Die LRP der USA ist aus der in der US-Linken historisch wichtigen Shachtmanitischen Tendenz hervorgegangen. Der folgende im Oktober 1985 veröffentlichte Text faßt ihre Kritik an zentralen theoretischen Positionen zusammen, wie sie vom Gründer der britischen "Socialist Workers Party", Tony Cliff, formuliert worden sind. Es handelt sich um eine Antwort auf einen Text eines australischen Mitglieds der dortigen Schwesterorganisation der SWP.

In der BRD ist die theoretische Linie der von der SWP geleiteten Strömung der "Internationalen Sozialisten" (IS) heute durch drei Organisationen repräsentiert: die offizielle Schwesterorganisation "Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG), die sich im zunächst bei den JUSOS als "Linksruck Netzwerk" organisierten und dann in der inzwischen selbstständig gewordenen "Linksruck"-Organisation neu formiert hat, und ihre beiden Abspaltungen, die "Internationalistisch Sozialistische Organisation" (ISO) und die "Internationalen Sozialisten"(IS).

Auf Griechisch


Die ungelösten Widersprüche des Tony Cliff: Eine kurze Kritik des Papiers von Tom O'Lincoln über den Staatskapitalismus

von Walter Daum

O'Lincolns Papier beinhaltet einen massiven Widerspruch: Es versucht sowohl Tony Cliffs Analyse von Russland als auch Alex Callinicos' (1) Position zur Lohnarbeit im Staatskapialismus zu verteidigen. Beide Theorien können jedoch nicht miteinander koexistieren, obwohl das weder Callinicos noch Tom O'Lincoln zu bemerken scheinen.

Wie O'Lincoln betont, kommt Callinicos zu zwei richtigen Schlußfolgerungen: 1. daß Lohnarbeit wirklich in der Sowjetunion existiert, das heißt, daß die Bezahlung von Lohn für Arbeitskraft nicht nur eine zufällige Form ist, die einen in der Tat nicht-proletarischen Inhalt verhüllt; 2. daß die Existenz von Lohnarbeit in einer kapitalistischen Gesellschaft notwendig ist. O'Lincoln stellt auch fest, daß Cliffs Analyse diese beiden Punkte ausschließt (S.33): "Von der Logik seiner Darstellung her können wir nur schlußfolgern, daß die russischen Arbeiter im Marx'schen Sinn keine Proletarier sind. Cliff hätte sich damit weit für Argumente der Art von Shachtman geöffnet".(2)

Ganz recht: in der Tat haben wir schon immer argumentiert, daß Cliffs "bßrokratischer Staatskapitalismus" sich in der Theorie sehr wenig von Shachtmans "bßrokratischem Kollektivismus" unterscheidet; beide verneinten, daß Lohnarbeit in der UdSSR im wirklichen Sinn des Wortes existiert, und beide verneinten, daß das kapitalistische Wertgesetz durch die internen Verhältnisse der stalinistischen Gesellschaft hervorgebracht werde. Cliff unterschied sich natürlich von Shachtman insofern, als er argumentierte, daß das Wertgesetz - und folglich alle von Marx entdeckten Bewegungsgesetze des Kapitalismus - der Sowjetunion von außen, vorallem durch die militärische Konkurrenz, aufgezwungen worden sei. Das aber ließ die Frage nach der Produktionsweise der Sowjetunion offen, denn wenn die sowjetischen Produzenten keine Proletarier sind, dann ist auch die Produktionsweise, die sie ausbeutet, keine kapitalistische.

Welche Auswirkungen hat die von Callinicos eingeführte Modifizierung auf den Rest von Cliffs analytischer Struktur? Wenn die Produzenten Proletarier sind, dann tauschen sie ihre Arbeitskraft gegen Lohn und transferieren dafür Wert und fügen den Gütern, die sie für die Kapitalisten produzieren, Mehrwert hinzu. Diese Güter sind dann in der Tat Waren, da sie den Wert enthalten, den die Arbeiter ihnen gegeben haben; darüberhinaus werden sie für den Tausch zwischen den verschiedenen Unternehmen und Ministerien produziert, aus denen sich die sowjetische nationale Wirtschaft zusammensetzt (ein weiter Punkt, den O'Lincoln von Callinicos zitiert). Aber das untergräbt Cliffs Behauptung, daß das Wertgesetz in Russland nicht intern hervorgebracht werde. Das heißt; Lohnarbeit impliziert verallgemeinerte Warenproduktion. Cliff ist zumindest konsequent, wenn er beides zurückweist; indem sie ihn korrigiert haben, sind Callinicos und O'Lincoln nur den halben Weg gegangen.

Dabei sind sie jedoch durchaus nicht originell. Die Existenz der Lohnarbeit einzugestehen und gleichzeitig die Existenz allgemeiner Warenproduktion zu leugnen, ist eine alte Idee, die von Stalin (In seinem Die ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR) hervorgebracht und von Ernest Mandel (3) mit theoretischen Gewicht ausgestattet wurde. Diese Kombination ist von einer bürgerlich empiristischen Sicht her, die einfach feststellt (wie das Stalin und Mandel tun), daß die Existenz von Löhnen ebenso eine "Tatsache" ist wie angeblich der fehlende Austausch von Kapitalgütern unter sowjetischen Firmen, nicht widersprüchlich.

Aber für Marxisten ist Lohnarbeit mehr als nur die Tatsache der Bezahlung für Arbeit; sie ist der Verkauf der Arbeitskraft als eine besondere Ware, deren Gebrauchswert darin besteht, Wert auf andere Waren zu übertragen und ihnen hinzuzufügen. In O'Lincolns Zitaten von Marx (p.23) ist das für Marx wesentlich. Das ist der Grund, weshalb "Kapital Lohnarbeit voraussetzt". In besonderen Fällen wie dem Süden der USA vor dem Bürgerkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts kann das Kapital sogar Sklavenarbeit ausbeuten solange die Beziehung grundlegend kapitalistisch bleibt - solange es die Aufgabe dieser Sklavenarbeit ist, Waren Wert hinzuzufügen.

So widerlegt die marxistische Konzeption der Lohnarbeit nicht nur Stalin und Mandel; sie weist auch den Versuch von Callinicos zurück, Cliffs Theorie operativ zu reparieren, indem sie die Lohnarbeit als die Ausbeutungsweise ersetzt. Es ist auch nötig, Cliffs Idee beiseitezuschieben, daß das Wertgesetz in der UdSSR nicht intern hervorgebracht wird. Callinicos tut das nicht; stattdessen weist er höflich darauf hin, daß Cliffs "Rahmen" noch immer die Basis für die Analyse des Staatskapitalismus sei. In Wirklichkeit jedoch bringt Callinicos' Ergänzungen Cliffs Rahmen zum Einsturz.

O'Lincoln hat ein etwas anderes Problem. Auf S.22 beschreibt er Cliffs Theorie zunächst als die von einer Art "UdSSR GmbH", die in internationaler Konkurrenz steht; das ist der einzige Weg, auf dem Akkumulation und die Produktion von Wert erklärt werden können, wenn die Existenz von Lohnarbeit geleugnet wird. Dann aber zieht er diese Analogie zugunsten eines Kriegswirtschaft-Modells zurück, wobei er Bukharins "Imperialismus und Weltwirtschaft" zitiert und feststellt, daß in ihr "die nationalen Ökonomien... kapitalistisch blieben, weil die zu Grunde liegende Dynamik der Akkumulation in Konkurrenz die gleiche blieb". Diese Argumentation jedoch gilt nicht für Cliffs Theorie, denn für Cliff ist die zu Grunde liegende interne Ökonomie nicht kapitalistisch. Da seine beabsichtigte Schlußfolgerung nicht folgt, bleibt O'Lincoln mit einem System zurück, das von internationaler militärischen Konkurrenz getrieben Gebrauchswerte aus seiner intern nicht-kapitalistischen Wirtschaft akkumuliert. Das aber macht die sowjetische Wirtschaft so lange nicht kapitalistisch, wie der externe Druck keine internen Veränderungen erzwingt, wie z.B. die Einführung von Lohnarbeit. Cliff akzeptiert das nicht, O'Lincoln durchaus; so hat er am Ende eine ganz andere Theorie, obwohl er das nicht explizit sagt.

Die Callinicos - O'Lincoln "Abänderung" an Cliffs Theorie hat weitere Konsequenzen. Cliff gibt der Tatsache große Bedeutung, daß Stalin 1943 dekretierte, daß das Wertgesetz in der UdSSR gelte. Er nimmt das als eine Anerkennung der Realität und argumentiert, daß das bedeute, daß die UdSSR kapitalistisch sei. Diese Argumentation ist aber falsch, und das nicht aus dem von O'Lincoln (S.21) angegebenen Grund. Das Wertgesetz gilt auch in einem Arbeiterstaat (4), denn die Gesetze des Kapitalismus können von der Übergangsgesellschaft nicht über Nacht abgeschafft werden, genau so wenig wie der Staat abgeschafft werden kann. Ein Arbeiterstaat, so rückständig und isoliert wie die frühe Sowjetunion befände sich notwendigerweise unter der permanenten Bedrohung, vom Wertgesetz beherrscht zu werden und könnte auf sich selbst gestellt nur die begrenztesten Schritt unternehmen, um dieses zu bekämpfen. Daher erkannten in den theoretischen Diskussionen der 20er Jahre alle Seiten (auf verschiedene Art und Weise) die Existenz des Wertgesetzes in der sowjetischen Wirtschaft an. Stalins Erklärung von 1943 war wichtig, aber nicht, weil sie bewiesen hätte, daß die UdSSR kapitalistisch war. Sie machte nur mit dem Anspruch aus den 30er Jahren Schluß, daß der sowjetische "Sozialismus" sich des Wertgesetzes entledigt habe.

Cliff ignoriert die allgemeine bolschewistische Auffassung der 20er Jahre und besteht darauf, daß die UdSSR dieser Zeit nicht-kapitalistisch war, weil das Wertgesetz nicht galt. Er tut das, indem er Marx dahingehend zitiert, daß "in der kommunistischen Gesellschaft...wie sie aus der kapitalistischen Gesellschaft entsteht" der Tausch nicht vom Wertgesetz ("blinde Kräfte"), sondern durch bewußte Planung beherrscht wird. (s. sein: Russia. A Marxist Analysis. S.91, 98) (5)

Marx jedoch bezog sich auf die kommunistische Gesellschaft und nicht auf den Arbeiterstaat, der zu ihr überleitet. Cliff idealisiert den Arbeiterstaat und beschreibt ihn, als sei er ein voll ausgebildeter Sozialismus (die erste Stufe der klassenlosen Gesellschaft). Das erlaubt es ihm, den Schluß zu ziehen, daß Stalin den Kapitalismus restauriert habe, indem er 1928 das Wertgesetz von draußen wiedereingeführt habe, als der wilde Drang zur Kapitalakkumulation auf Kosten der Arbeiter und Bauern begann, angeblich unter dem militärischen Druck von außerhalb. Er sieht überhaupt nicht, daß ein Arbeiterstaat, vorallem ein industriell rückständiger, Kapital akkumulieren muß, um zu überleben. Daß er diese Realität nicht sieht, bedeutet, daß Cliffs Theorie nicht trotzkistisch ist, sondern bukharinistisch, in dem Sinn jedenfalls, daß sie auf einen langsamen, bauernzentrierten Übergang zum Sozialismus ohne ein Bemühen um Industrialisierung hinweist.

Mit anderen Worten; es gibt eine logische Verbindung zwischen drei Punkten bei Cliffs Theorie: seine Analyse von Staatskapitalismus ohne Lohnarbeit, seine Idealisierung des Arbeiterstaates, und seine Position, daß die kapitalistische Konterrevolution 1928 stattfand. Callinicos und O'Lincoln sollten, nachdem sie den ersten Punkt aufgegeben haben, weitergehen und die anderen beiden erneut überprüfen. Soweit ich sehen kann, tun sie das aber nicht. Ich habe schon darauf hingewiesen, was falsch ist an Cliffs Beschreibung eines Arbeiterstaates. Was das Datum 1928 betrifft, ist es, obwohl es den Beginn der Stalinisierung der sowjetischen Wirtschaft markiert, als das Datum für die Vollendung der Konterrevolution einfach nicht zu gebrauchen. Zum einen hat sich das stalinistische System nicht vor Mitte der 30er Jahre stabilisiert, und die neue nicht-bolschewistische Kommunistische Partei war nicht vor den Säuberungen von 1936-38 konsolidiert. 1939 war die Konterrevolution abgeschlossen, und die herrschende Klasse hatte ihre Macht und ihre Fähigkeit, sich zu reproduzieren, gefestigt.

Zum anderen bedeutet eine Datierung der Konterrevolution auf 1928, daß der große sowjetische industrielle Aufbau der 30er Jahre einem kapitalistischen Staat zugeschrieben wird. Dagegen stimmen wir mit Trotzki überein, wenn wir sagen, daß der Aufstieg der UdSSR auf den zweiten Platz unter den Industriemächten ein Erfolg war, der ungeachtet ihres blutigen Charakters nur von einem Arbeiterstaat errungen werden konnte. Um das zu beweisen, stellen wir fest, daß keiner der anderen stalinistischen Staaten in der Lage gewesen ist, irgendetwas Vergleichbares zu vollbringen, und zwar in erster Linie deshalb, weil sie niemals Arbeiterstaaten gewesen sind. Darüberhinaus konnten in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg Industrialisierung und Wachstum in der UdSSR kaum mit dem Westen Schritt halten. (6)

Im übrigen hat die Idee, daß die stalinistischen Regime zu großen revolutionären Taten in der Lage seien, die Politik des gesamten Cliff/Shachtman-Milieus angesteckt. In den USA machen sich die "International Socialists" und ihre Freunde ernsthaft darüber Gedanken, eine Resolution zu verabschieden, in der die nikaraguanischen Sandinistas als eine fortschrittliche Kraft mit einer unbestimmten (d.h. nicht-kapitalistischen) Klassenbasis bezeichnet werden, die politisch unterstützt und nicht nur gegen den US-Imperialismus verteidigt werden sollten. Das ist die gleiche Position wie die der "Spartacists" - merkwürdige Bettgenossen!

O'Lincoln tritt selbst in eine ähnliche Falle (S.26), wenn er argumentiert, daß der Stalinismus wie der traditionelle Kapitalismus zu fortschrittlichen Taten wie der Entwicklung der Produktivkräfte fähig sei. Diesem Denken entsprechend ist die sozialistische Revolution keine Notwendigkeit, sondern lediglich vorzuziehen; diese Position bietet eine logische Basis für linken Reformismus. Aber in der Realität kann der Kapitalismus die Produktivkräfte in der imperialistischen Epoche nicht qualitativ weiterentwickeln: Man betrachte z.B. seine Unfähigkeit, die durchschnittliche Arbeitszeit seit den 20er Jahren im größten Teil der industrialisierten Welt nach Jahrzehnten des Fortschritts in diesem Bereich zu verkürzen. In dieser Epoche geht die Entwicklung in einem Bereich auf Kosten der Entwicklung irgendwo sonst.

Schließlich verlangt eine soziale Konterrevolution einen gewalttätigen Kampf gegen die herrschende Klasse. In der Periode von 1928 jedoch war die massenhafte Gewaltanwendung gegen die Bauernschaft gerichtet. Im Gegensatz dazu richtete sich die Gewalt in den späten 30er Jahren gegen die Arbeiterklasse und gegen das, was von der proletarischen Partei übriggeblieben war; das muß also die Zeit des endgßltigen Sturzes des (degenerierten) Arbeiterstaates gewesen sein. O'Lincolns Argument, daß der Sturz eines Arbeiterstaates keine Gewalt verlangt (S.25) ist ganz besonders schwach. Er schreibt wirklich: "Aber der Arbeiterstaat hat weder Bürokratie noch ein stehendes Heer, deshalb gibt es nicht so ein Hindernis für eine fremde Klasse, den Arbeitern die Macht zu entreißen."

Das ist sehr sonderbar. Ein Arbeiterstaat braucht zwar in der Theorie kein stehendes Heer, weil er sich auf die bewaffnete Arbeiterklasse stützt, ein viel stärkeres Hindernis für die Konterrevolution. In der sowjetischen Praxis aber hatte er natürlich ein stehendes Heer und eine Bürokratie, die in den 30er Jahren weitgehend von der Arbeiterklasse getrennt waren. Dennoch mußten sie in dem Prozess, den Trotzki als einen prophylaktischen Bürgerkrieg bezeichnete, tiefgreifend durch die neue stalinistische Bürokratie gesäubert werden, was darauf hinweist, daß beide Institutionen nicht völlig vom Proletariat gelöst worden waren. O'Lincoln's Argument, das er von Cliff übernommen hat, wird durch die Fakten widerlegt.

Um bis dahin zusammenzufassen: O'Lincoln hat recht, wenn er Cliff in Hinblick auf duie Frage der Lohnarbeit kritisiert, geht aber bei seinem Bruch mit Cliffs anti-marxistischen Konzeptionen nicht weit genug. Es gibt mehrere andere Punkte, die für die Hauptlinie der Argumentation weniger zentral sind, bei denen ich aber auch der Meinung bin, daß O'Lincoln vom Weg abkommt.

1. Er teilt die übliche falsche Vorstellung, daß eher die Konkurenz als der Klassenkampf die treibende Kraft zur Kapitalakkumulation ist (S.2). Das passt natürlich gut zu der Position von Cliff, Mandel u.a., daß es in der (angeblich konkurrenzfreien) UdSSR intern keine kapitalistischen Beziehungen geben könne. Das steht mit der Vorstellung im engen Zusammenhang, daß das Wertgesetz grundlegend ein Gesetz bezüglich des Tauschs und der Preise statt der Produktion sei, ein Fehler, den auch O'Lincoln macht (S.9).

2. Seine Geschichte der Anschauungen Trotzkis bezüglich der UdSSR ist ungenau und viel zu summarisch. Entgegen Shachtman (auf den sich O'Lincoln zu stützen scheint) hat Trotzki nicht nur einen Wechsel von einen "Arbeiterkontrolle"-Kriterium für einen Arbeiterstaat zu einem "Verstaatlichungs"-Kriterium vollzogen. Seine Ansichten haben sich im Laufe der Zeit, teilweise zusammen mit den realen Veränderungen innerhalb des stalinistischen Systems, weiterentwickelt. Ich kann darauf hier nicht im Einzelnen eingehen (7). Aber es stimmt sicherlich nicht, daß "Trotzki's gesamte Prognose" für den Stalinismus zusammengebrochen ist (S.15). Vorallem war die Betonung, die er auf dessen konterrevolutionäres Wesen gelegt hat, absolut richtig und wurde von seinen Anhängern vielfach vergessen. Die Machtergreifungen des Stalinismus in Osteurops nach dem Krieg waren konterrevolutionär - sie richten sich vorallem gegen die Arbeiterklasse und die Gefahr der sozialistischen Revolution.

Trotzkis einzige falsche Voraussage war die, daß der Stalinismus schwach sei und deshalb sein sofortiger Zusammenbruch anstehe. Er dachte in der Tat, daß die Säuberungen ein "Bürgerkrieg" seien, aber einer, der eher die Hohlheit der stalinistischen Herrschaft enthülle als deren Konsolidierung. Er sah nicht, daß die Konterrevolution über den proletarischen Staat triumphiert und sich damit selbst gestärkt und so die Fähigkeit erlangt hatte, dem Angriff der Nazis auf nationalistischer Basis zu widerstehen. Der Stalinismus, der stärker war als Trotzki sich vorstellte, war in der Lage, am Ende des Krieges proletarische Revolutionen zu untergraben. Dennoch fehlten der UdSSR im Vergleich zu den Vereinigten Staaten wirtschaftliche Muskeln, und mit der Zeit zeigte es sich, daß sie nicht der Koloss war, für den die Reaktionäre, die Shachtmaniten und Pablisten (8) sie hielten.

Trotzki hatte also Unrecht, aber selbst seine Fehler enthielten Kerne wichtiger Wahrheiten. Die völlige Kapitulation gegenüber dem westlichen Kapitalismus, die er voraussah, hat natürlich Stalins Linie gegenüber den "Großen Demokratien" während des Krieges geprägt, wenn auch nicht im von Trotzki erwarteten Ausmaß. Und die zunehmende Schwäche des Stalinismus als Teil der Weltkrise des Kapitalismus ist noch offener zu Tage getreten. Der "Block" ist zu Bruch gegangen, die Produktionsraten sind in den Keller gegangen, und die konterrevolutionäre Kapitulation gegenüber dem Westen ist allenthalben offensichtlich. Trotzki's Irrtum bedeutete, daß seine Analyse der Zeit voraus war. Aber er hatte sehr viel mehr recht als diejenigen, die voraussagten, daß der Stalinismus die Sache der Zukunft sei, gegen die der Kapitalismus keine Chance habe.

3. O'Lincoln unterstützt Cliffs Theorie der "umgelenkten permanenten Revolution", derzufolge die schwache Arbeiterklasse nicht beständig revolutionär ist und deshalb von kleinbürgerlichen Schichten, vorallem von der Intelligenz, ersetzt werden kann, um revolutionäre Aufgaben zu erfüllen. Cliff sieht das revolutionäre Kleinbürgertum als in einem vom Proletariat hinterlassenen Vakuum agieren. In der Realität jedoch mußten die Stalinisten und andere kleinbürgerliche Nationalisten typischerweise die Arbeiter zuerst niederwerfen bevor sie die Macht ergreifen oder konsolidieren konnten (China, Vietnam, Osteuropa). In Nicaragua begründet andererseits die Tatsache, daß die Arbeiter nicht niedergeworfen worden sind, daß die Sandinistas sich geweigert haben, die Wirtschaft zu verstaatlichen und die private Bourgeoisie zu eliminieren, obwohl diese offen mit dem Imperialismus kollaboriert hat. Hätten sie das getan, hätten sie die unbesiegte Arbeiterklasse gestärkt. O'Lincoln irrt sich völlig, wenn er Cliffs Behauptung akzeptiert, daß das revolutionäre Wesen der Arbeiterklasse zweifelhaft sei (S.29).

Dieser Punkt ist kritisch in Hinblick auf den Unterschied zwischen Shachtmann und Cliff (und O'Lincoln) einerseits und dem Trotzkismus andererseits. Die "umgelenkte permanente Revolution" erklärt die Arbeiterklasse verantwortlich für die Taten ihrer falschen Führer, der Stalinisten und sozialdemokratischen Reformisten, die das Eindringen fremder Klassen in die Arbeiterbewegung repräsentieren. Die Permanente Revolution war niemals ein "automatischer" historischer Prozess; sie konnte in einem Arbeiterstaat nur durch die Aktion eines das Privateigentum bedrohenden Proletariats zur Wirkung kommen. Mit anderen Worten: die Theorie kann nur durch die Existenz des fortgeschrittenen Bewußtseins, das in einer proletarischen Vorhutpartei verkörpert ist, aktualisiert werden. Wenn es den Stalinisten und Reformisten gelingt, diese internationale Partei und ihr Bewußtsein zu zerschlagen (oder zunächst überhaupt ihr Entstehen zu verhindern), schaffen sie eine Situation, in der die Arbeiter "umgelenkt", das heißt besiegt werden.

Trotzki betonte die "Krise der Führung" als die entscheidende Frage für die Arbeiterklasse. Es ist kein Zufall, daß die Cliffisten-Shachtmaniten nicht die Führung, sondern die Klasse selbst als den Grund für die "Umlenkung" betrachteten. Das ist nur die andere Seite der "Basis"-Medaille, die bei solchen "Neo-Trotzkisten" so beliebt ist. Die Basis wird als die Quelle allen Wandels gepriesen (in Wirklichkeit begönnert) - und wenn die erhofften Veränderungen nicht kommen, wird ihr die Schuld gegeben. Diese Logik entschuldigt die reformistischen Arbeiterführer (und die Arbeiteraristokratie, die diese hervorbringt). Das ist der Grund, weswegen Basisorientierte unvermeidlich vor den linken (und den nicht ganz so linken) Bürokraten kapitulieren, warum die "Basis"-Programme der Shachtmaniten-Cliffisten unvermeidlicherweise ein Widerhall der reformistischen Programme der Bürokratie sind, anstatt daß sie für ein alternatives kommunistisches Programm und eine entsprechende Führung kämpfen.

Die Positionen von Cliff und Shachtman zu Rußland spiegeln diese gleiche Grundhaltung wider. Sie haben die Fähigkeit der Arbeiterklasse, revolutionäres Bewußtsein zu erlangen, wegen des Sieges der stalinistischen Konterrevolution aufgegeben. Indem sie sich gegen die stalinistische "Zentralisierung" wenden, weisen sie die gesamte Idee einer zentralisierten proletarischen Diktatur zurück. Sie haben nicht gemerkt, daß Stalins politische Zentralisierung Kräfte in Bewegung setzte, die die Herrschaft des Wertgesetzes über die sowjetische Ökonomie beschleunigten, d.h. die die wirtschaftliche Dezentralisierung beschleunigten. Im Gegensatz dazu bedeutet die proletarische Machtzentralisation die Herrschaft des fortgeschrittenen Bewußtseins über die Staatsmaschine, ein kontinuierliches Bemühen um die Unterwerfung aller ökonomischer Mechanismen unter die geplante Kontrolle mit dem Ziel der Überwindung des Mangels durch Akkumulation.

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(1) Callinicos ist Mitglied der Leitung und ein führender Theoretiker der britischen SWP. Rückkehr

(2) Max Shachtman war ein führender Vertreter der "Socialist Workers Party", der US-amerikanischen Sektion von Trotzkis Vierter Internationale. Er brach mit Trotzki, weil er dessen Analyse des "degenerierten Arbeiterstaates" für die Stalin’sche UdSSR zurückwies und diese statt dessen als eine Gesellschaft des ‘bürokratischen Kollektivismus’ bezeichnete und damit einhergehend die trotzkistische Politik der ‘militärischen Verteidigung’ für die UdSSR im 2. Weltkrieg ablehnte. (Vgl. Trotzki, L.: Zur Verteidigung des Marxismus. ; Daum, W.: The Life and Death of Stalinism. New York 1990; Van der Linden, M.: Von der Oktoberrevolution zur Perestroika. Frankfurt 1992) Rückkehr

(3) E. Mandel war nach dem Tode Trotzkis einer der Führer der Vierten Internationale unddann des pablistischen "Vereinigten Sekretariats der 4. Internationale". Seine "Marxistische Wirtschaftslehre" fand in der BRD im Zusammenhang mit der Studentenbewegung der 60er/70er Jahre große Verbreitung. Das VS war hier repräsentiert durch die GIM, die sich dann mit der maoistischen KPD-ML zur VSP zusammenschloß, bevor sie teilweise unter dem Namen RSB wieder auftauchte. Rückkehr

(4) d.h. die ‘Diktatur des Proletariats’ Rückkehr

(5) auf Deutsch: Cliff,T.: Staatskapitalismus in Rußland - eine marxistische Analyse. Frankfurt 1974 Rückkehr

(6) ausführlicher dazu s. Socialist Voice No. 5, Fall 1977 (RMC into SWP: A Bukharinist Theory of State Capitalism) Rückkehr

(7) Naheres s. Socialist Voice No. 3 Rückkehr

(8) Michel Pablo war nach dem Krieg Sekretär des Internationalen Sekretariats der 4. Internationale und zusammen mit E. Mandel der Haupttheoretiker verschiedener rechtsopportunistischer Tendenzen innerhalb des "orthodoxen" Trotzkismus. Rückkehr