Stellungnahme der 'League for the Revolutionary Party' (LRP-USA) vom 26. Februar 2002
Original in English | Traducción en español
Der potentiell revolutionärste Klassenkampf heute in der Welt findet in Argentinien statt. Im Dezember wurde die De la Rúa-Regierung durch Massenaufstände gestürzt. Spaltungen innerhalb der von allen Seiten unter Druck stehenden peronistischen Partei erzwangen die Absetzung der Ersatzregierung von Rodríguez Saá. Unter dem neuen Regime Duhaldes haben sich sowohl die Massenproteste als auch vielfältige Angriffe auf die Massen fortgesetzt.
Die letzte Waffe dieser Angriffe ist die Abwertung des Pesos, was ein drastisches Sinken der Löhne und des Lebensstandards der noch erwerbstätigen Arbeiter bedeutet. Seite an Seite damit geht die brutale Zunahme der Arbeitslosigkeit weiter. Gleichzeitig reißen sich weiterhin die kleinen Besitztümer erschrockener Kleinbürger und Leute aus der Mittelklasse mittels der Einfrierung der Guthaben (el corralito) unter den Nagel.
Hinter diesen Angriffen steht die wachsende Krise der Profitabilität, die am Herzen des kapitalistischen Weltsystems nagt und die Ausbeuter von der herrschenden Klasse dazu zwingt, die Arbeiter und übrigen Werktätigen der unterdrückten Nationen mit rasantem Schritt zu auszusaugen. Nirgendwo trifft das mehr zu als in Argentinien. Imperialistische Investitionen, sowohl auch Europa als auch aus den USA, sind die unterwerfende Kraft in der Wirtschaft. Die einheimischen bürgerlichen Parteien sind natürlich diejenigen, die diese Unterwerfung ausführen. Das Duhalde-Regime trat mit den größten internationalen Schulden in der Geschichte auf die Bühne. Um diese zu bezahlen -- eine notwendige Voraussetzung, um verzweifelt benötigte neue Kredite von den imperialistischen Banken zu erhalten, will die Bourgeoisie nun, dass die ohnehin bereits so leidenden Massen noch mehr bezahlen.
Es war unvermeidlich, dass die Arbeiterklasse Argentiniens sich erheben würde. Die jetzige Phase landesweiten Aufstands wurde von einer Welle von Blockaden von Überlandstraßen durch die arbeitlosen Piqueteros eingeleitet, ein neues und bedeutendes Merkmal des Klassenkampfes. Teil der Eruption waren auch acht streng kontrollierte 'Generalstreiks' in den letzten beiden Jahren, weil die Gewerkschaftsbürokraten sich darum bemüht hatten, es der Arbeiterklasse zu gestatten, Dampf abzulassen. Es hat auch Betriebsbesetzungen und andere ziemlich militante Aktionen von Arbeitern gegeben. Die Stürmung und Plünderung von Supermärkten durch Arbeitslose und unterbeschäftigte Arbeiter sowie auch durch Lumpenelemente haben darüberhinaus gezeigt, dass sich die am stärksten unterdrückten Schichten der Gesellschaft erheben. Und schließlich schlossen sich sogar die Mittelklassen, die dem Bankrott in die Augen sehen, in Form der Cacerolazos (der Proteste, bei denen auf Töpfe und Pfannen geschlagen wird) der Bewegung an und unterstrichen damit ihre immense Frustration und ihre Wut. Die zugespitzten Konfrontationen mit der Polizei am 19. und 20. Dezember auf der Plaza de Mayo bezog Menschen aus der Mittelklasse, Studenten, Linke und individuelle Arbeiter mit ein, aber bestenfalls nur kleine Gewerkschaftskontingente.
Sicherlich wurde durch die gegenwärtige politische Anordnung keine dieser Kräfte befriedet. Duhalde ist ein Peronist, der die Positionen eines wichtigen Sektors der industriellen Bourgeoisie in der Provinz Buenos Aires widerspiegelt. Sie brauchten eine Verminderung der Preise ihrer Exporte, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Gleichzeitig hat er enge Beziehungen zur peronistischen Gewerkschaftsbürokratie, die ihrerseits wieder mit diesen Industrien verbunden ist. Er hängt in großem Maße von den Gewerkschaftsbossen und ihrer erwiesenen Fähigkeit ab, die Arbeiterklasse zu bremsen, zu spalten, vom Weg abzubringen und zu verraten. Um einen totalen politischen Kollaps zu verhindern, hat er auch eine Regierung der 'nationalen Rettung' zusammengeschustert, die sich aus den wichtigsten Parteien der herrschenden Klasse zusammensetzt.
Seine Aufgabe besteht darin, die Massenbewegung aufzuhalten und die Angriffe auf die Arbeiterklasse fortzusetzen. Wenn er irgendwelche Hoffnungen hat, einen entscheidenden Klassenkonflikt zu verhindern, dann muß er seine Bilanz als ein Politiker in die Schale werfen, der für eine milde nationalistische und populistische Richtung steht, und gleichzeitig seine imperialistischen Herren beruhigen. Aber heute gibt es eine Vielzahl von Konflikten und Widersprüchen innerhalb der und zwischen den bürgerlichen Parteien, Gleichzeitig ist da die absolute Unfähigkeit, die Bedürfnisse der Arbeiterklasse und der Mittelschichten zu befriedigen. Das Regime hat keine langfristige Lösung und ist deshalb im Kern schwach.
Mehr als je zuvor agieren heute 'Dritte Welt'-Regierungen als lokale Erzwingungsmacht, die den zunehmenden Abfluß des von 'ihren' Arbeitern geschaffenen Mehrwerts in die imperialistischen Taschen überwachen. Man sehe sich bloß das sklavische Festhalten der herrschenden Parteien an der vom IWF geforderten Austeritätspolitik des 'freien Marktes' an. Selbst unter der Gefahr größerer Instabilität, selbst angesichts der unvermeidlichen Wut der Massen über ihre zunehmend hoffnungsloseren Lebensumstände können die einheimischen Machthaber heute nur noch für einen kurzen Augenblick als Nationalisten und Populisten posieren. Sie werden eben an der kurzen Leine gehalten.
Mit der zunehmenden Verelendung der Massen Argentiniens, Lateinamerikas und der Welt, wird Trotzki's Theorie der Permanenten Revolution auf negative Weise bestätigt. Nationalismus, gleich wie radikal in der Form oder der Tat, kann keine wirkliche nationale Befreiung von der Macht des Imperialismus erreichen. Alle Sektoren der einheimischen Bourgeoisie sind hier mit Hand und Fuß an den Imperialismus gekettet. Die traditionelle Kleinbourgeoisie und die Schichten der modernen Mittelklasse folgen unvermeidlich einer Politik im Interesse der Bourgeoisie, es sei denn die Arbeiterklasse bietet ihre alternative Führung an. Nur die sozialistische Revolution mit dem Proletariat an der Führung der Massen der übrigen unterdrückten Klassen kann den Kampf zur Beendigung der imperialistischen Herrschaft zu Ende führen. Nur die Revolution kann dem Mangel ein Ende setzen und den Weg zu Wohlstand und Gleichheit für die Ausgebeuteten und Unterdrückten öffnen. Um den Sozialismus zu erreichen, muß die Revolution internationalistisch sein. Und deshalb muß sie unbedingt von einer proletarischen Avantgarde-Partei geführt werden, die eine Sektion der wieder zu gründenden proletarischen Vierten Internationale ist.
Wie Trotzki lehrte ist für diese ganze Perspektive die Intervention authentischer proletarischer Revolutionäre in die unmittelbaren Kämpfe der Massen essentiell. Sie kämpfen dabei stets für den Weg, der die gegenwärtigen Schlachten mit der Notwendigkeit der Partei und der internationalen sozialistischen Revolution verbinden wird.
Angesichts der Tiefe der Wirtschaftskrise, der Unfähigkeit der herrschenden Klasse, eine stabile Regierung zur Lösung der politischen Krise zu finden, und angesichts der fortdauernden Massenmobilisierung bleibt die Situation vorrevolutionär. Die wesentliche Einschränkung ist hier die Krise der Führung, die Trotzki vor über 60 Jahren betont hat. Um es einfach auszudrücken: die Arbeiterklasse braucht ihre eigene Partei als Repräsentant des höchsten Grades des Klassenbewusstseins. Die proletarische Partei ist das einzige Mittel, durch das die Klasse vollauf ihre Unabhängigkeit als Klasse und ihre Führung über den Kampf der verarmten Massen anderer Klassen sicherstellen und sich selbst für die Übernahme der Staatsmacht bereit machen kann.
Die materielle Basis ist in Argentinien mehr als reif, um eine solche Partei aus den heutigen Kämpfen heraus aufzubauen. Die argentinische Arbeiterklasse ist machtvoll und organisiert und hat eine kämpferische Tradition -- und das trotz der immensen Rückschläge, die sie seit Mitte der 70er Jahre erlitten hat. Aber seit über einem halben Jahrhundert ist sie an den Peronismus gebunden, einer populistischen bürgerlichen und nationalistischen Strömung. Unter der Herrschaft Perons hatten die Arbeiter parallel zur Entwicklung der nationalen Wirtschaft zunächst bedeutende Zugeständnisse erreicht (gewerkschaftliche Organisierung, steigende Löhne und Sozialleistungen). In den letzten Jahrzehnten aber kam es zu einer wachsenden Enttäuschung darüber, was der Peronismus in der Praxis bedeutete -- vor allem seit der Herrschaft von Menem.
Duhalde hofft, die Arbeiterklasse zu spalten und zu erschöpfen. Obwohl er die Gewerkschaftsführer an seiner Seite hat, ist sein Erfolg dabei alles andere als garantiert. Die Arbeiterklasse hat sowohl in Hinblick auf ihre Haltung als auch ihre Selbsttätigkeit deutlich vom Peronismus entfernt, aber es ist noch nicht zu einem entscheidenden Bruch gekommen. Sie hat noch keine Alternative gefunden, an die sie glauben könnte. Die Linke in Argentinien konnte eine solche Alternative nicht anbieten. Unter "Linke" verstehen wir im weitesten Sinn sowohl die Pseudo-Trotzkisten, Stalinisten und Maoisten als auch die bürgerlichen Radikalen.
Für die offen bürgerlichen Radikalen sowohl peronistischer wie sozialdemokratischer Machart und die wichtigsten stalinistische (PCA) und maoistischen (PCR) Formationen steht die offene Klassenkollaboration auf der Tagesordnung. Nichtsdestoweniger müssen diese Tendenzen angesichts ihrer Wachstumsmöglichkeiten in der Arbeiterklasse und vor allem in Anbetracht ihrer Rolle in den Gewerkschaften von Revolutionären in Argentinien zunehmend energisch politisch bekämpft werden.
In diesem Dokument hier befassen wir uns jedoch ausdrücklich nur mit den Pseudotrotzkisten. Nicht, weil wir ihnen irgendwie näher stehen als anderen Linken. Zentrismus (revolutionäre Rhetorik, die reformistische Politik maskiert) und sogar offene Kapitulation sind das vorherrschende Wesensmerkmal von Gruppen geworden, die sich heute als trotzkistisch bezeichnen. Dennoch halten diese Gruppen im allgemeinen viel von der Rhetorik des proletarischen Revolutionarismus aufrecht. Selbst wenn sie das Wesentliche von Programm und Methode aufgegeben haben, können sie durchaus fortgeschrittene Arbeiter anziehen solange sie nicht effektiv entlarvt werden.
Bei der Vorbereitung dieser Stellungsnahme haben wir uns hauptsächlich auf die uns erreichbaren Dokumente der beiden größten Gruppen, der 'Partido Obrero' (PO) und der 'Partido de Trabajadores por el Socialismo' (PTS) gestützt. Unsere erste Kritik hier spiegelt wider, was wir als für die PO und die PTS im allgemeinen als zutreffend ansehen, was sie gesagt und was sie nicht gesagt haben. In Zukunft werden wir Polemiken gegen spezielle Aspekte der Politik dieser sowie auch anderer Gruppen führen (unsere Leser sollten sich die Websites dieser Gruppen ansehen, auf denen es ausgewählte Artikel in Englisch als auch deren Gesamtheit auf Spanisch gibt: www.po.org.ar und www.pts.org.ar)
Welcher Art sind die gegenwärtigen Beziehungen der Linken zur Arbeiterklasse? Über eine Million Wähler (6% aller Wähler) haben bei den Parlamentswahlen vom letzten Herbst verschiedene linke Listen gewählt. Wahlstimmen sind natürlich nicht das Gleiche als die Fähigkeit, die Massen in der Bewegung zu beeinflussen, obwohl sie zeigen, dass es gegenüber der Linken mehr Offenheit als zuvor gibt. Gleichzeitig ist die vorherrschende Haltung eines großen Teils der Arbeiterklasse (sowie der Mittelklasse) gegenüber Politikern, einschließlich derer der Linken, generell feindselig. In der Tat haben sich 50% der Teilnehmer an der Wahlen vom Herbst geweigert für irgendeine Partei zu stimmen und deswegen ihre Stimmzettel ungültig gemacht.
In gewissem Sinn ist das Mistrauen gegenüber der Linken gerechtfertigt. Die Linke in Argentinien ist nicht nur eine Mittelklasse-Linke sowohl in Hinblick auf ihre Zusammensetzung und ihre Politik -- ein übliches Phänomen international -- sondern wird insbesondere mit der primären Orientierung auf Wahlen assoziiert, eine Strategie, die der Arbeiterklasse noch nie etwas gebracht hat. Dennoch ist die Arbeiterklasse, wie militant sie bei Aktionen auch immer sein mag, ohne ihre eigene politische Partei tot. Die Situation in Argentinien ist sogar noch gefährlicher. Die Geschichte zeigt uns, dass die sich jetzt im Aufruhr befindliche Kleinbourgeoisie und die Mittelklassen sich nach rechts wenden werden, wenn die Arbeiterklasse nicht eine entschlossene revolutionäre Führung zur Verfügung stellt. Entweder stellt die Arbeiterklasse zeitig eine harte Alternative, oder es wird eine vernichtende Alternative von rechts kommen. Die revolutionäre proletarische Partei wird benötigt, damit die Arbeiter ihre Unabhängigkeit als Klasse und ihre Führung über die Kämpfe der Gesamtheit der verarmten Massen voll sichern und um die Staatsmacht kämpfen können.
Angesichts dieser Realität haben Revolutionäre und potentielle Revolutionäre einerseits enorme Möglichkeiten, andererseits aber auch eine enorme Verantwortung. Organisationen und Individuen, die sich als Kommunisten verstehen, haben die Pflicht, gegen den herrschenden Strom zu kämpfen und die Möglichkeit zu nutzen, die revolutionäre Partei aufzubauen, wie klein ihre Mitgliedschaft zunächst auch immer sein mag.
Eine solche Partei wird ihre Aufgabe nur dann erfüllen, wenn sie auf einem klaren revolutionären Programm beruht. Das Programm muß unmittelbar für die Arbeiter die Notwenigkeit der sozialistischen Revolution und die Zerschlagung des bürgerlichen Staaten ansprechen. Der Kampf für die revolutionäre Partei findet innerhalb der Arbeiterklasse selbst statt; sie ist keine private Aktivität intellektueller Retter, die vor den Arbeitern das verbergen, was sie sich selbst über die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution hinter verschlossenen Türen sagen. Diese essentielle Methode ist die Grundlage unseres Ansatzes in Hinblick auf den Aufbau der Partei innerhalb der Avantgarde der Arbeiterklasse sowie der Arbeit mit den Massen, die heute zu leisten ist.
Soweit wir sehen können waren die wichtigeren 'trotzkistischen' Organisationen nicht fähig, den Pfahl für die revolutionäre proletarische Partei einzurammen. Alleine deshalb müssen sie verurteilt werden. Es ist kein Zufall, dass sie es gleichzeitig auch versäumt haben, sich für eine Strategie der Massenaktion, die den proletarischen Kampf wirklich weiterbringen kann, einzusetzen.
Da wir aus der Ferne schreiben haben wir offensichtlich keine intime Kenntnis der Szene in Argentinien. Aber als Internationalisten können und müssen wir trotzdem für eine klare allgemeine revolutionäre Strategie eintreten, wo wir sehen, dass eine solche in ganz gefährlicher Weise fehlt. Auf diese Weise legen wir beginnend mit diesem Dokument auch die Grundlagen für weitere internationale Diskussionen mit revolutionär gesonnen Arbeitern in Argentinien, mögen sie sich innerhalb oder außerhalb von irgendwelchen Gruppen befinden.
Zur Zeit sind die Aufrufe für die Internationale und für die Partei in Argentinien vor allem Propagandaslogans; sie richten sich an eine Schicht fortgeschrittener Arbeiter. Es kann nicht erwartet werden, dass die große Masse der Arbeiter schon bald ihre Meinung über diese Angelegenheit ändern wird, obwohl sie das mit der Zeit durchaus tun wird. Eine Strategie für Massenaktion, die auf die Bedürfnisse der unmittelbaren Situation abzielt und durch bestimmte im Vordergrund stehende Slogans und Forderungen auszeichnet, ist auch absolut entscheidend. Die Arbeiterklasse muß sich verteidigen, ausgehend von dort, wo sie sich befindet und mit ihrer augenblicklichen Führung, auf ihrem Buckel, um sich durch den Prozess ihres Kampfes und mit der Intervention revolutionärer Arbeiter in eine für die Revolution fähige Klasse zu verwandeln, die eine revolutionäre Partei hat, die in der Lage ist zu führen. Unser Kampf für die revolutionäre Partei hat nichts mit dem jener Sektierer zu tun, die von der Spitze des Berges herab predigen wollen. Wir sagen nicht nur offen, was ist, d.h., dass die Arbeiterklasse ihre eigene Partei braucht, sondern wir kämpfen auch dafür, das in der Tat, durch den Kampf selbst, zu beweisen.
Soweit wir sehen können, versagen die wichtigsten 'trotzkistischen' Organisationen ebenso auf der Ebene ihrer Massenarbeit wie an der Propagandafront für die revolutionäre Partei. Was wir heute haben, ist ein vom Volk getragener Kampf gegen die Regierung, der in Hinblick auf die Klasse undifferenziert und in Hinblick auf seine Methoden und Ziele unklar ist. Für eine Vorhut sollte der Punkt darin bestehen, dafür zu kämpfen, das Bewusstsein für die unbedingte Notwendigkeit der Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und ihrer Hegemonie über den heutigen Kampf zu schaffen. Die von uns vorgeschlagene Strategie der Massenaktion zielt genau darauf, bezüglich dieser entscheidenden Fragen den Weg vorwärts zu weisen. Wir machen Vorschläge für Aktionen, Slogans und Forderungen als revolutionäre Mittel, um unseren Kollegen im gemeinsamen Kampf den Weg voran aufzuzeigen.
Ein Aufruf zum Generalstreik muß im Zentrum einer jeden Strategie der Massenaktion der Arbeiterklasse für Argentinien stehen. Der General- oder Massenstreik ist eine klassische Waffe im Arsenal des Marxismus. Er zielt darauf ab, die Arbeiterklasse als eine Klasse in Bewegung zu setzen, der Klasse ihre eigene Stärke zu zeigen, Führung über andere Klassen auszuüben und den Arbeitern die Notwendigkeit des Kampfes um die Staatsmacht bewusst zu machen.
Der Generalstreik, für den wir uns einsetzen, steht in völligem Gegensatz zu den jüngsten sogenannten "Generalstreiks", zu denen die Arbeiterbürokratien aufgerufen haben. Ein ernsthafter Generalstreik ist keine schnelle Protestaktion oder ein Streik für irgendwelche engbegrenzten Forderungen während die Hauptangriffe der Gegenseite gleichzeitig weitergehen. Im Gegenteil ist er darauf angelegt, solange anzudauern bis er wesentliche Ziele erreicht hat, die das Kräfteverhältnis zwischen den Klassenkräften qualitativ verändern; wir meinen einen Generalstreik von unbegrenzter Dauer.
Ein ernsthafter Generalstreik stoppt das Funktionieren des ganzen Landes, lähmt die Industrie und das Transportwesen und würgt die Profite ab -- das letzte Sein und Ziel des Kapitalismus. Er schafft durch den langandauernden Kampf eine Situation der Doppelherrschaft, die die Frage nach der Staatsmacht aufwirft -- welche Klasse herrschen soll, die Bourgeoisie oder das Proletariat. Keine linke Gruppe hat sich im Gegensatz zu den sporadischen oder begrenzten Generalstreiks, zu denen die Gewerkschaftsbürokraten aufgerufen haben, für diese Art von Generalstreik ausgesprochen. Während einige linke Gruppen zu einem Generalstreik mit dem Ziel des Sturzes der De la Rüa-Regierung aufgerufen haben, und bisweilen auch mit anderen Zielen, haben auch sie das als eine periphäre Forderung aufgestellt anstatt als den zentralen Aufruf zur Massenaktion. Dabei haben sie einfach die Grenzen akzeptiert, die dem Kampf durch die Arbeiterbürokratie aufgezwungen wurde, als sei von Seiten der wichtigsten Gewerkschaften mehr nicht möglich.
Die Massenbewegung, die De la Rúa stürzte, hatte ihre Kraft hauptsächlich von den arbeitslosen Arbeitern und den Mittelklassen. Beschäftigte Arbeiter, einschließlich gewerkschaftlich organisierter, nahmen als Individuen und in kleinen Gruppen teil. Aber unter der Kontrolle der Bürokraten, zuschauten die Gewerkschaften selbst. Es müssen reine Reihe Barrieren weggeräumt werden, die dem vereinten Kampf der Arbeiter im Weg stehen. 1) Die Arbeiterklasse muß sich vereinen -- Beschäftigte und Arbeitslose. Diese Einheit kann allerdings nur in der Aktion gegen die Bourgeoisie geschaffen werden, und das ist es, was der Generalstreik tut. 2) Die Arbeiterklasse muß eine solche Stärke zeigen, dass ihr Anrecht, den Kampf anzuführen, bewiesen wird und sie so einen großen Teil der Mittelklasse hinter sich bringen kann. Ohne eine machtvolle Klassenaktion wie den Generalstreik bleibt es tendenziell unvermeidlich, dass die Mittelklasse dominiert.
Es muß jetzt ein weiterer Punkt bezüglich des Aufrufs zum Generalstreik in Argentinien festgehalten werden: es handelt sich nicht um einen Aufruf, der erfolgreichsein könnte, wenn er nicht den objektiven Bedürfnissen des Kampfes und der Lage entspräche. Jeder Arbeiter in Argentinien weiß, dass das zentrale unmittelbare Problem das der Schulden gegenüber dem Imperialismus ist. Das ist der wichtigste Grund dafür, dass sie jetzt ausgequetscht werden um die Schulden zurückzuzahlen. Deshalb muß die erste Forderung des Generalstreiks lauten "Nichtanerkennung der imperialistischen Schulden". Eine solche Forderung ist ganz offensichtlich ein Notwendigkeit und liegt klar im Interesse aller Arbeiter, ab beschäftigt oder nicht. Sie spricht auch die belagerten Elemente der Kleinbourgeoisie und der Mittelklasse an. Gleichzeitig steht die Nichtanerkennung im Gegensatz zu einem Moratorium (Aufschub) oder zur Erklärung der Zahlungsunfähigkeit, die beide nur eine Verzögerung der Rückzahlung bedeuten. Wenn die imperialistischen Gläubiger nur eine Verzögerung akzeptieren, behalten sie immer noch Prioritätsrechte gegenüber anderen betreffs der der Auszahlung staatlicher Gelder. Und in der aktuellen Krise hat sich das US-Schatzamt in der Tat für eine Zahlungsaussetzung als ein Mittel ausgesprochen, sich einen Vorteil gegenüber den europäischen Konkurrenten zu sichern, die im Augenblick in Argentinien stärker investiert haben. Die Nichtanerkennung ist ein direkter Angriff auf die Eigentumsrechte und das weltweite Banksystem.
Schließlich sind die enormen Schulden von den bürgerlichen Regierungen aufgehäuft worden, die das Recht der Imperialisten, Profite aus dem Land zu schaffen, akzeptiert haben. Das ist keine Verpflichtung, die die Arbeiterklasse akzeptiert. Zahlungsunfähigkeitserklärung, Neuverhandlung der Schulden und Abwertung des Peso sind Waffen der Bourgeoisie, die darauf zielen, den Lebensstandard der Arbeiterklasse im Interesse der Behebung der Krise der Kapitalisten weiter zu senken.
In dem Maße, in dem eine Kampagne zur Zurückweisung der Schulden ernsthafter wird, muß sie sich auch verstärkt mit den wechselseitigen Beziehungen zwischen den Schulden beim Imperialismus und 'lokalen' Schulden beschäftigen und sich für die Interessen der Arbeiter sowie der Mittelklasse und des Kleinbürgertums bezüglich der Wucherzinsen der Banken einsetzen. Ob dem Namen nach imperialistisch oder lokal: es gibt ein System, das den Massen die Fähigkeit nimmt, voranzukommen.
Im Augenblick haben nur die Gewerkschaftsbürokraten die notwendige Macht, einen Generalstreik durchzuführen. Revolutionäre wissen, dass in so einer Situation vor allem die Notwendigkeit besteht, mit den Bürokratien der Industriegewerkschaften zu kämpfen, um so die entschlossensten Teile der Arbeiterklasse zu mobilisieren. Die Fähigkeit der verräterischen Bürokraten, die Gewerkschaften aus dem Kampf für die Absetzung De la Rúas herauszuhalten, und auch die Arbeitslosen vom Weg abzubringen, ist ein ausreichender Beleg für die Notwendigkeit, das Feuer auf diese Unteroffiziere des Kapitals zu konzentrieren. Die Linke hat dabei versagt, die Bürokraten zum Aufruf eines unbegrenzten Streiks über die Schulden und andere Angriffe herauszufordern. Sie mobilisiert nicht innerhalb der Gewerkschaften für einen solchen Kampf gegen die Gewerkschaftsspitzen.
Aber der Generalstreik muß als eine Herausforderung der Gewerkschaftsbürokratie angegangen werden, die Mitglieder zu solch einen Streik aufzurufen und dafür zu mobilisieren. Diese Art von Forderungen an die Bürokraten war stets ein wichtiger Bestandteil von Trotzkis Aktionsvorschlägen dort, wo sich die Gewerkschaften unter nicht-kommunistischer Kontrolle befanden.
Entweder werden sie gezwungen werden, ihn in der Tat durchzuführen, oder sie werden vor den Mitgliedern entlarvt dastehen, wenn sie sich weigern. Wenn die Arbeiterbürokraten dem Massendruck nachgeben und zu solch einem Streik aufrufen, müssen revolutionäre Arbeiter davor warnen, dass die Gewerkschaftsführer unvermeidlich versuchen werden, den Streik zu verraten. Sie müssen die Tatsache offen aussprechen, dass nur eine revolutionäre Führung de Weg im Kampf für proletarische Interessen und dass es deshalb dringend ist, diese Führung durch die Partei aufzubauen.
Der einzige Weg, die Gewerkschaftsbürokratie zu überwinden, besteht darin, innerhalb der Gewerkschaften für Aktion und Führung zu kämpfen. Man kann die Bürokratie nicht links liegen lassen. Verbunden mit dem Aufruf zu einem Generalstreik ist die Notwendigkeit, zu Arbeiter-Streikkomitees zur Führung des Streiks aufzurufen. Solche Komitees werden sich zum Schauplatz des Kampfes um eine alternative Führung zur Ersetzung der Bürokraten entwickeln, sobald die Arbeiter ihre eigene Macht kennenlernen. Wir weisen ebenfalls darauf hin, dass sie die Kernzelle für Arbeiter-Sowjets oder -Räte sein werden, d.h. für unzweideutig proletarische Institutionen.
Die Generalstreiksforderung sollte auch gegenüber anderen bestehenden Formationen und Organisationen der Massen erhoben werden; abgesehen von den Gewerkschaften würde das vor allem die Organisationen und Gruppierungen der Arbeitslosen betreffen. Aktionskomitees oder Unterstützungskomitees für Streiks können auch unter den Arbeitslosen gebildet werden, um strategische Betriebsstillegungen und andere massive Protestaktionen mit dem Streik zu koordinieren. Gemeinsame Basiskomitees von beschäftigten und erwerbslosen Arbeitern sind schon jetzt eine Notwendigkeit im Kampf und werden lebenswichtig sein, wenn der Generalstreik Erfolg haben soll.
Gleichermaßen sollten Aktionskomitees in städtischen Nachbarschaften und nicht-städtischen Gebieten gebildet werden, sowohl um die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und anderen Notwendigkeiten zu koordinieren als auch, um die Proteste und Aktionen aufzubauen. Alles deutet darauf hin, dass die Mittelklasse generell die bestehenden Volksversammlungen ('Asambleas populares') in den Nachbarschaften und an anderen Orten dominiert, auch wenn Arbeiterebenfalls häufig anwesend sind. Schichten der Mittelklasse, vor allem die unteren und mittleren, werden gebraucht und sind willkommen im Kampf. Aber sie können nicht die führende Kraft sein, wenn der Kampf eine ernsthafte antikapitalistische Richtung nehmen soll.
Revolutionäre können ihren Arbeiterkollegen keine Ultimaten setzen; wir versuchen nur, andere davon zu überzeugen, was unser gemeinsames Ziel sein sollte. Der Generalstreik, für den wir uns starkmachen, ist auch nicht den von den Arbeitern bereits durchgeführten Kämpfen entgegengestellt. Im Gegenteil müssen Fabrikbesetzungen und andere vor sich gehende militante Aktionen von Arbeitern, deren Jobs oder Löhne bedroht sind, verteidigt werden, während wir gleichzeitig dafür kämpfen, den Kampf zu einem Generalstreik zu erweitern. Und begrenzte 'Generalstreiks', zu denen die Bürokraten aufrufen, sind ebenfalls Situationen, in denen Revolutionäre dafür agitieren, sie in einen unbegrenzten Generalstreik zu verwandeln, einen Generalstreik zur Zurückweisung der Schulden beim Imperialismus.
Alleine beantwortet der Generalstreik die Frage nach der Staatsmacht nicht; das Proletariat kann nur durch die unter der Führung der revolutionären Partei stattfindende Übernahme der Staatsmacht an die Macht kommen. Indem er jedoch der Masse der mobilisierten kämpfenden Arbeiter zeigt, was für eine Kraft sie haben, und indem er die Frage aufwirft, welche Klasse herrschen sollte, kann er dazu beitragen, die Idee des Aufbaus der revolutionären Partei zu einem Bestandteil der praktischen Massenaktion zu machen.
Gleichzeitig wirft der Generalstreik für die Ablehnung der imperialistischen Schulden eine andere Schlüsselfrage revolutionärer Strategie auf, die nach den Notwendigkeit der internationalen Einheit der Arbeiterklasse. Die Forderung nach einem Generalstreik auf der Basis der Zurückweisung der Schulden sollte zu einer internationalen Forderung gemacht werden. Die argentinischen Gewerkschaften müssen von ihren Mitgliedern unter Druck gesetzt werden, Gewerkschaftsföderationen in der ganzen Welt dazu aufzurufen und entsprechende Kampagnen durchzuführen, dass Gewerkschaftsföderationen weltweit für die Streichung der Schulden ihrer Länder bei imperialistischen Banken und Staaten streiken. Das würde helfen, die Ängste der argentinischen Arbeiter zu beantworten, dass eine einseitige Einstellung der Zahlungen seitens Argentiniens ihren eigenen Arbeitsmarkt vernichten würde. Wenn andere unterdrückten und ausgebeuteten Länder durch Massenkämpfe gezwungen würden, ihre Schulden zu streichen, dann wäre das ein massiver Schlag gegen den Imperialismus. Revolution stünde weltweit auf der Tagesordnung.
Die argentinische Arbeiterklasse hat die Macht, eine solche Kettenreaktion auszulösen. Das Bild von einer machtvollen Arbeiterklasse wie der Argentiniens, die den Weg voran weist, indem sie sich weigert, die Imperialisten zu finanzieren, könnte wie ein Buschfeuer um sich greifen. Als erstes könnte die brasilianische CUT gezwungen sein zu folgen, und der Rest Lateinamerikas könnte nicht weit dahinter bleiben.
Revolutionäre und Übergangsslogans sind kein Waschzettel aller guten Dinge. Die Zurückweisung der imperialistischen Schulden jedoch ist objektiv für ein Land wie Argentinien eine Schlüsselfrage; man kann nicht damit beginnen, andere kritische Probleme, mit denen die Massen konfrontiert sind, anzugehen, bis dieser unmittelbare Knebel der Wirtschaft beseitigt ist. Aber andere Forderungen sind unausweichbar an diesen Aufruf gebunden. Unter diesen steht die Forderung "Kompensationslose Verstaatlichung der Banken" ganz oben. Das ist eine andere Form der Ablehnung des imperialistischen Würgegriffs an die nationale Ökonomie -- und ein notwendiger Schritt, um die finanziellen Ressourcen in die Hand zu bekommen, die benötigt werden, um den Bedürfnissen der Gesellschaft Vorrang zu verschaffen und eine produktive Wirtschaft am Laufen zu bekommen. Die Banken müssen nationalisiert werden, ohne die Ausbeuter zu entschädigen, die sie als Waffe benutzen, um das Blut der Massen, der einzigen Produktivkraft, abzusaugen.
Das Problem der großen Zahl von Privatisierungen, bei denen lebenswichtige Industrien an die Höchstbietenden ausländischen imperialistischen Interessen verscherbelt wurden -- die dann Massen von Arbeitern 'freigesetzt' haben -- muß auch angegangen werden. Hier lautet die Forderung "Wiederverstaatlichung der privatisierten Industrien ohne Entschädigung". Andere zusammenbrechende Industrien, die zumachen und Arbeiter auf die Straße werfen, sind für die Gesellschaft auch lebenswichtig und müssen nationalisiert werden "Verstaatlicht die bankrotten Industrien".
Die Geisel der Arbeitslosigkeit ist für die Arbeiterklasse verheerend. Die Löhne und Arbeitsbedingen verschlechtern sich ebenfalls für die noch beschäftigten Arbeiter. Verstaatlichung und Wiederverstaatlichung der wichtigsten Industrien ist natürlich ein Schlüssel zur Verteidigung der Arbeitsplätze, zur Rettung von Industrien und ganzen Sektoren -- und dafür, ein weiteres imperialistisches Eindringen zurückzuschlagen. Integraler Bestandteil einer Lösung der Massenarbeitslosigkeit ist auch die Forderung "Jobs für alle zu einem Lohn, von dem man leben kann". Daneben stellen wir die Forderung nach einer "gleitenden Lohnskala und einer gleitenden Skala der Arbeitszeit" auf, um zu zeigen, wie alle Arbeitsplätze unter allen zur Verfügung stehenden Arbeitern aufgeteilt werden können. Diese Forderungen führen beschäftigte und arbeitslose Arbeiter in einem gemeinsamen Kampf zusammen, denn es ist klar, dass eine solche Reorganisation der einzige Weg ist, die Bedürfnisse der gesamten Klasse zu befriedigen.
Diese und andere zentrale Forderungen können nur im Kampf bei Intervention wirklicher Revolutionäre im Dialog mit den Massen erfüllt werden. Trotzkis Ziel bestand darin, Übergangsforderungen aufzustellen, die die dringendsten heutigen Bedürfnisse der Arbeiterklasse mit der allgemeinen Notwendigkeit der sozialistischen Revolution und des Arbeiterstaats verbanden. Das Übergangsprogramm zielte darauf, die Theorie der permanenten Revolution in die Praxis umzusetzen und die Vorstellung von einem getrennten Kampf für bürgerliche Demokratie jetzt, dem erst in einem anderen Stadium in der Zukunft der Kampf für die proletarische Revolution folgen sollte, zurückzuweisen.
Stattdessen stellt das Übergangsprogramm Mittel bereit, mit denen Revolutionäre ihre Kollegen für einen gemeinsamen Kampf heute gewinnen können, um diesen Kampf selbst zu nutzen, um diejenigen, die noch nicht glauben, dass die Herrschaft des Kapitalismus gestürzt werden muß, zu überzeugen. So beachten wir beispielsweise in der Frage der Ablehnung der Schulden, dass die Mehrheit der Arbeiter sich noch nicht darüber im Klaren ist, dass die imperialistische Schuldenlast nicht das Ergebnis der Bosheit der Kapitalisten und der Bosheit ihrer Politik ist. Revolutionäre argumentieren, dass diese Schulden eine unausweichliche Folge des Systems selbst sind. Wir sagen offen, dass die Zurückweisung der Schulden wie die übrigen Übergangsforderungen, die wir stellen, von keinem Teil der Bourgeoisie voll erfüllt werden können. Da wir aber wissen, dass viele Arbeiter noch nicht von dieser revolutionären Einschätzung überzeugt sind, schlagen wir einen gemeinsamen Kampf für diese Forderungen vor. Wir sagen, dass eine Arbeiterrevolution sich als notwendig erweisen wird, um diese Forderungen zu realisieren, aber wir wissen, dass andere Arbeiter dem noch nicht zustimmen. Der Verlauf des Kampfes selbst wird zeigen, wer recht hat. Unser Ansatz bezüglich der Übergangsforderungen steht im Gegensatz zu dem des größten Teils der pseudo-trotzkistischen Linken, die das Übergangsprogramm als eine Entschuldigung dafür benutzen, dass sie nicht einmal in ihren an die fortgeschrittenen Teile der Arbeiterklasse gerichteten Materialien sagen, dass es notwendig ist, den kapitalistischen Staat zu zerschlagen und durch einen Arbeiterstaat zu ersetzen. (mehr über unser Verständnis des Übergansprogramms in Myth and Reality of the Transitional Program.)
Die Linke in Argentinien versagt dabei, unsere Klasse politisch zu bewaffnen. Weder erwähnt sie die Partei als eine zentrale Notwendigkeit, noch fordern sie an die Arbeiterbürokratie für die Massenaktion eines Generalstreiks heraus. Und darüber hinaus sind wir verblüfft über die geradezu selbstmörderische Abwesenheit der Forderung nach bewaffnetem Selbstschutz der Arbeiterklasse. Schon heute ist es in Argentinien ausschlaggebend, die Forderung "Waffen für die Arbeiterklasse!" zu erheben. Das ist nicht nur eine Lektion, die man aus der Geschichte lernen muß. Demonstrationen von Piqueteros, Betriebsbesetzungen und der Kampf für Lebensmittel aus den Supermärkten wurden bereits durch die Gewalt von Staatsorganen und Schlägerbanden beantwortet. Über 30 Menschen wurden während des Aufstands im Dezember von Polizei und Armee getötet.
In einer Reihe von Fällen haben die Piqueteros und andere spontane Versuche zur Selbstverteidigung unternommen. In jeder Situation jedoch, wo es die Möglichkeit eines Angriffs von oder einer Konfrontation mit den bewaffneten Kräften des Staates gibt, brauchen die Massen die best ausgebildetsten Kämpfer und einen Aktionsplan. Die Forderung an die Gewerkschaften, ihre ganzen Ressourcen in die Bildung und Ausbildung von Arbeiter-Verteidigungsgarden zu stecken ist eine unbedingte Notwendigkeit. Wir rufen dazu auf, dass Branche für Branche Arbeiter-Verteidigungsgarden an den Arbeitsplätzen und in den Fabriken gebildet werden. Das legt die natürliche Grundlage für ernsthafte Organisation. Es muß eine Koordination mit von den Piqueteros geschaffenen Verteidigungsgarden sowie entsprechenden Bemühungen in den Nachbarschaften und anderen geben.
Diese Verteidigungseinheiten werden heute die Arbeiterklasse gegen die Polizei verteidigen, die ein Klassenfeind ist, aber von den bewaffneten Arbeitern neutralisiert werden kann. Diese Verteidigungseinheiten könnten aber gleichzeitig die Keimform der zukünftigen Arbeitermiliz sein -- und so der einzige Weg ein weiteres blutiges Militärregime zu verhindern. Die gegenwärtige Zurückhaltung der Armee ist Resultat der Feindschaft der Massen gegenüber der Armee wegen deren mörderischer Politik als sie an der Macht war. Dennoch ist in der Zukunft ein Armeeputsch sehr wahrscheinlich, wenn keine revolutionäre Alternative aufgebaut wird. Aber auch schon davor ist eine zunehmende bewaffnete Repression unter Duhalde (oder ihm nachfolgenden zivilen Regien) sicher.
Die militärische Bedrohung lauert bereits im Hintergrund. Sie kann nur beendet werden, wenn die Massen bewaffnet und in Arbeitermilizen organisiert sind. Eine gegen die vom Imperialismus angestifteten und unterstützten Repressionskräfte mobilisierte Verteidigung kann nicht ohne ernsthafte Planung und Ausbildung geschaffen werden. Deshalb müssen wir schon heute mit der grundlegend agitatorischen Forderung nach bewaffneten Arbeiter-Verteidigungsgarden beginnen und darüber hinaus mit der Erklärung der Notwendigkeit der Arbeitermiliz.
Die militärische Frage kann nicht von anderen Fragen der politischen Strategie getrennt werden. Die Arbeiterklasse in Argentinien zu bewaffnen, ist eine Schlüsselfrage. Eine internationale Kampagne zur Verteidigung der argentinischen Arbeiter gegen Unterdrückung wird ein weiterer lebenswichtiger Bestandteil des Versuchs sein, die internen und externen Kräfte der Repression in Schach zu halten.
Für die meisten der größeren sowie auch vieler kleinerer linker Gruppen war der zentrale Slogan, in dessen Rahmen alle ihre programmatischen Forderungen eingefügt wurden, der Ruf nach einer verfassungsgebenden Versammlung. Was bedeutet das in Wirklichkeit? Eine verfassungsgebende Versammlung ist eine klassenübergreifende Körperschaft, die nach den am meisten demokratischen bürgerlichen Regeln gewählt wird, um die Regierungsform eines Landes zu bestimmen.
Der Slogan der verfassungsgebenden Versammlung ist in einer Situation einer Regierungskrise angemessen, in der die Massen auf demokratische Forderungen konzentriert sind. Das ist nicht der Fall in Argentinien. Diese Forderung war sehr nützlich, wo die Rechte nationaler oder rassischer Minderheiten im Fordergrund des revolutionären Kampfes standen. Aber solche demokratischen Themen stehen in Argentinien nicht im Zentrum. In Russland sprach diese Forderung 1917 vor der bolschewistischen Revolution in entscheidender Weise die Bauernschaft an. Im Argentinien von heute jedoch dient sie nur dazu, bei den Massen der Arbeiter und sogar der Mittelklasse Illusionen zu schüren und das gerade in einer Zeit, da sie von bürgerlichen Regierungen und Wahlen die Nase voll haben.
Der Ruf nach einer verfassungsgebenden Versammlung bedeutet in der Tat einen passiven, wahlorientierten (wenn nicht unmittelbar parlamentaristischen) Weg vorwärts statt eines der Massenaktion. Die Linke hält an ihrem wahlorientierten Tendenzen fest, indem sie verbissen diesen Slogan als zentral propagiert obwohl er gar nicht zur Lage passt. Revolutionäre müssen es den Arbeitern offen erklären, dass der Weg voran nicht der der Wahlen sein kann, sondern nur der des Massenkampfes. Durch ihre Taten ist die Arbeiterklasse in dieser Frage der Linken vorausgeeilt.
Dadurch, dass die verfassungsgebende Versammlung für die jetzige Periode als der Kulminationspunkt des Kampfes ausgegeben wird, für eine Zeit, die sowohl die PO als auch die PTS als "revolutionär" identifiziert haben, stellen diese den Kampf für eine neue Regierung als das Ziel ihrer Vision vom Kampf heraus. Im Gegensatz dazu stellt der von uns propagierte Generalstreik die Frage nach der Macht im Staat. Den Kampf mit dem Massenslogan für eine verfassungsgebende Versammlung statt für einen Generalstreik zu krönen, kann nur bedeuten, dass man einer Stufenvision anhängt. Die elitistische Linke hat sich entschlossen, das Ziel der sozialistischen Revolution für sich zu behalten; alles, was jetzt diskutiert werden und für den Kampf vorgeschlagen werden sollte, ist ein Wandel hin zu einer demokratischeren aber immer noch bürgerlichen Regierungsform. Nicht einmal in ihren an fortgeschrittene Arbeiter gerichteten Materialien sprechen sie von der Notwendigkeit eines Arbeiterstaates anstatt lediglich eines Regierungswechsels. Die Avantgarde der Arbeiter soll denken, dass der Kampf um die Staatsmacht auf eine gänzlich andere Stufe der Geschichte zu verschieben sei.
Der Ruf nach einer verfassungsgebenden Versammlung widerspricht auch der unbedingten Notwendigkeit, die Unabhängigkeit der und Führung durch die Arbeiterklasse zu etablieren. Im gleichen Geist hat die argentinische Linke auch permanent nach 'Volksversammlungen' gerufen. Diese existieren heute vor allem als Mittelklasse-Formationen mit einigen Arbeitern darin. Und linke Gruppen haben auch oft den Ruf nach einer 'Arbeiter- und Volksregierung' erhoben -- ein weiterer Slogan, der die Klassenlinie verwischt. Diese Parolen zusammen mit der Nutzung der verfassungsgebenden Versammlung als einer Rahmenforderung zeigen, dass die 'trotzkistische' Linke in Argentinien dabei ist, den authentischen Arbeiterklasse-Trotzkismus im Matsch zu vergraben.
Als Antwort auf Aktionen der Massen haben Gruppen wie die PO und die PTS sich genötigt gefühlt, nach links zu rücken. Wir zitieren nur ein paar Beispiele, um zu zeigen, wie ihr Zentrismus funktioniert hat.
Ein Schlüsseldokument des PO-Führers Jorge Altamira unter dem Titel 'Eine Regierung ohne Lösungen Usurpiert die Souveränität des Volkes' (30.12.2001) endet so: "Wir rufen alle linken Organisationen auf, eine Strategie festzulegen, die die auf dem Weg befindliche Revolution zum Sieg führen kann. Der heutige Slogan ist: Nieder mit der politischen Kontinuität der Banker und bankrotten Kapitalisten. Volksversammlungen. Raus mit den Agenten des verhassten Regimes. Für eine souveräne Verfassungsgebende Versammlung auf Ebene der Nation, der Provinzen und Gemeinden".
Das ist ein linkspopulistisches Programm. Alle linken Organisationen (zu denen die offen klassenkollaborationistischen gehören) sollten eine gemeinsame Strategie entwickeln, die die bösen Kapitalisten loswird und stattdessen eine verfassungsgebende Versammlung einsetzt. Das ist ein Aufruf zu einer anderen bürgerlich-demokratischen Formation und dafür, dass diese souverän sein soll -- d.h herrschen soll!
Einen Monat später kam die PO mit einer Stellungnahme unter dem Titel 'Bush oder Volksversammlungen' (31.1.02) heraus, die wie folgt endet: "Es gibt eine vollständige Krise des kapitalistischen Systems und seines politischen Regimes. In diesem Rahmen können die Duhaldes uns nur zu einer immer größer werdenden Misere führen. Der Slogan der kommenden Kämpfe lautet: 'Raus mit ihnen allen' und 'Nicht einer soll übrig bleiben'. Wir müssen die Zahl der Volksversammlungen vervielfachen und sie mit dem Kampf der Piqueteros verschmelzen. Wir müssen die Autorität der Volksversammlungen und der Versammlungen der Piqueteros stärken, um sie zu Organen der Macht des ausgebeuteten Volks zu machen. Eine konstituierende Volksversammlung, zu der das mobilisierte Volk aufruft, sollte die soziale und politische Organisation des Landes auf neuer Grundlage in ihre Hände nehmen."
Hier sehen wir, dass die PO nach links gerückt ist. Ein wenig Klassenbewusstsein hat Einkehr gehalten; jetzt sollen die Piqueteros, das erwerbslose Segment der Arbeiterklasse, mit den von der Mittelklasse dominierten Volksversammlungen "verschmelzen" werden. Dieses mal sollte die Verfassungsgebende Versammlung eine "Volksversammlung" (und offensichtlich nicht länger souverän) sein. Und durch die magische Methode der revolutionären Ermahnung (vervielfältigt die Zahl der Volksversammlungen, stärkt die Autorität der Volksversammlungen) werden diese Versammlungen in "Organe der Macht" umgewandelt. Wie diese Organe fit werden, die Macht zu erringen, ohne dass die organisierte Arbeiterklasse an zentraler Stellen an ihnen beteiligt ist, bleibt ein Geheimnis. Die Fantastereien gehen weiter: das gesamte "mobilisierte Volk" sollte irgendwie die "soziale und politische Organisation des Landes auf neuer Grundlage in ihre Hände nehmen." Wie man aber zu einer solchen Reorganisation ohne eine soziale, d.h. sozialistische Revolution bekommt ist ein weiteres Geheimnis.
Die PTS steht links von der PO, Sie schrieb in einem Flugblatt, das am 31.12.01 verteilt und auf ihrer Website zu lesen ist: "Die Revolutionäre der PTS kämpfen für eine Arbeiter- und Volksregierung. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht das noch nicht so, aber Millionen fordern 'Sie müssen alle gehen. Wir wollen keinen von ihnen!', der Slogan, der auf der Plaza de Mayo gerufen wurde. Ihnen und allen Arbeitern, Kämpfern und Menschenrechtsorganisationen, politischen Parteien, die sich demokratisch nennen, vor allem denen der Linken schlagen wir vor, die Mobilisierung für den Kampf zum Stop aller antidemokratischen oder gegen das Volk gerichteten Pakte oder Lösungen der Krise zu verstärken. Die demokratischste Lösung ist eine freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung, wo wir diskutieren und Entscheidungen im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung treffen können, und die gesetzgeberische und exekutive Macht kombinieren müsste. Das würde dem Obersten Gericht -- dieser Kaste korrupter Juristen -- ein Ende setzen und die Wahl von Richtern durch die geheime Abstimmung durch das Volk entscheiden. Die Mandate der Mitglieder der Verfassungsgebenden Versammlung sollten widerrufbar sein, um den 'Repräsentanten des Volkes', die ihre Wähler beschwindeln ein Ende zu setzen. Während ihrer Amtszeit werden sie ein Gehalt bekommen, das dem eines durchschnittlichen Lehrers oder Arbeiters entspricht, um so Schluß zu machen mit reichen Politikern und um die Regierung billiger zu machen."
Der Ruf nach einer 'Arbeiter- und Volksregierung' wird hier benutzt, um den Ruf nach einer sozialistischen Revolution und einem Arbeiterstaat zu umgehen. Die Verfassungsgebende Versammlung der PTS ist ein weiterer bewusster Blödsinn: sie wird in einer Weise beschrieben, wie das Marxisten traditionellerweise für eine Organisation der Arbeitermacht entsprechend der Praxis der Pariser Commune von 1871 und der russischen Räte von 1905 und 1917 tun -- volle exekutive und legislative Macht, abberufbare Delegierte, Gehälter nicht über denen des durchschnittlichen Arbeiters. Indem man ein bürgerlich-demokratische Versammlung zu einem Arbeiter-Sowjet erklärt wird er noch keiner!
Die PTS ist im neuen Jahr auch weiter nach links gerückt. In einem Artikel mit dem Titel 'Sie wollen das Ausbeuterregime weißwaschen' (La Verdad Obrera 7.2.02) schrieb sie:
Eine wirklich demokratische Verfassungsgebende [Versammlung], die sich all des Abschaums des alten Regimes und seiner Politiker entledigt und es möglich macht, dass 'nicht einer übrigbleibt', wird nur dann völlig erreicht sein, wenn das, was am 19. und 20. Dezember begonnen wurde, mit Aufstandsaktionen unter Führung der Arbeiterklasse, die eine Revolutionäre Verfassungsgebende Versammlung erzwingt, zu seinem Ende geführt wird. Eine Instanz, wo das Volk alles im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung verhandelt und löst und in einer Kammer die exekutive und legislative Macht konzentriert. Dabei könnte sie die Institution des Obersten Gerichts eliminieren und Richterwahlen durch die direkte Abstimmung durch das Volk entscheiden."
Wie die PTS in der Februar-Ausgabe ihrer Zeitschrift Estrategia Internacional in dem Artikel 'Krise der bürgerlichen Herrschaft: Reform oder Revolution in Argentinien' erklärt war sie mit dem Problem konfrontiert, sich von anderen Linkskräften einschließlich der Kräften der bürgerlichen Linken und auch der PO, die nach der Verfassungsgebenden Versammlung, aber einer vom "Typus der Verfassungsreform", riefen, zu unterscheiden. Darum fügte die PTS dieser Forderung das 'revolutionäre' und 'aufständische' Gerede hinzu. Was aber zu tun wäre, ist nicht, einen bürgerlich-demokratischen Slogan in revolutionäre Kleider zu stecken, sondern zu sagen, was ist. Nach einer bürgerlich-demokratischen Lösung rufen kann in der argentinischen Situation nur rückwärts führen.
Zu einer Zeit, da die argentinische Arbeiterklasse an der Spitze des weltweiten Klassenkampfes steht, der mit einem zunehmend kriegerischen Imperialismus konfrontiert ist, ist es kriminell, daß Organisationen, die sich als proletarisch und revolutionär verstehen, für ein bürgerlich-demokratisches Programm kämpfen, wie revolutionär sie es auch immer phrasieren mögen. Proletarische Revolutionäre in Argentinien müssen dafür kämpfen, die besten Elemente von diesen zentristischen Organisationen als Teil des Kampfes für den Aufbau einer trotzkistischen Partei als Teil der Weltpartei der Sozialistischen Revolution zu gewinnen. Schafft die Vierte Internationale neu!