten Blick hören sich seine Stellungnahmen zu diesem Thema fortschrittlich an. Beispielsweise rief er dazu auf, allem Immigranten volle staatsbürgerliche Rechte zu geben und die Grenze zwischen Mexiko und den USA zu entkriminalisieren. Er sagte, die USA sollten aufhören, Diktaturen zu unterstützen, die die Arbeiter zur Auswanderung zwängen, um Jobs und Sicherheit zu finden.

Bei näherem Hinsehen jedoch ist Nader's Politik nur eine etwas sensiblere liberale Version des Amerika-Zuerst-Anti-Einwanderer-Nationalismus. Arbeitsimmigranten sollten nur "für eine kurze Zeit" kommen dürfen, um Arbeiten zu verrichten, "die Amerikaner nicht tun wollen" (Rede in Oakland, 10. Oktober). Nader erkennt an, daß das eine deutliche Verstärkung der Überwachung an der US-Grenzen verlangen würde. Entgegen seinen Behauptungen, daß er für eine Entkriminalisierung sei, kann Nader's Politik nur in einer Superkriminalisierung der Grenzen enden -- denn wie sonst sollte man "zu viele" Immigranten draußen halten und sicherstellen, daß diejenigen, die reinkommen, nur die Jobs bekommen, die "Amerikaner" nicht machen wollen?

Nader's insularer Nationalismus zeigt sich auch in seiner Weigerung, zu fast allem, was mit Außenpolitik zu tun hat, Stellung zu nehmen. Er vermied es, Stellung zu den Angriffen des US-Imperialismus, die während seiner Wahlkampagne stattfanden -- wie die Bombardierung Serbiens oder daß Clinton eine Milliarde Dollar Hilfsgelder an das kolumbianische Militär für den Kampf gegen die linken Guerillas vergab -- zu beziehen.

Die einzige Ausnahme von diesem Schweigen machte er in Hinblick auf den gewalttätigen Kampf zwischen Israel und dem palästinensischen Volk. Nader drückte seine Unterstützung für das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat aus und sympathisierte mit den Palästinensern, die sich der überwältigenden Waffenüberlegenheit Israels gegenübersehen. Er rief auch zum Abbruch der US-Hilfe für Israel auf.

Aber seine wirkliche Position läuft auf Neutralität zwischen dem Unterdrücker und dem Unterdrückten heraus. Er verteidigte Israels Sicherheitsbedürfnis und rief Israel auf, "nicht-tödliche Gewalt" einzusetzen -- doch wohl, um die Palästinenser weiterhin zu unterdrücken (Rede in New York am 7.Okt.). Der palästinensische Staat, den er unterstützt, ist das in sich noch mal unterteilte Bantustan, dem Israel zustimmen würde, denn er unterstützt den Pseudo-'Friedensprozess', dessen Ziel darin besteht, die palästinensischen Unruhen mit möglichst wenig Versprechen einzudämmen. Vorallem begrüßt er die Rolle der USA als Schlichter: Die USA, sagte er, hätten die militärische und wirtschaftliche Schlagkraft, um "ein sehr viel konstruktiverer Führer zu sein".

Im gleichen Sinn erklärt die Partei der Grünen ('Green Party') ihre Unterstützung für "internationale multilaterale Friedenssicherung, um Aggression und Völkermord zu stoppen." Die imperialistischen Kräfte, die mit Zustimmung der Grünen für die "multilaterale Friedenssicherung" sorgen würden, sind allerdings natürlich selbst die größten Urheber von 'Aggression und Völkermord'. Daß der Nationalismus von Nader und den Grünen und ihre Unterstützung für "multilaterale" imperialistische Militärinterventionen meinen, was sie sagen, kann am Beispiel der Partei der Grünen in Deutschland gesehen werden. Dort sind sie der sozialdemokratischen Regierung beigetreten, und ihr Führer Joschka Fischer war der Außenminister, der die Oberaufsicht über Deutschlands Rolle bei der NATO-Bombardierung Serbiens innehatte.

Nader über die Kämpfe der Unterdrückten

Während seines gesamten öffentlichen Lebens hat sich Nader von den Kämpfen gegen Rassismus, Sexismus und Unterdrückung von Homosexuellen ferngehalten. Bei seinen Präsidentschaftskampagnen kam er unter verschärften Druck, zu diesen Fragen Position zu beziehen.

Während seiner Kampagne von 1996 weigerte er sich beharrlich, das zu tun und sagte verschiedentlich, daß solche Themen unwichtig seien, ablenkten und spalteten. Bei anderen Gelegenheiten gab er seiner unverholenen Geringschätzung für die Unterdrückung von Menschen Ausdruck, beispielsweise wenn er die Kämpfe für die Rechte von Frauen und von Homosexuellen als "Keimdrüsenpolitik" runtermachte.

In der jüngsten Kampagne fanden wir Nader, wie er sich vor den Kämpfen gegen Rassismus drückte. Bei wichtigen Reden in Chicago und New York erwähnte er das Thema überhaupt nicht bis es schließlich von Fragestellern aus dem Publikum aufgebracht wurde. Er hat formale Positionen zugunsten 'positiver Diskriminierung' und gegen Polizeibrutalität und die Todesstrafe -- im Abstrakten. Aber er sagt nichts gegen die drohende Hinrichtung von Mumia Abu Jamal, der in Pennsylvania im Rahmen eines Komplotts als 'Polizistenmörder' angeklagt ist; er hat sich auch nicht gegen George W. Bush's Hinrichtungsbefehl für Shaka Sankofa in Texas während des Wahlkampfs gewandt. Seine Vizepräsidentschaftskandidatin, Winona LaDuke, verlangt allerdings Milde für den politischen Gefangenen Leonard Peltier, einen Organisator des 'American Indian Movement', der seit über 20 Jahre in einem Bundesgefängnis sitzt.

Auf einer Pressekonferenz wurde Nader von einem Mitglied der Green Party über den Sankofa, Abu Jamal und Peltier-Fall befragt. Er weigerte sich, das zu kommentieren, erklärte, daß es viele Fälle von Rechtsmißbrauch gebe, und sagte "Es gibt einfach nicht genug Zeit, sich auf relevante Art und Weise mit jedem Einzelnen zu befassen". Nader hat die Zeit, die persönliche Geschichte von Weißen zu untersuchen, die bei Autounfällen wegen schlechter Gurte sterben, aber er hat keine Zeit, sich darum zu kümmern und laut seine Meinung zu sagen, wenn Schwarze festgeschnallt werden, um vom Staat hingerichtet zu werden! Lügner! Wen wundert es dann, daß Naders Kandidatur von schwarzen und latino-Wählern weitestgehend ignoriert wurde?

Nader hat gleichermaßen auch eine formale Position zu Gunsten des Rechts von Frauen auf Abtreibung. Aber als er über die Möglichkeit befragt wurde, daß ein Sieg von Bush zu einer Umbesetzung des Obersten Gerichts führen könnte, daß das 'Roe gegen Wade'-Urteil kassieren würde, da wies er den Gedanken, daß das Recht auf Abtreibung je angegriffen werden könnte, zurück und antwortete selbstgefällig, daß es gar kein Problem sein würde, wenn das Oberste Gericht das Abtreibungsrecht revisierte, weil die Sache dann eine Angelegenheit der einzelnen Staaten sein werde. Viele Politiker in den Bundesstaaten sind jedoch ganz scharf darauf, Abtreibungen einzuschränken oder überhaupt abzuschaffen; das war der Grund, weshalb man vor einem Viertel Jahrhundert für die Abtreibungsrechte gekämpft und sie auf nationaler Ebene durchgesetzt hatte.

Was Nader übersieht, ist, daß soziale Reformen und demokratische Rechte durch Massenkämpfe gewonnen werden. Ohne Massenaktionen werden Abtreibungsrechte ebenso verloren werden wie die Todesstrafe nicht gestoppt wird -- und das ist genau der Punkt, der von einem Kandidaten gemacht werden sollte, der behauptet, "im Geiste von Seattle" zu kandidieren.

In der Tat hat Nader seine ganze Karriere hindurch eine legalistische Strategie von Reformen verfolgt und Prozesse vor dem Gericht mit Lobbyarbeit bei liberalen Politikern kombiniert. Er machte sich in den 60er Jahren einen Namen mit dem Buch 'Unsafe at Any Speed' (Bei jedem Tempo unsicher), in dem gefährliche Mängel im Design von Autos enthüllt wurden. Was immer auch die Qualitäten dieses Buches waren, so sollte man doch das Timing beachten. Das waren die Jahre, als Zehntausende von Schwarzen fòr ihre Bürgerrechte und um die Jim Crow-Segragation zu beenden in den Straßen marschierten und mit Polizeihunden, Wasserwerfern und Gewehrfeuer konfrontiert wurden -- als Hunderttausende gegen den mörderischen Krieg der USA in Vietnam protestierten. Und Ralph Nader schrieb ein Buch über unsichere Autos! Während seiner gesamten Karriere hat Nader jeden größeren sozialen Kampf ignoriert -- von Vietnam und Black Power über den US-Imperialismus in Zentralamerika und im Nahen Osten bis zur Verteidigung der Abtreibungsrechte.

Nader sagt, daß Kämpfe um die Rechte von Schwarzen und von Frauen "spalterisch" sein können. Das sind zentrale Fragen der US-Politik, und jeder Führer, der nicht offen für sie eintritt, appelliert an die Reaktion. In der Tat hat sich Nader als er im Juni die Nominierung durch die Green Party angenommen hatte, offen um konservative Wähler bemüht. Ein Interviewer zitierte ihn: "Ich habe die Dinge immer in die Form eines Appells an traditionelle Werte gebracht... Ich habe immer darauf geachtet, bei Konservativen anzukommen." Wundert es da, daß er die Sorgen von Schwarzen und von Frauen runterspielt?

ISO: Nader's Anwälte in der Linken

Wie konnten angesichts all dessen Gruppen, die sich als revolutionär und sozialistisch verstehen, eine US-nationalistischen, prokapitalistischen Liberalen unterstützen, dessen Kampfmethoden Prozesse und Wahlkämpfe aber keine Massenaktionen sind?

Die ISO verfolgte eine Doppelstrategie. Öffentlich verbarg sie Nader's politische Mängel, aber in der relativen Abgeschiedenheit ihrer theoretischen Zeitschrift brütete sie marxologische Rechtfertigungen dafür aus, daß sie die Klassenlinie überschritt. Öffentlich -- in ihren Flugblättern, Reden, Plakaten udgl. -- begrüßte die ISO den Kandidaten der Green Party wie einen Held. Beispielsweise ihre Broschüre "Warum Sie Ralph Nader's Präsidentschaftskandidatur unterstützen sollten". Zusätzlich dazu, daß hier eine Liste von Nader's progressiven Positionen wie die Zügelung der Exzesse der Konzerne oder die Verteidigung der Umwelt ausgebreitet wird, kritisiert die Broschüre milde seinen "Fehler", daß er sich nicht deutlicher zum Rassismus äußere. Aber sie erwähnte nicht Nader's Prokapitalismus und Nationalismus, und auf jeden Fall störte sie den Leser nicht mit ihrem eigenen Glauben an den Sozialismus.

In ihrer Zeitung sagte man den Lesern etwas mehr: daß Nader's Wahlkampf genutzt werden könne, um eine schon stattfindende Bewegung gegen eine ganze Reihe von Ungerechtigkeiten und sogar für den Sozialismus aufzubauen. Aber die Hinweise von 'Socialist Worker' auf den Sozialismus wurden nicht Nader's kapitalistischer Politik entgegengesetzt; sie wurden so dargestellt, als seien sie der beste Weg, Nader's Kampagne fortzuführen; denn Nader's eigene Sichtweise von sozialem Wandel wurde als "begrenzt" bezeichnet.

Die ganz Entschlossenen konnten dann eine 'marxistische' Kritik von Nader's Ansichten und eine Erklärung dazu, wie eine Unterstützung für Nader die Sache des Sozialismus voranbringen könne, in einem Artikel von Joel Geier in der theoretischen Zeitschrift der ISO, der 'International Socialist Review' (August-September), finden. Geier versucht, die Unterstützung der ISO für Nader mit der marxistischen Tradition in Übereinstimmung zu bringen, indem er ein Zitat Friedrich Engels aus einem Brief an Sorge einschiebt, das sektiererische Tendenzen bei US-amerikanischen Sozialisten kritisiert, die sich von der Entwicklung einer Arbeiterpartei fernhielten.

Engels über die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse

Engels argumentierte machtvoll für die aktive Teilnahme der Sozialisten an der 'United Labor Party' New Yorks, die von der Zentralen Arbeitergewerkschaft (Central Labor Union) der Stadt gegründet wurde und die 1886 den Mittelklasse-Reformer für das Amt des Bürgermeisters aufstellte. Die CLU, New York's "Parlament der Arbeit" umfaßte 200 Gewerkschaften, die Zehntausende von Arbeitern organisierten.

Der wichtigste Teil des Engel-Zitats lautet wie folgt:

"Der erste Schritt, worauf es in jedem neu in die Bewegung eintretenden Land ankommt, ist immer die Konstituierung der Arbeiter als selbstständige politische Partei, einerlei wie, solange es nur eine distinkte Arbeiterpartei ist... Daß das erste Programm dieser Partei noch konfus und äußerst mangelhaft, daß sie den H. George als Fahne aufgestellt, das sind unvermeidliche Übelstände, aber auch nur vorübergehende. Die Massen müssen Zeit und Gelegenheit haben, sich zu entwickeln, und die Gelegenheit haben sie erst, sobald sie eine eigene Bewegung haben -- einerlei in welcher Form, sobald es nur ihre eigene Bewegung ist -, in der sie durch ihre eigenen Fehler weitergetrieben werden, durch Schaden klug werden." (MEW Bd,36, S. 579)

Geier macht von dort einen Sprung und vergleicht die Situation, mit der Engels 1886 konfrontiert war, mit der Wahl von 2000.

"Die neue Radikalisierung ist die stärkste Hoffnung für die revolutionäre Linke in einer ganzen Generation. Es wäre selbstzerstörerisch, Barrieren oder Hindernisse für eine Unterstützung für oder für die Teilnahme an dieser entstehenden Bewegung zu finden. Es ist natürlich leicht, sich an einigen der vielen realen Begrenztheiten Nader's, der Grünen oder des gegenwärtigren Niveaus dieser neuen Linken als Entschuldigung für das Abseitsstehen festzuklammern. Die Nader-Kampagne ist nur eine vorübergehende Episode in der neuen Radikalisierung."

Die erste 'Begrenztheit' der Nader/Grünen-Kampagne ist für Marxisten allerdings die Tatsache, daß sie in keiner Hinsicht das war, was Engels als den entscheidenden Schritt bezeichnete: "die Konstituierung der Arbeiter als selbstständige politische Partei". Selbst Geier gibt zu: "Obwohl Nader Probleme der Arbeiter anspricht, ist er weder dabei, eine Klassenpartei aufzubauen oder zu propagieren, noch appelliert er an die Arbeiter, eine eigenaktive Klasse zu sein." Schon das aber entwertet den Engels-Vergleich.

Während Engels' feindselige Haltung gegenüber Henry George und seinen kleinbürgerlichen Ansichten klar war, applaudiert die ISO Nader und spielt dessen 'Begrenztheiten' herunter. Darüber hinaus schrieb Engels am Vorabend der imperialistischen Epoche, während heute der US-Imperialismus die Welt beherrscht. Für einen Kandidaten, der den verrotteten amerikanischen Chauvinismus der proimperialistischen Arbeiterbürokratie nachbetet, den 'Cheerleader' zu spielen, ist eine Entstellung des Marxismus.

Während Engels die Führung von George als einen "Übelstand" betrachtete, das sich in dem Maße als "vorübergehend" erweisen werde, wie die Arbeiter unvermeidlich mit ihren kleinbürgerlichen Führern in Konflikt geraten würden, betet Geiser den Begriff "vorübergehend" nur nach, um einen falschen Eindruck von der Richtung zu geben, in die Nader's Wahlkampagne führte. Er sagt darüber:

"Am wichtigsten ist, daß sie eine Öffnung der Arbeiterklassen-Politik bewirkt hat. Einige Millionen Arbeiter und Studenten wurden für die Idee einer Stimme gegen den Kapitalismus der Konzerne gewonnen. Sie bringt die Frage nach einer unabhängigen Arbeiterklasse-Partei auf."

Geier sagt, daß obwohl Nader nicht für die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse eintritt, seine Wahlkampagne doch in diese Richtung weise. Aber diese Behauptung belegt er mit nichts. In der Tat war das letzte Mal als Joel Geier in radikales Mittelklasse-Wahltreiben involviert war, der 'Peace and Freedom Party' von 1968, diese Bemühung lediglich ein Übergang zu Gene McCarthy's Bemühungen, von der 'Demokratischen Partei' nominiert zu werden, wo dann die große Mehrheit der Peace and Freedom-Verfechter endete. Auch Nader hat für sich selbst oder andere Liberale den Boden bereitet, eine weitere Bewegung in die Falle der Demokratischen Partei zu führen.

Feindseligkeit gegenüber den kleinbürgerlichen Führern der Arbeiterbewegung war auch ein Markenzeichen von Lenin und Trotzki, selbst dann, wenn sie für die Taktisch der kritischen Unterstützung von nicht-revolutionären Arbeiterparteien eintraten. Berühmt wurde Lenin's Eintreten für eine Unterstützung eines Führers der britischen Labour Party "auf die gleiche Weise wie der Strick den Gehenkten stützt" -- d.h. um den Arbeitern gegenüber seinen Betrug zu entlarven und um "[seinen] politischen Tod zu beschleunigen." Geier ignoriert das ebenso wie die Geschichte der nicht der Arbeiterklasse gehörenden Dritten Parteien (5) in den USA.

Das alten Gepäck tragen

Die ISO selbst baut keinen unabhängigen Arbeiterkampf, sondern eine Basis auf Mittelklasse- Colleges auf. Die in diesem Milieu bestehenden Sympathien zwangen sie, Nader zu unterstützen. Aber sogar Geier charakterisiert diese neue Radikalisierung folgendermaßen:

"Wie alle vorhergegangenen Radikalisierungen beginnt auch diese mit widersprüchlichem, sogar konfusem Bewußtsein. Keine neue Linke entsteht durch jungfräuliche Empfängnis mit voll entweickelten revolutionär-sozialistischem Bewußtsein. Der Ursprung ist immer eine besondere Mischung von liberalen und konservativen Glaubensvorstellungen mit radikalen Ideen. Die liberal-konservativen Ideen sind das Gepäck aus der Vergangenheit. Die radikalen Ideen sind unvollständig, ein Mischmasch, der aus Kämpfen entsteht, die ohne ein ausgearbeitetes politisches Programm beginnen. Sie sind die Zukunft der Bewegung, eine Alternative, die sich im Prozess der Formierung befindet. Diese verschiedenen Bewußtseinslinien existieren in der neuen radikalen Stimmung miteinander in einem schwierigen Spannungsverhältnis."

Geiers Methode der Analyse hier ist nicht marxistisch, sondern ganz einfach gefährlich. Er beschreibt progressives und reaktionäres Denken in den Protesten von Seattle, als wären sie einfach alle im Bewußtsein des durchschnittlichen Protestierenden vermischt, während sie in Wahrheit von bestimmbaren politischen und Klassenkräften gefördert werden. Gemischtes und widersprüchliches Bewußtsein gibt es, aber es gibt auch einen klaren Kampf zwischen den Kräften, die die progressive und die reaktionäre Seiten des Kampfes repräsentieren.

Die Ereignisse von Seattle waren wichtig, aber in Wirklichkeit gibt es keinen Grund zu meinen, sie markierten die Entwicklung einer neuen antikapitalistischen Massenbewegung, einer neuen Linken, oder irgendetwas von dieser Art. Seattle war groß wegen des Zusammentreffens verschiedener Klasseninteressen. Der Wunsch einer sich in der Tat herausbildenden neuen radikalen Schicht unter einer signifikanten Minderheit von College-Studenten, gegen die extremsten Formen von kapitalistischer Macht und Raffgier zu protestieren, fiel zusammen mit dem Wunsch von Gewerkschaftsbürokraten und anderen professionellen reformistischen Liberalen, für einen nationalistischen Protektionismus zu marschieren.

Die Tatsache, daß die Arbeiterbürokratie von Seattle geflohen ist und daß die nachfolgenden Proteste in den USA wesentlich kleiner waren, weist auf dieses Problem hin. Radikale Jugendliche versuchten, diese Erfahrung im April in Washington und während des Sommers gegen die Parteitage der Republikaner und der Demokraten zu wiederholen, aber diese Aktionen waren relativ klein und mutlos.

In dem Maße wie der Konflikt innerhalb der Bewegung eine Spaltung zwischen einen neuen Radikalisierung und einem alten Konservativismus widerspiegelt, sind Nader und die 'Grünen' teil des "Gepäcks aus der Vergangenheit", der konservativere Bestandteil der Bewegung, der sich darum bemüht, diese noch konservativer zu machen und weiter von ihrem Weg abzubringen. Nader's Kandidatur zu unterstützen, leistet nur einen Beitrag zu diesem Prozess.

Die Logik des Liberalismus

Das Fehlen einer Herausforderung an die Demokratische Partei von Seiten der Linken hat es der ISO in der Vergangenheit erlaubt, Wahlen in den USA einfach auszusitzen und sich zu weigern, für die Demokratische Partei zu stimmen und statt dessen Sozialismus zu propagieren und die jeweils aktuelle "Bewegung" aufzubauen. Einen liberalen Kandidaten wie Nader zu unterstützen, ist für die ISO ein bedeutender Schritt, vergleichbar dem eines 'trockenen' Alkoholikers, der zusammenbricht und 'nur einen Drink' nimmt -- er wird unvermeidlich zu einem Besäufnis an opportunistischem Hinterherlaufen hinter Mittelklasse-Reformisten führen.

Sich einer liberalen Kampagne anzuschließen, war nur die logische Schlußfolgerung der politischen Evolution der ISO. Die ISO hat immer danach gesucht, ihren Sozialismus soweit zu verwässern, daß ihre Zuhörerschaft auf den Campuses ihn schlucken konnte, und hat so seit langem mit dem Liberalismus gespielt. Sie hat populistische Parolen, in denen die 'Gier der Konzerne' anstatt der Kapitalismus verurteilt wird, ausgegeben und geistlose liberale Ziele wie 'Menschen vor Profiten' verfochten.

Jede Bewegung, die durch solche Methoden aufgebaut wird, wird leicht von prokapitalistischen Politikern übernommen, die bereitwillig die gleichen Gefühle aufgreifen, um die Bewegung in dem Rahmen zu halten, den das System tolerieren kann -- so wie die Nader-Kampagne mühelos die gleichen Parolen mit Parlamentarismus, Prokapitalismus und Nationalismus verquicken konnte. Geier sagt: "Über den Liberalismus hinaus gedrängt kämpft Nader nun für die historische amerikanische linke Tradition, den Populismus." Wie sich Nader's Populismus vom Liberalismus unterscheidet, darüber kann sich jeder selbst Gedanken machen, denn Geier erklärt das ganz sicher nicht. Wenn das stimmte, dann sollte jemand Ralph Nader das sagen, denn er selbst hat nicht davon gesprochen, mit dem Liberalismus zu brechen.

Mehrfach hat die ISO sich darüber beklagt, daß Nader seine 'Antikonzern'-Politik nicht bis zu ihrer 'logischen' sozialistischen Folgerung führt, oder seine Politik gegen die Demokratische Partei zur 'logischen' Schlußfolgerung, eine Arbeiterklassenpartei aufzubauen. Das ist der Kern dessen, was mit der ISO-Politik falsch ist. Wenn Sozialismus das logische Ergebnis des Liberalismus ist, dann erfordert der Aufbau einer sozialistischen Partei der Zukunft keinen fundamentalen Bruch mit dem Naderismus; Sozialisten müssen einfach die eindeutigsten und effektivsten Naderisten sein. Liberalismus, Populismus und parlamentaristischer Reformismus als logische Wege zum Sozialismus ansehend unterstützt die ISO sie als 'nächste Schritte', die man jetzt tun kann. In scharfem Widerspruch dazu betrachteten Lenin und Trotzki in der Epoche des Imperialismus den Reformismus -- und den bürgerlichen Liberalismus umso mehr -- als konterrevolutionär, und nicht als begrenzte Formen von Fortschrittlichkeit.

Aber während die ISO hofft, Kampagnen wie die Nader's zu nutzen, um sich selbst und 'die Bewegung' aufzubauen, sind es in Wirklichkeit die bürgerlichen Wahlkampagnen, die die ISO benutzen. Die wahre Rolle der ISO besteht darin, eine falsche Führung der Arbeiterklasse aufzubauen, die zukünftige Klassenkämpfe in eine Falle und zur Niederlage führen kann. Das ist die wahre Logik einer sozialistischen Unterstützung für Nader.


(1) Die US-amerikanische Schwesterorganisation von 'Linksruck' in der BRD und der von Tony Cliff gegründeten SWP in GB (s. Dazu u.a. KOVI-Doks 5) Rückkehr

(2) Die Schwesterorganisation von 'Socialist Alternative' ist in der BRD die 'Sozialistische Alternative Voran' (SAV). Rückkehr

(3) In den USA müssen sich Wahlberechtigte registrieren lassen, um wirklich an Wahlen teilnehmen zu können. Rückkehr

(4) Lastwagenfahrergewerkschaft Rückkehr

(5) da die offizielle Politik in den USA seit eh und jeh von der 'Democratic Party' und der 'Republican Party' monopolisiert wird, ist eine 'Dritte Partei' im Repräsentantenhaus seit langem ein vorallem mittelständiges Projekt, wie in der BRD die FDP und die 'Grünen' und gegebenenfalls die PDS. Rückkehr


'Dritte Parteien' und Marxismus: Der Fall Henry Wallace

Der erhellendste Vergleich mit der Nader-Kampagne ist der mit Henry Wallace, dem Kandidaten der 'Progressive Party' von 1948. Das Ende des Zweiten Weltkriegs hatte eine massive Zunahme von Arbeiterkämpfen und einen Wunsch, die während des New Deal gewonnenen Errungenschaften zu verteidigen und auszuweiten, gesehen. Mit Unterstützung vieler Arbeiter und der damals noch starken Kommunistischen Partei brach Wallace, der unter Roosevelt Vizepräsident gewesen war, mit der Demokratischen Partei und wandte sich gegen die sich abzeichnende Kaltekriegspolitik der beiden großen Parteien. Aber die 'Progressive Party' war eine bürgerliche Partei mit dem Ziel, das New Deal-Bündnis von Arbeiterbewegung und Bourgeoisie zu erneuern.

Obgleich der Wahlkampf von Wallace wesentlich stärkere Unterstützung in der Arbeiterklasse fand und sehr viel mehr mit dem Klassenkampf assoziiert wurde als Nader's, wandten sich die damaligen Revolutionäre gegen ihn als eine Ablenkung von Klassenkampf und als ein Hinderniß für die Entwicklung unabhängiger Klassenpolitik. Unterstützung durch die Arbeiterklasse und klassenkollaborationistische Stimmungen innerhalb der Intelligenz und der Arbeiteraristokratie zeigten sich sogar unter den Trotzkisten in den USA, in der 'Socialist Workers Party'. James Cannon, der Führer der SWP, legte die eindeutigen Gründe dafür dar, daß diese bürgerliche Kandidatur nicht unterstützt werden dürfe. Mit Worten, die heute fast auf die Nader unterstützenden Sozialisten gemünzt zu sein scheinen, erkläre Cannon:

"Man hat argumentiert, daß 'wir zusammen mit den Arbeitern durch diese Erfahrung gehen müssen'. Das ist eine sehr gute Formel -- unter der Bedingung, daß man sie nicht universell macht. Wir gehen mit den Arbeitern nur durch jene Erfahrungen, die Klassencharakter haben. Wir gehen mit ihnen durch die Erfahrungen von Streiks, auch wenn wir denken, daß es für einen bestimmten Streik der falsche Zeitpunkt ist. Wir mögen sogar mit den Arbeitern gemeinsam durch die Erfahrung gehen, eine reformistische Arbeiterpartei an die Regierung zu bringen, unter der Voraussetzung, daß es sich um eine wirkliche Arbeiterpartei handelt und sie dem Druck der Arbeiter unterworfen ist, auf daß diese aus ihrer Erfahrung lernen können, daß der Reformismus nicht das richtige Programm für die Arbeiterklasse ist.

Aber wir gehen nicht mit den Arbeitern gemeinsam durch die Erfahrung der Klassenkollaboration....

Die Partei muß erzogen und erneut erzogen werden in Hinblick auf die Bedeutung der Klassenpolitik, die jegliche Unterstützung für irgendeinen bürgerlichen Kandidaten ausschließt und sogar die allerkritischste Haltung gegenüber einer Arbeitspartei verlangt, wenn wir eine solche unterstützen." ('Summary Speech on Election Policy', SWP Internal Bulletin, February 1948)

[in: 'Proletarian Revolution' No.62, New York, Winter 2001]

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