Antinationaler Defaitmismus vs. Marxismus: Eine E-Mail-Diskussion über Palästina, Zionismus und Antisemitismus

Im Februar fand eine Diskussion per e-mail zwischen A.Holberg (KOVI-BRD) und einem Freund (F.) aus dem sogenannten ‚antinationalen’ Lager über einen Artikel statt, der kurz zuvor in einem der Organe des ‚antinationalen’ Radikalismus, der Wochenzeitung ‚Jungle World’ erschienen war. [“Geschichte wird ethnisiert. Nicht nur die deutschen Unterstützer der Palästinenser, auch einige Freunde Israels sind dem Furor teutonicus verfallen” von Christian Stock aus der Jungle World Nr. 6/2001 vom 31.1.2001.] Wir veröffentlichen diese Diskussion, weil wir es für die Zukunft der Linken in Deutschland für wichtig halten, den ‚antinationalen’ Radikalismus auch in seiner hier präsentierten gemäßigten Form zurückzuweisen, bevor es seinen Hauptprotagonisten etwa um die Zeitschrift ‚Konkret’ gelungen ist, den ihm bei der Masse seiner Anhänger zugrunde liegenden moralischen Impetus zu instrumentalisieren und diesen Teil der Linken vollends ins Lager des Imperialismus hinüberzuziehen. Nachfolgend veröffentlichen wir eine überarbeitete Version der Diskussion.

JW: Die Freunde der palästinensischen Nation...

AH: Hier fängt schon die Manipulation in der Begrifflichkeit an. Es gibt in der Tat auch die Möglichkeit (und Notwendigkeit!), sich auf Seiten der Palästinenser in dieser Angelegenheit zu stellen, ohne ein positives Verhältnis zu ihrer (oder irgendeiner anderen) Nationalstaatlichkeit zu entwickeln. Es genügt, nicht die Tatsache zu ignorieren, daß hier Menschen seit ewiger Zeit gelebt haben, die durch das jüdisch-nationalistische Projekt (hier gleichzeitig als Speerspitze der imperialistischen Herrschaft über die Region) schuldlos um ihr Leben, ihr Eigentum, ihre Heimat, ihre ökonomische Basis und ihre Rechte als im umfassenden Sinn zumindest in ihrer Heimat gleichberechtigte Menschen gebracht worden sind und weiterhin gebracht werden.
F: Hier fängt vielmehr schon ein grundsätzliches Problem deines Umgangs mit Begrifflichkeiten an. Du solltest bei deiner Analyse die Zielgruppe des jeweiligen Textes berücksichtigen. Es ist hier zwar nicht der Raum, ausführlich auf den LeserInnen-Kreis der Jungle World einzugehen. Bezugspunkt ist aber allemal weniger das Spektrum trotzkistischer Gruppen, sondern vor allem das der Antiimps und Autonomen der achtziger Jahre. Dass es eine Möglichkeit gibt, sich auf die Seite “der” PalästinenserInnen zu stellen, ohne ein positives Verhältnis zur Nationalstaatlichkeit im Allgemeinen oder Besonderen zu entwickeln, mag sogar sein. Besagte Zielgruppe hat das jedoch nicht getan und tut es auch heute nicht. Insofern halte ich den Beginn des Aufsatzes noch nicht einmal für polemisch überspitzt. Vielmehr wirft der Verfasser der angesprochenen Gruppe völlig zu Recht gleich zu Beginn vor, in Vergangenheit wie Gegenwart nie ohne eine positive Bezugnahme auf die Kategorie “Nation” ausgekommen zu sein...
AH: Die Beachtung des Zielpublikums ist zwar wichtig, darf aber nicht dazu führen, die Realität zu verbiegen.

F: ...Du magst darüber hinaus reichlich verschlagwortete Begriffe wie “jüdisch-nationalistische[s] Projekt” oder “Speerspitze der imperialistischen Herrschaft über die Region” für treffend und kennzeichnend halten. Ich halte sie vor allem für Worthülsen, die mindestens einer Erklärung bedürfen, ansonsten aber der sozialen und politischen Realität nicht gerecht werden...

AH: Ich muß gestehen, dass ich mich hier auch des offenkundigen Fehlers schuldig gemacht habe, mir vorweg mein Zielpublikum vorzustellen. Ich bin davon ausgegangen, dass Du mit dieser traditionellen marxistischen Begrifflichkeit keine Probleme hat. Hier also die fehlenden Erklärungen: Der Zionismus ist parallel zu anderen bürgerlichen Nationalbewegungen entstanden und geht von der Existenz eines jüdischen Volkes aus (die Zionisten selbst waren überwiegend ausgesprochen antireligiös) und von der Notwendigkeit, dieses in einem nationalen Staat zusammenzuführen. Zur ‚imperialistischen Herrschaft über die Region und die Rolle Israels’ kann ich nur sagen, lies Geschichtsbücher. Ich habe Dich bereits auf die Unterstützung zionistischer bewaffneter Kräfte für die britische Kolonialmacht bei der Bekämpfung arabischer antikolonialer Aufstände hingewiesen. Für die Zeit nach Gründung Israels empfehle ich, u.a. Livia Rokach: ‚Israels Heiliger Terror - Eine Studie auf der Basis von Moshe Sharetts Persönlichem Tagebuch’, mit Einführung von Noam Chomsky. (Pfungstatt 1982) Was dort steht, ist im übrigen auch in einer Vielzahl sonstiger Biographien anderer zionistischer Führer wie Moshe Dayan bestätigt worden. Es ist klar: Israel ist kein Agent des Imperialismus, sondern die Interessen beider decken sich, wenn auch nicht immer und in jeder Hinsicht. Sie decken sich, weil der Imperialismus an der Beherrschung der Region aus ökonomischen und militärstrategischen Interessen interessiert ist und damit strukturell der Emanzipationsbewegung der arabischen Massen entgegensteht, und weil Israel aus eigenen Gründen die Emanzipation der arabischen Massen ebenfalls fürchtet. Eines der vielen Beispiele für die Rolle, die Israel in dieser Hinsicht spielt, ist seine Zusammenarbeit mit der haschemitischen Monarchie im benachbarten Jordanien, bei der Staatsgründung mit König Abdullah und später seinem Sohn Hussein. Jüngst wurde in britischen Geheimdienstarchiven ein Dokument entdeckt, laut welchem König Hussein 1970 die israelische Regierung um Beistand gegen die palästinensische Nationalbewegung ersuchte und um den Einsatz der israelischen Luftwaffe bat. Das war zwar in diesem Fall nicht nötig, zeigt aber deutlich, wo die wahren Fronten verlaufen.

F: ...Die Gründung des Staates Israel erfolgte seitens der dieses Projekt unterstützenden Mächte natürlich nicht aus purer Menschenfreundlichkeit. Nichtsdestotrotz war sie auch eine Konsequenz aus der Shoah, und das sollte bei aller berechtigten Kritik an den USA und den ZionistInnen nicht vergessen werden - es sei denn, man wäre der Meinung, Letztere hätten auf den eliminatorischen Antisemitismus der Nazis geradezu gewartet, um eine Legitimation für ihre Staatsgründung zu haben. Diese These wird hoffentlich von keinem/keiner Linken ernsthaft vertreten...

AH: Die Zionisten haben ganz sicher nicht den Holocaust begrüßt, um endlich Israel gründen zu können. Sie haben aber (zumindest ihr rechter und letztlich ausschlaggebender Flügel - die Arbeitspartei gehört in diesem Sinn auch zum rechten Flügel) stets den Antisemitismus als eine Angelegenheit angesehen, die es nicht zu bekämpfen gilt, sondern, der es mit Hilfe der Antisemiten auszuweichen gilt. Sie haben deswegen durchaus auch mit den Nazis zusammengearbeitet, solange sie dachten, deren Ziel bestehe ‚lediglich’ darin, die Juden aus Deutschland zu entfernen. Der Zionismus ist ja ursprünglich nicht primär Reaktion auf den Antisemitismus in Westeuropa einschließlich Deutschlands, sondern auf den durch permanente Pogrome gekennzeichneten im ‚Rayon’ Ostpolens bzw. des Zarenreiches.

F: ...Natürlich wurde die israelische Staatsgründung etwa seitens der USA auch benutzt, um einen zuverlässigen Bündnispartner für die Durchsetzung eigener Interessen in der Region zu haben - aber eben nicht nur. Für Jüdinnen und Juden war sie die schiere Notwendigkeit angesichts der Tatsache, dass es eben keine weltweite Revolution gab, die ihnen ein Leben ohne Verfolgung ermöglicht hätte.

Meiner Meinung nach hat man das wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Das rechtfertigt zwar nicht die Landnahme, zeigt aber zumindest ein Dilemma auf - oder hätte es doch besser Madagaskar sein sollen? Deine Ansicht hat natürlich insofern etwas für sich, als die gewaltsame Ausweisung der eingeborenen Bevölkerung von Linken grundsätzlich nicht befürwortet werden kann. Andererseits klingt deine Argumentation doch arg nach der volkstümelnden “Scholle", auf der sich die Unterdrückten befinden. Nationalstaaten sind Konstrukte, und Grenzziehungen sind es auch; das ist eines der Prinzipien bürgerlicher Herrschaft. Das rechtfertigt keine Vertreibung, sollte aber auch nicht ein nach ethnologischen Kriterien sortiertes Recht auf angestammten Landbesitz begründen...

AH: Der Grund, weshalb unterdrückte Juden Zionisten werden und der objektive Charakter einerseits des zionistischen Projektes und andererseits der Interessen von anderen Staaten, die nicht selten ihren mehr oder weniger latenten Antisemitismus durch die Kontingentierung jüdischer Flüchtlinge und Überlebender des Holocausts unter Beweis gestellt haben, obwohl sie für deren Aufnahme ungleich günstigere Voraussetzungen hatten als Palästina, sind zwei verschiedene Dinge. Es gibt auch verstehbare Gründe für den ‚eliminatorischen’ Antisemitismus in Osteuropa, dennoch ist er abzulehnen. Madagaskar wäre übrigens auch schlecht gewesen, weil dort Madegassen lebten und nicht enteignet und vertrieben werden wollten. Daß die Imperialisten (vor dem 2. Weltkrieg in erster Linie die britischen, dann primär die USA) die Gründung Israels in Palästina unterstützt haben, hat an erster Stelle mit dessen geographischer Lage im erdölreichsten Gebiet der Welt zu tun.

Du erkennst mit einem Satz an, dass mein Hinweis auf die Inakzeptanz der Vertreibung der einheimischen (palästinensischen) Bevölkerung etwas für sich habe. Deine ganze folgende Argumentation zielt jedoch darauf ab, die Konsequenzen daraus nicht ziehen zu müssen. Meine Argumentation hat nicht mit ‚volkstümelnder Scholle’ zu tun, soweit es sich hier um eine Abstraktion und Ideologie handelt (wenn es eine diesbezügliche Tendenz gibt, dann auf Seiten der religiösen oder zionistischen Juden, die glauben, in ihre (vermeintliche) Heimat nach 2.000 Jahren zurückkehren zu müssen. Die Vertreibung der Palästinenser (überwiegend Bauern) bedeutet in erster Linie ihre politische Entrechtung als nunmehr Staatenlose und ein sie ins wirtschaftliche, kulturelle und psychische Elend Stürzen).

F: Notwendig ist - ich denke, da sind wir uns ausnahmsweise einmal einig - das Zusammenleben von Israelis und PalästinenserInnen. Das wurde im Zuge von 1948 ganz sicher nicht erleichtert - aber einfach so zu tun, als ob die Shoah dabei keine Rolle gespielt hätte, greift mir doch zu kurz.

AH: Um es noch mal zu wiederholen. Ich bin mir der psychischen/ideologischen Komponente der Shoah und des europäisch/christlichen Antisemitismus für den Zionismus und die Entstehung Israels durchaus bewusst. Und: ich bin auch für das Zusammenleben von Palästinensern und Juden in Palästina (das ursprüngliche Programm der PLO hat das im übrigen trotz der Erfahrungen mit der Unterdrückung durch ‚die Juden’ stets bekräftigt - ein laizistischer demokratischer Staat aller dort Lebenden. Es war der Zionismus/Israel, oder zumindest seine Logik, der das von Anfang an nicht akzeptierte, sondern einen jüdischen Apartheidsstaat anstrebte und schließlich errichtete.

JW: ...haben während der letzten Monate an der deutschen Debatte über die Al-Aqsa-Intifada bemängelt, dass die Solidarität mit den Palästinensern ausbleibe. Der in Deutschland lebende palästinensische Journalist Abed Othman erklärte: “Die Deutschen wollen ihre schmutzigen Hände mit unserem Blut waschen.” Die Angst vorm Vorwurf des Antisemitismus hindere die Deutschen an der Kritik an Israel. Doch mit dieser Interpretation liegt Othman vollkommen falsch. Denn israelfeindliche Töne sind allenthalben zu vernehmen.

AH: Auch das kann man nur behaupten, wenn man als prozionistischer Ultra eine kritische Haltung zur zionistischen Praxis zu einer israelfeindlichen umbiegt. Eine israelfeindliche Haltung gibt es in der bürgerlichen deutschen Presse nicht, denn sie würde beinhalten, das Existenzrecht Israels als eines kolonialen Siedlerstaates abzulehnen - eine Position, die z.B. die KOVI vertritt -, doch dazu an anderer Stelle mehr.
F: ...Dass du keine israelfeindlichen Töne vernommen haben willst, wundert mich jedenfalls sehr. Natürlich bestreitet die bürgerliche deutsche Presse nicht offen das Existenzrecht Israels. Ich hätte an des Autors Stelle statt “israelfeindlich” auch eher “antisemitisch” geschrieben, dann hätte seine Behauptung nämlich rundweg ins Schwarze getroffen. Da ich als Leser diese beiden Termini im konkreten Fall aber als Synonym gelesen habe, kann ich dem Verfasser nur Recht geben.

Nebenbei: Von der bürgerlichen Presse zu verlangen, dass sie Israel als einen “kolonialen Siedlerstaat” ablehnt, geht mir doch arg an der Realität vorbei. Warum sollte sie auch? Das entsprechende Instrumentarium hat sie ja zwangsläufig gar nicht zur Verfügung...

AH: Wieso? Die bürgerliche Presse ist durchaus in der Lage, von Siedlerkolonialismus etwa im Fall Algeriens oder Südafrikas zu sprechen. Der Begriff ist ihr also - anders als etwa der der Ausbeutung im marxistischen Sinn - durchaus geläufig. Die bürgerliche Presse kritisiert Israel in dem Maße, wie sie befürchtet, dass dessen ‚Übertreibungen’ den Interessen des Westens in der Region schaden.

F: ...Und dass du deinerseits nicht darauf gekommen bist, den zugegebenermaßen unglücklichen Begriff “israelfeindlich” durch “antisemitisch” zu synonymisieren, lässt mich nur schlussfolgern, dass du an solcherlei Transferleistung - die du erbringen könntest - nicht interessiert bist.

AH: Diese Transferleistung zu erbringen, bin ich durchaus in der Lage. Und da ich beides nicht als Synonym verwende, sage ich, dass sich eine grundsätzlich (bei allen Kritiken im Einzelnen) prozionistische Haltung auf Seiten bürgerlicher (im politischen nicht sozioökonomischen Sinn) Kräften durchaus mit Antisemitismus decken kann. - und umgekehrt, dass man nämlich als Anhänger des proletarischen Internationalismus nur wirklich den Antisemitismus bekämpfen kann, wenn man auch den Zionismus als eine zwar begreifliche, aber falsche Lösung des Problems des Antisemitismus bekämpft.

JW: Sie fallen nur subtiler aus als während der ersten Intifada von 1987 bis 1991, als noch zum Boykott Israels aufgerufen wurde und Bilder israelischer Soldaten mit Hakenkreuzen bemalt wurden.

AH: Darüber haben wir ja schon geredet. Das ist natürlich insofern Mist, weil es die ganz normale Barbarei auch des 'demokratischen' Kolonialismus mit dem Faschismus identifiziert als sei die normale Kolonialbarbarei noch nicht ausreichend, um gegen sie zu sein.
F: Also scheinst du doch verstanden zu haben, welche Zielgruppe die Jungle World bedient.

JW: Heute hingegen schrecken manche Soligruppen nicht davor zurück, die NS-Vernichtungspolitik als Begründung heranzuziehen, um die Nachkommen der Opfer zur Ordnung zu rufen. So schrieb beispielsweise der Verein Flüchtlingskinder im Libanon e.V. an die israelische Botschaft in Berlin: “Wir können und wollen nicht länger schweigen. Gerade auch aus unserer deutschen Verantwortung für die nationalsozialistischen Verbrechen heraus glauben wir, die Politik Israels gegenüber dem palästinensischen Volk nicht länger tolerieren zu dürfen.”

AH: Dieses Argument des Autors verstehe ich nicht. Ist es nicht in der Tat so, daß die Lehre aus dem faschistischen Rassismus die sein sollte, daß wir gegen jeglichen Rassismus und jegliche Unterdrückung antreten, also natürlich auch die seitens der Opfer des europäischen Antisemitismus? - wie wir natürlich auch alle Tendenzen ablehnen müßten, 'die Juden' ins Meer zu werfen, wenn es dabei nicht nur darum geht, die Juden 'ins Meer' zu werfen, die sich keine andere Perspektive vorstellen können als 'die Araber' in die Wüste zu treiben.
F: Erzähl mir bitte nicht, dass du das wirklich nicht verstanden hast. Hier geht es ganz klar um eine Relativierung der Shoah, und das weißt du auch. Dein Verweis darauf, “gegen jeglichen Rassismus und jegliche Unterdrückung” antreten zu sollen, hat viel Understatement und wenig Substanz. Natürlich sind wir gegen jede Form des Rassismus und der Unterdrückung. Aber sich hinzustellen und aus den NS-Verbrechen abzuleiten, “die Politik Israels gegenüber dem palästinensischen Volk nicht länger [zu] tolerieren", klingt arg nach Joseph Fischer, der bekanntlich den Krieg gegen Jugoslawien mit “den Lehren aus Auschwitz” rechtfertigte...
AH: Lieber F, das ist Demagogie. 1. Der faschistische Rassismus richtete sich nicht nur gegen die Juden, sondern z.B. auch gegen die Zigeuner, und die Nazis wären sicher auch mit einer relevanten schwarzen Bevölkerung hier nicht viel anders verfahren. Damit leugne ich keineswegs, dass der Antisemitismus spezielle Implikationen hat, das hat aber jeder. Alle historischen Ereignisse sind gewissermaßen singulär. Im übrigen lehne ich jede imperialistische Intervention ab, also in Jugoslawien ebenso wie in Israel. Aber die von Dir unter dem Strich vertretene Position „’Wir’ haben die Juden vergast, darum darf Israel mit den Palästinensern (und anderen Arabern) machen, was es will“, lehne ich ebenso ab.

F: ...Eine Kritik an Israel - und das sage ich ohne jede Konzessionsbereitschaft - hat definitiv ohne jede Bezugnahme auf den deutschen Faschismus auszukommen. Das ist hier nicht der Fall, und deshalb halte ich die Argumentation für hanebüchen, wenn nicht gar revisionistisch. Der Verweis darauf, dass es Israelis gibt, die “die Araber in die Wüste” treiben wollen, mag zwar seine Berechtigung haben, aber ganz bestimmt nicht an dieser Stelle, denn er trägt - gewollt oder nicht - zur Relativierung der Shoah bei...

AH: Okay. Ich erkenne die Singularität der Shoah nicht an, und sehe auch nicht, wieso das nötig wäre, um konsequent gegen den Rassismus und damit den Antisemitismus zu sein. Vielmehr denke ich, dass die Privilegierung der Juden (und sei es als Opfer) den Antisemitismus fördert.

F: ...Die Konzession, dass es AraberInnen gibt, die “die Juden ins Meer treiben” wollen, kommt mir hier extrem taktisch vor.

AH: Er ist auf jeden Fall nicht mehr taktisch als Deine Ablehnung der kolonialen Unterdrückung der Palästinenser.

JW: Der zur Al-Aqsa-Initifada reaktivierte Antizionismus eines leider nicht ganz unbedeutenden Teils der deutschen Linken verdient ohne Zweifel jene scharfe Kritik, wie sie Justus Wertmüller in der vergangenen Woche an dieser Stelle geäußert hat....

Ebenso berechtigt ist die Rede vom islamischen bzw. palästinensischen Antisemitismus und seiner Tradition, die von den antiimperialistischen Freunden der Intifada immer empört zurückgewiesen wird. Schon lange vor der Teilung Palästinas im Jahr 1948 gab es im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika Vertreibungen und Diskriminierungen von Juden, deren Ausmaß von der Missgunst oder dem Wohlwollen des jeweils zuständigen Imam oder Kalifen abhing....

Spätestens als der europäische und insbesondere der deutsche Antisemitismus im 20. Jahrhundert seinen Schatten auf die arabischen Länder warf, transformierte sich auch dort der Judenhass zum modernen Antisemitismus. In Ägypten kam es während des NS wiederholt zu Pogromen gegen jüdische Gemeinden, die Tausende das Leben kosteten. Nach 1948 wurde in vielen Fällen jüdisches Eigentum konfisziert, was die Flucht von über 20.000 Juden nach Israel zur Folge hatte. Der panarabische Nationalist Gamal Abdel Nasser verschärfte diesen Prozess noch, so dass ab 1970 die jüdische Bevölkerung nur noch wenige Hundert Personen zählte. Aus seiner Bewunderung für den Nationalsozialismus machte Nasser kein Hehl, als er 1964 erklärte: “Unsere Sympathie war mit den Deutschen.”

AH: Das scheinen mir Interpretationen von Begriffen zu sein auf der Basis der europäischen Gegebenheiten, und die arabischen völlig ignorierend. Der Punkt ist m.E. der, daß es bis zur Entwicklung des europäischen Nationalismus auch keinen arabischen gab, sondern daß sich die Menschen der Region wesentlich nach ihrer Religion definierten. Die Juden wie die Christen waren im islamischen Staat sogenannte 'Schutzbefohlene' (Dhimmis), die sich selbst verwalten konnten, aber natürlich im islamischen Staat letztlich als Bürger nicht gleichberechtigt waren. Sie wurden aber wie etwa die Christen im Libanon, in Syrien oder in Palästina oder im Jemen als Araber angesehen (im irakischen Kurdistan übrigens als Kurden), weil sie bis auf die Religion kulturell und sprachlich eben solche waren (so wie die deutschen Juden für alle Nicht-Antisemiten eben jüdische Deutsche sind).

Natürlich hat die Tatsache ihrer fehlenden Gleichberechtigung dazu beigetragen, daß sie - wie im übrigen beispielsweise auch die maronitischen Christen im Libanon - eine Tendenz entwickelten, sich politisch und kulturell an die (nicht-muslimischen) Kolonialherren anzulehnen. (s. dazu Raphael Shapiro: ‚The Oriental Jews in Zionism’s Dialectical Contradictions’. in: ‚Khamsin’ 5, London 1978 und Ägypten betreffend Ya’acoub Daoud Eskandarany: Egyptian Jewry - why it declined. ebenda, in dem er auf den Unterschied zwischen den ländlichen jüdischen Gemeinschaften, die offensichtlich seit es Juden in Ägypten gibt - also seit mindestens 2500 Jahren - als solche niemals verfolgt wurden, und den städtischen Gemeinschaften, deren Los im Laufe der Geschichte unterschiedlich, wenngleich nie mit dem in Europa vergleichbar war, und die sich nach Beginn der europäischen Kolonialexpansion in wesentlichen Teilen den Kolonialherren angeschlossen hatten) Das machte sie natürlich den muslimischen Mehrheiten, die sich gegen die Kolonialmächte erhoben und diesem Zusammenhang das bereits in der Gegnerschaft zur osmanischen Herrschaft entstandene arabisches Nationalbewußtsein weiter entwickelten, nicht eben sympathisch. Für Palästina gilt Folgendes: In ‚Konkret’ 9/2000 schreibt Karl Selent unter dem Titel ’Arafats va banque’ zur Bekräftigung der These vom ewigen Antisemismus bei den (semitischen) Arabern, dass 1928/29 die Juden Hebrons, die seit alters her hier gelebt hatten und auf Grund ihrer Religiosität den Zionismus abgelehnt hatten, von Arabern ermordet und vertrieben worden seien. Perverserweise dient ihm das zur Rechtfertigung der heutigen Präsenz von antiarabischem Rassismus geprägten zionistischen Siedlern dort, die überwiegend erst nach der Gründung Israels eingewandert sind. Die Tatsache des antijüdischen Pogroms von 1928/29 allerdings ist unbestreitbar. Es gibt auch keine Rechtfertigung, aber eine Erklärung. Dieses Pogrom ist offensichtlich nicht Ergebnis eines seit je herbestehenden antijüdischen Rassismus/Chauvinismus gewesen, sondern 1. Ergebnis der zionistischen Landnahme und 2. Ergebnis der mangelnden Fähigkeit der oft analphabetischen palästinensischen Massen, zwischen Juden und Zionisten zu unterscheiden. Sie wurden nicht Opfer des Pogroms, weil die Pogromisten alle Zionisten ablehnten, weil diese Juden waren, sondern umgekehrt, weil sie der zionistischen Propaganda glaubten, dass alle Juden Unterstützer des Zionismus seien. Über die Entwicklung der Position der palästinensischen Arbeiter schreibt Ali al-Hashshash: „Zunächst versuchten sie Anfang der zwanziger Jahre, auf der Basis des internationalistischen proletarischen Kampfes eine gemeinsame organisatorische Form mit den eingewanderten jüdischen Arbeitern zu finden. Sie schlossen sich der bereits in Haifa existierenden Eisenbahnergewerkschaft an. Nach etwa 18 Monaten stellten die palästinensischen Mitglieder fest, dass diese Gewerkschaft ein Teil der zionistischen Histradut ist; deshalb traten sie aus und gründeten 1923 eine ‚Wohltatsgesellschaft’....“ (‚Der palästinensische Volksaufstand...’ unveröf. Magisterarbeit, Marburg 1989, S.63) Alexander Flores (Nationalismus und Sozialismus im arabischen Osten - Kommunistische Partei und arabische Nationalbewegung in Palästina 1919-1948. Münster 1980) zitiert z.B. eine Resolution palästinensischer Notabler von 1919, in der es heißt: „Wir lehnen die Einwanderung der Zionisten ab und protestieren mit allem Nachdruck gegen ihre Ansprüche auf Palästina. Die einheimischen Juden, die vor dem Krieg im Land waren, betrachten wir als Mitbürger mit den gleichen Rechten und Pflichten wie wir selbst“ (S.178) Flores weist allerdings darauf hin, dass die Begriffe ‚Zionist’ und ‚Jude’ schon früh synonym gebraucht worden seien und die Unterscheidung gänzlich indem Maße aufgegeben worden sei, wie es den Zionisten gelungen sei, die palästinensischen Juden in ihr Projekt miteinzubeziehen. Nathan Weinstock bezeichnete das Verschwinden dieser Unterscheidung zu Recht als einen “schrecklichen Sieg des Zionismus“ In Palästina ist also der ‚Antijudaismus’ nicht der Grund für den Zionismus, sondern umgekehrt. Mit der zionistischen Kolonisation in Palästina, durch die zunächst in Kollaboration mit den Osmanen und sodann den britischen Kolonialherrn die Palästinenser in wachsendem Maße ihres Landes enteignet wurden und durch die aktive Beteiligung zionistischer bewaffneter Kräfte an der Niederschlagung antikolonialer Erhebungen der arabischen Bevölkerung nahm diese Feindschaft selbstredend weiter zu. Dennoch genügten diese Animositäten selbst zum Zeitpunkt der Gründung Israels nicht, um die jüdische Bevölkerung in wichtigen arabischen Ländern wie dem Irak oder Ägypten dazu zu bringen, von sich aus nach Israel auszuwandern. Dazu bedurfte es einer gemeinsamen Kampagne zionistischer Agenten und arabischer Reaktionäre. Die Herren von ’Konkret’ und ‚Jungle World’ mögen davon nichts wissen (wollen), aber in Israel ist es längst bekannt, daß es dazu erst der Bombenanschläge zionistischer Agenten auf jüdische Zentren in Bagdad, Kairo und anderswo bedurfte, die natürlich von diesen propagandistisch arabischen Nationalisten zugeschrieben wurden, um in den jeweiligen jüdischen Gemeinden das Maß an Ausreisewillen zu erzeugen, daß Israel brauchte, um genügend Siedler für sein Expansionsprojekt in Palästina zusammenzubekommen. Soweit es einen eher ‚völkischen’ Antijudaismus gab, bewegte sich dieser auf gleicher Ebene wie die Vorurteile gegen andere (auch muslimische) Minderheiten (etwa Kurden, Turkmenen, oder im Iran auch Azerbaidjaner, Belutschen, Araber)

Was nun die 'prodeutschen Sympathien' in der arabischen Welt der damaligen Zeit betrifft, so handelte es sich eben in erster Linie um 'prodeutsche' und keineswegs um profaschistische. Die Deutschen waren nun mal keine Kolonialmacht in der arabischen Welt gewesen, sondern hatten sich schon zu Kaiserzeiten (aus dem durchaus durchsichtigen Grund der innerimperialistischen Konkurrenz) immer besonders um die Araber bemüht, die von den Kriegsgegnern Deutschlands (gleich, wer in Deutschland gerade regierte) unterdrückt wurde. Andererseits ist es allerdings ein Fakt, dass die wirkliche Haltung des deutschen Faschismus alles andere als proarabisch war und ein Teil der zionistischen Siedler in Palästina nicht nur nach 1933 in Deutschland eine militärische Ausbildung erhalten hatte, sondern dass auch der Aufbau der Siedlungen materiell vom Deutschen Reich unterstützt wurde.

F: So, wie Wertmüller gerne verschweigt, dass es nicht ausschließlich die jeweiligen arabischen Regime waren, die Jüdinnen und Juden vertrieben haben und dabei den sozialen und politischen Background unterschlägt (gemeint ist hier vor allem die von dir erwähnte Tendenz der entsprechenden Jüdinnen und Juden, sich an die Kolonialherren anzulehnen und darüber hinaus die Bestrebungen, ausreiseunwillige Jüdinnen und Juden notfalls mit den von dir skizzierten Mitteln zur Ausreise zu bewegen), so beschönigst du mir eben den Anteil, den der arabische Antisemitismus an der Vertreibung der Jüdinnen und Juden hatte. Dem steht durchaus nicht entgegen, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem deutschen Vernichtungsantisemitismus und dem arabischen Vertreibungsantisemitismus.

Stark verharmlosend scheint mir auch deine Behauptung zu sein, in den prodeutschen Sympathien der arabischen Welt vor allem 'prodeutsche' und nicht 'profaschistische' sehen zu können. In der Tat könnte man auf den ersten Blick etwa Nassers Äußerung so interpretieren. Aber eben nur auf den ersten Blick. Gerade hast du noch kritisiert, dass Jüdinnen und Juden die Tendenz gezeigt hätten, sich an die Kolonialherren anzulehnen. Wenn sich arabische Staaten nun an Deutschland anlehnen, findest du plötzlich Verständnis dafür - schließlich sei Deutschland ja “nun mal keine Kolonialmacht in der arabischen Welt gewesen” und habe sich “schon zu Kaiserzeiten ... immer besonders um die Araber bemüht". Deine Konzession, dass die Gründe dafür durchsichtig seien, trifft zwar natürlich zu. Andersherum kann man das gleiche Verständnis allerdings auch für Jüdinnen und Juden aufbringen, die BündnispartnerInnen in Mächten gesucht haben, die ihnen - übrigens natürlich ebenfalls aus durchsichtigen Gründen - besser gesonnen waren...

AH: 1. Die traditionelle Unterdrückung der Juden in der islamischen Welt muß kritisiert werde, und zwar, obwohl sie in ihrer Härte offensichtlich bei weitem nicht mit der ihrer Unterdrückung im christlichen Abendland zu vergleichen war. 2. Die Unterdrückung der Juden in der arabischen Welt in diesem Jahrhundert war in erster Linie Reaktion auf den Zionismus, ist aber trotzdem abzulehnen, weil sie tendenziell Judentum und Zionismus gleichsetzte und diesen damit stärkte. Wenn arabischerseits das Deutsche Reich als potentieller Verbündeter gesehen wurde, dann ist das vom Standpunkt des Antiimperialismus und mehr noch der proletarischen Revolution (ein Begriff, den ich Dir an dieser Stelle nicht näher definieren kann und will) ebenso abzulehnen wie die entsprechende Politik der Zionisten. Für bürgerliche Kräfte hingegen ist beides ganz normal. Die Frage ist nur die, ob ‚Linke’ eine solche Politik im einen Fall ablehnen und im anderen akzeptieren sollten, oder ob sie sie in beiden Fällen ablehnen sollten. Hinzu kommt, dass real Israel seit seinem Bestehen gegen alle Versuche (realistische oder auch, weil bürgerlich, utopische), die arabische Welt von der Herrschaft des Imperialismus zu befreien, gestanden hat. Die angeblichen Sympathien arabischer Nationalisten (einiger!) für Hitler-Deutschland spielten dabei längst keine Rolle mehr (höchstens zur Rechtfertigung).

Was natürlich immer richtig ist, ist folgendes: Alle (klein)bürgerlichen nationalistischen Tendenzen haben strukturelle Ähnlichkeiten mit dem deutschen Faschismus, darunter natürlich nicht nur der arabische Sozialismus in Form des Nasserismus und des Baathismus, sondern auch wesentliche Teile des Zionismus: Leugnung des Klassenwiderspruchs als primär, damit verbunden Kritik am Kapitalismus in Hinblick auf den Distributionssektor statt die Produktion - “raffendes” vs. “schaffendes” Kapital. Das kann sich auch mit Antisemitismus verbinden. Daraus aber bereits generell 'Antisemitismus' zu machen, ist denn doch wirklich lachhaft - siehe der 'Antisemitismus' der EZLN, den seinerzeit die ‚’Gruppe Demontage’ im lakandonischen Regenwald in Mexiko ausgemacht hat... [Um diesen Diskussionsfaden weiterzulesen, klicken Sie hier.]

JW: In anderen Ländern erging es den Juden nicht viel besser. Ob in Algerien nach der Unabhängigkeit 1962, in Syrien oder im Jemen, antijüdische Gesetze und Pogrome erzwangen die Flucht der Juden nach Israel. Wegen dieses Zusammenspiels von islamischem Antisemitismus und NS-Vernichtungspolitik wurde der bereits vor 1933 legitime Wunsch von Juden nach einem staatlich verfassten Refugium zur unumgänglichen Notwendigkeit.

AH: Also: Die meisten Juden haben bis heute keinen Wunsch gezeigt, ihr Refugium ausgerechnet in Palästina zu suchen, und das nicht einmal, obwohl sie dort so enorm privilegiert sind. Im übrigen ist es interessant, daß die relativ zahlreiche jüdische Gemeinde Marokkos sich zu Beginn der 'Al Aqsa-Intifada' sehr stark an propalästinensischen Demonstrationen beteiligt hat. Angesichts des relativ guten Verhältnisses zwischen Marokko und Israel hätten diese längst die Gelegenheit gehabt (wie es ja auch viele getan haben) nach Israel zu emigrieren, wenn ihnen daran gelegen wäre.
F: Das ist kein Gegenargument. Es müssen nicht alle fliehen, damit die Feststellung des Verfassers Substanz bekommt. Er hat auch so Recht.
AH: Richtig ist, dass mein Gegenargument nicht ausreicht. Ob der Verfasser auch so recht hat, weiß ich nicht. Ich gehe davon aus, dass Du es auch nicht weißt, denn die Art und Weise Deiner Antworten zeigt, dass Du Dich an und für sich mit den historischen Fakten kaum beschäftigst und deswegen auf meine diesbezüglichen Argumente auch nie eingehst, indem Du meine Fakten bestreitest oder eigene dagegen hältst. Vielmehr bewegt sich Deine Argumentation durchgehend im ideologischen Rahmen.

An und für sich hat natürlich jeder das Recht, sich mit jedem zusammenzuschließen und hinzuziehen, wo er will - es sei denn, das ist nur möglich, wenn die bereits dort Lebenden, die eben dieses Recht nicht minder haben, dabei vertrieben werden (müssen) oder zumindest unterjocht werden (müssen). Genau das ist der Fall bei der zionistischen Bewegung.

Aus dem erstgenannten Grund ist die prozionistische 'Linke' hier überhaupt keine 'Linke', sondern eine Abteilung des europäischen Imperialismus, eine 'kolonialistische Linke' (umgelenkte Sozialchauvinisten)... [Um diesen Diskussionsfaden weiterzulesen, klicken Sie hier.]

JW: Nach 1948 wurde die Vertreibung eines Teils der palästinensischen Bevölkerung durch israelische Soldaten und Siedler, ein profaner Konflikt um Land und Ressourcen, einem geläufigen antisemitischen Denkmuster entsprechend zu einer Weltverschwörung der Juden und ihrer US-Freunde umgedeutet, deren Ziel die Unterminierung der arabischen Nation und des gesamten Islam sei. Dass der arabische Antisemitismus, gleich ob säkular oder religiös, den palästinensischen “Befreiungskampf” zu einem in der Wahl seiner Mittel nahezu rücksichtslosen Kampf gegen alles “Zionistische” und “Jüdische” hat werden lassen, wird von denen, die sich den Palästinensern solidarisch verpflichtet fühlen, gerne übersehen.

AH: Es ist eine Sauerei, die Vertreibung der Palästinenser, ihre tägliche Erniedrigung in Israel durch staatliche Maßnahmen, die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen etwa durch die Abholzung ihrer Olivengärten oder die Sprengung ihrer Häuser, kurz alle brutalen Kolonialmaßnahmen, denen sie ausgesetzt sind, vom Redaktionslehnstuhl im 'Dschungel' als einen “profanen Konflikt” abzutun. Dem Autor sollten mal zwei Jahre in einem Flüchtlingslager im Gaza-Streifen verschrieben werden. Es ist auch eine Lüge zu behaupten, der palästinensische Befreiungskampf (in Hinblick auf die nationale Unterdrückung: ohne Anführungszeichen) sei in seinem Mitteln rücksichtsloser als der zionistische Kampf um die Herrschaft über Palästina. Diejenigen, die sich nicht über die Unterdrückung erregen können, haben kein Recht, sich über die (in der Tat wie in jedem Krieg) oft bestialischen 'Mittel' aufzuregen.
F: Für die Betroffenen sind solche Konflikte nie profan. Eine Sauerei kann ich in dem Satz trotzdem nicht erkennen. Denn “profan” meint hier offensichtlich “üblich” im Sinne kapitalistischer Konkurrenzen. Darüber hinaus hat er mit seiner Feststellung, die Landnahme sei als “jüdische Weltverschwürung” und “Unterminierung des Islam” angesehen worden, nicht unrecht. Eine Kritik an der israelischen Politik hat jedoch nicht antisemitisch zu sein. Wenn sie es doch ist - und hier liegt für mich der eigentliche Fehler der Antideutschen -, heißt das natürlich noch lange nicht, dass dann sämtliche Maßnahmen des offiziellen Israel und seiner UnterstützerInnen in Ordnung sind oder gar eine Lösung darstellen (wie etwa Horst Pankow in der Bahamas befand; siehe unten).
AH: Die Gründung Israels ist natürlich eine Maßnahme im Rahmen der kapitalistischen Weltordnung gewesen, also auch Ergebnis der Konkurrenz. Aber bei der zionistischen Enteignung und Vertreibung der Palästinenser ging es nicht um das Ergebnis von Marktbeziehungen, sondern um außerökonomische Gewalt. Die ist natürlich auch im Kapitalismus üblich und steht ja sogar an seiner Wiege. Aber ich frage mich: Was hättest Du gesagt, wenn ich den Holocaust (den ich - ich wiederhole es sicherheitshalber - nicht mit der Vertreibung der Palästinenser vergleiche), der sicher auch wesentlich ein Mittel kapitalistischen Konkurrenz war, als ‚profanen’ Konflikt bezeichnet hätte?

JW: Als Randerscheinungen abgetan werden auch Prediger wie Ahmed Abu Halabiya, die die Gläubigen aufpeitschen: “Habt kein Mitleid mit den Juden, egal, wo ihr seid, in welchem Land auch immer. Bekämpft sie, wo immer ihr seid. Wo immer ihr sie trefft, tötet sie” (vgl. konkret, 12/00). Solche Morddrohungen und ihre Folgen kann man den deutschen Fürsprechern der palästinensischen Nation nicht oft genug vorhalten. Sie legen die Vermutung nahe, dass die antisemitische Hetze mit der Errichtung eines palästinensischen Staates keineswegs beendet wäre.

AH: Okay, dieses Zitat ist eine reaktionäre Sauerei. Aber stell Dir mal vor, Du - mit Deinem heutigen Bewußtsein - wärest seit Deiner Geburt Bewohner eines Flüchtlingslager, konfrontiert mit deutschfeindlichem Rassismus der Kolonialmacht X, und in Deinem Flüchtingslager säße irgendein Nazi, der rassistische Aufrufe verbreitet. Die 'Linke' außerhalb würde Dir daraufhin das Recht absprechen, Dich von der Kolonialmacht X mit den dazu notwendigen Mitteln zu befreien, um endlich aus dem Lager rauszukommen und als freier Mensch zu leben. Was würdest Du diesen 'Linken' sagen? Ich versichere Dir: Die Anhänger der von Dir hier unterstützten deutschen 'Linken' werden weder unter den Palästinensern noch bei irgendeinem national unterdrückten Volk auf der Welt linke Ansprechpartner finden, sondern höchstens unter denen, die seinerzeit in der französischen Kolonialzeit im Maghreb als 'Beni Oui Oui' (Der Jasager Stamm) bezeichnet wurden. Diese Linie sowohl in der Version Elsässer als auch der verschämteren des Autors ist imperialistisch bis auf die Knochen, und die Tatsache, daß es nicht langt, 'Antiimperialist' zu sein, um auch Linker zu sein, erlaubt es noch nicht, aus Proimperialisten Linke zu machen.
F: Dann stell du dir bitte vor, du seiest Jude (oder bist als solcher definiert worden) und seit deiner Geburt mindestens potenzieller Verfolgung und latenten Vernichtungsdrohungen ausgesetzt. Außerdem finde ich erneut deinen impliziten Vergleich (der, nebenbei bemerkt, stark hinkt) von Israelis mit Nazis daneben. Oder wie soll ich das sonst verstehen?... Der Nazi, der in meinem Flüchtlingslager sitzt, soll mir doch wohl vor Augen führen, wie es ist, als Palästinenser in einem Flüchtlingslager zu sein und mit Zionismus konfrontiert zu werden.
AH: Es geht doch eindeutig bei meinem o.a. Satz darum, dass in beiden Fällen zu den national Unterdrückten auch Reaktionäre gehören (können), dass deren Positionen aber nicht das Recht, sich von der Unterdrückung zu befreien, in Frage stellt. Ein vielleicht etwas für Dich akzeptableres Beispiel: In der BRD werden Türken verfolgt/unterdrückt. Die Linke solidarisiert sich mit den Opfern. Wird das Anstecken türkischer Häuser dadurch akzeptabler, dass nicht wenige Türken Anhänger der faschistischen MHP (graue Wölfe) sind und ihrerseits rassistische Vorteile gegen Kurden und Araber pflegen? Wir unterstützen die Türken nicht wegen ihrer reaktionären Gesinnung, sondern weil sie aus rassistischen und nicht etwa politischen Gründen angegriffen werden. Am nächsten Tag könnten wir uns vielleicht auf einer Demo von linken Kurden wiederfinden, die von faschistischen Türken angegriffen wird. Wir können dann entweder unsere Neutralität erklären und nach Hause gehen oder unsere kurdischen Bündnispartner gegen türkische Faschisten verteidigen, und ich denke, wir müssten das zweite tun und würden dadurch keine antitürkischen Rassisten.

JW: Die Debatte über die Al Aqsa-Intifada wäre aber keine deutsche, wenn nicht auch manche Widersacher der Israelfeinde dem Furor teutonicus verfielen. So wird die Anklage des arabisch-palästinensischen Antisemitismus von einigen Antideutschen mit Argumenten und Zuschreibungen vorgetragen, die nicht unwidersprochen bleiben können. Am weitesten vergaloppiert hat sich wohl der Bahamas-Redakteur Horst Pankow. Sah sich die Bahamas bislang bemüßigt, all jene, die das Singuläre von Auschwitz tatsächlich oder vermeintlich durch Vergleiche in Abrede stellten, scharf zu kritisieren, so geht Pankow umstandslos zur Gleichsetzung über. Oder wie sonst ist ein solcher Satz zu verstehen: “Ähnlich wie der nationalsozialistische Vernichtungs-Antisemitismus scheut auch dessen aktuelle palästinensische Variante kein persönliches Opfer (...)”? Abgesehen davon, ob solche Aussagen nicht auch als Relativierung des NS gelesen werden könnten, legt Pankow mit keinem Wort seine Kategorien offen, die ihn zu einer solchen Aussage bewegen.

Problematisch ist auch die antideutsche Neigung, die ethnisierende Propaganda panarabischer Nationalisten und Islamisten für gesellschaftliche Realität zu halten. Der Zusammenhalt des vermeintlich festgefügten arabisch-islamischen Kollektivs hat immer schnell ein Ende, wenn es nicht mehr um Ideologie, sondern um Verteilungsfragen geht. Viele der in Syrien, Jordanien oder anderen arabischen Staaten lebenden Palästinenser - und nicht nur jene, die ihr Dasein in Flüchtlingslagern fristen müssen -, sind ausgestoßen und als Staatenlose entrechtet. Die unreflektierte Rede von “arabischen Blutsbrüdern” und “völkischen Stämmen” (Antideutsche KommunistInnen Berlin), von den “unterwürfigen und leidensbereiten Moslems” (Jürgen Elsässer) birgt zudem die Gefahr, sich in die Nähe kolonialer Weltbilder zu begeben, die auch aus antideutscher Sicht nicht erwünscht sein kann. Weit übers Ziel hinaus schießt schließlich die Darstellung der Palästinenser als “zum unterschiedslosen Unmenschen gegen sich und den Feind herabgesunkenen Volksgenossen”, dem “die Leidenschaft des Mordens zur ständigen Gefühlsäußerung” gerät und dessen Gebaren nurmehr “Signum roboterhafter Gleichheit” (Wertmüller) sei.

AH: Es tut mir leid, aber unserem Autor sei gesagt, daß er versucht, die logischen Konsequenzen seiner eigenen prokolonialistischen Position zu umgehen. Elsässer & Co. haben zumindest den Vorteil, konsistent zu sein.
F: Wenn du meinst...

JW: Demgegenüber ist darauf zu beharren, dass die palästinensische Bevölkerung in vielen Fragen nicht das geschlossene nationale Kollektiv ist, zu dem es manche Antideutsche machen. An den innerpalästinensischen Konflikten anzusetzen, erscheint im Sinne einer umfassenden friedlichen Lösung erfolgversprechender, als militärische Gewalt gegen die Palästinenser zur einzig möglichen Handlungsoption Israels zu erklären.

AH: Wenn ich richtig verstehe, ist es dem Autor darum zu tun, das Ziel, daß er mir Elsässer, Wertmüller und Sharon gemeinsam hat, auf eine andere Art durchzusetzen, nämlich statt durch frontale Konfrontation durch eine Politik der Schwächung der Unterdrückten durch Spaltung - ich gehe ja nicht davon aus, daß er die Palästinenser unterstützen will, die Arafat und die palästinensische Bourgeoisie wegen ihres weitgehenden Appeasements gegenüber Zionismus/Imperialismus angreifen.
F: Du bemerkst nicht, dass der Verfasser auf gewisse “Befindlichkeiten” in der deutschen Linken anspielt.
AH: Solche ‚Befindlichkeiten’ sind nicht mit einem opportunistischen Umgehen mit der Wahrheit zu bekämpfen.

Sonst könnte er sich auch mal Gedanken um die Frage der Einheit im jüdischen Staat machen. Wie wäre es damit, dort Ansprechpartner zu finden. Außer vielleicht beim liberal-zionistischen “Peace Now” gibt es keine. Wenn ich mich irren sollte, wäre ich sehr dankbar für Aufklärung.

F: Die gäbe es schon. Wir haben ja schon darüber gesprochen. Ich kann es auch nicht gutheißen, dass jede Bezugnahme auf die israelische Linke unterbleibt. Übrigens hat sich einer ihrer exponiertesten Vertreter, Moshe Zuckermann, auch zu der Thematik geäußert. Er ist vehement der Ansicht, dass auch deutsche Linke Israel kritisieren sollen, verbittet sich aber jeglichen Versuch des Missbrauchs durch selbige für die eigenen Projektionen. Ich finde, den Vorwurf kann man dir auch nicht ersparen.
AH: Die einzige Projektion, die ich sehen kann, ist die der ‚Antinationalen’, die aus dem europäischen Antisemitismus ihren wohlfeilen Prozionismus im Nahen Osten ableiten. Was projiziere ich? Willst Du behaupten, dass ich die Unterdrückung der Palästinenser durch Israel als Argument benutze, die Unterdrückung der Juden hier oder sonstwo zu rechtfertigen?

Ich möchte etwas provokativ sogar weitergehen: wenn ich den Begriff ‚Antisemitismus’ derart inflationär gebrauchen würde, wie die ‚antinationalen’ m.E. fast pathologischen ‚Antisemitistenjäger’, dann würde ich fragen, ob nicht der Prozionismus der ‚Antinationalen’, die im übrigen meines Wissens bezeichnenderweise in dieser Form nur unter Deutschen zu finden sind, im Tiefsten antisemitisch ist und zwar deshalb, weil er das ‚Problem der Juden’ möglichst weit von den Deutschen entfernt entsorgen will. Statt für das gemeinsame und gleichberechtigte Leben von Juden und Nichtjuden überall auf der Welt einzutreten, propagieren sie die globale Allgegenwärtigkeit des Antisemitismus, der nur durch die Existens Israels nicht bekämpft, aber umgangen werden könne. Im übrigen scheint mir da ein weiterer Widerspruch aufzubrechen: Wenn der Antisemitismus überall in der Welt existiert, dann war der Holocaust außer unter quantitativem Gesichtspunkt nicht singulär. Wenn er aber singulär war, dann gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Juden nicht auf die Dauer in Frieden unter Nichtjuden leben könnten, einen Schluß, den ja die meisten Juden ohnehin vor und nach dem Holocaust in der Praxis immer gezogen haben.

JW: Denn ob dem Interesse Israels damit gedient ist, dass man die israelischen Falken rechts überholt und wie Pankow apodiktisch verkündet, der “palästinensischen Vernichtungswut” könne sich der israelische Staat “nur durch äußerste Härte erwehren”, ist mehr als fraglich. Nicht nur bei den Rufen nach hartem Durchgreifen drängt sich die Vermutung auf, dass der Nahostkonflikt der deutschen Linken vor allem als Projektionsfläche für Ängste und Hoffnungen dient. Für die einen ist die Intifada ein sozialrevolutionärer Aufstand gegen den von Israel verkörperten Imperialismus.

AH: Das gilt heute bedauerlicherweise vom Bewußtsein der Beteiligten her gesehen, leider wohl kaum noch. Es ist ein nationaler Aufstand gegen eine Unterdrückung, die gleichzeitig national und für die Massen der Palästinenser natürlich auch sozial ist; denn es ist ja nicht so, daß es diesen an und für sich prächtig ginge und sie nur keine eigene Fahne aufziehen dürften, eher schon andersherum.

JW: Die anderen dämonisieren umgekehrt die Palästinenser und sehen in Israel einen Staat, der stellvertretend gegen die Barbarei bzw. gegen den Antisemitismus kämpft. Der Nahostkonflikt ist jedoch eine denkbar schlechte Arena für Auseinandersetzungen, die Deutsche besser in und über Deutschland zu führen hätten. Eine der wenigen praktischen Formen von Solidarität, die deutsche Linke ausüben könnten, wäre es daher, den kritischen Stimmen auf beiden Seiten mehr Gehör zu verschaffen.

AH: Was sind 'kritische' Stimmen? Was müssen sie wie kritisieren, wenn sie Ansprechpartner für internationalistische Linke sein sollten?
F: Israelische und palästinensische Linke.
AH: Was sind ‚Linke’? Sind PFLP und DFLP Linke in Deinem Sinn oder nur linke Nationalisten? Und sind ‚linke Zionisten’ mehr Linke oder mehr Zionisten (Nationalisten)? Oder sprichst Du von der KP Israels, von der dortigen trotzkistischen Linken (früher ‚Matzpen’, heute ODA). Darunter gibt es manche, die für eine Zweistaatenlösung eintreten und andere, die für die Auflösung Israels eintreten. Ein israelischer Linker war übrigens der Dir vielleicht bekannte Tony Cliff (Ygael Gluckstein). Er ist Anfang der 50er Jahre nach GB emigriert und bezeichnete sich stets als palästinensischer Kommunist (nachdem er aufgehört hatte, Zionist zu sein). Also welche israelischen Linken? Und wie ist es mit jüdische Linken allgemein (hier könnte ich z.B. meine GenossInnen aus den USA anbieten)

JW: Dabei ist zu berücksichtigen, dass die wenigen nonkonformistischen palästinensischen Intellektuellen derzeit Repression seitens der palästinensischen Behörden oder des Mobs zu befürchten haben.

AH: Sind die nonkonformistischen Palästinenser die, die den Zionismus - und das heißt die Unterdrückung ihrer Landsleute - akzeptieren? Wenn ja, ist es verständlich, wenn die Massen (hier wie nicht anders von solchen Figuren zu erwarten als 'der Mob' bezeichnet) darauf allergisch reagieren.
F: Nein, die sind nicht gemeint, und du verstehst das mutwillig falsch. 'Nonkonformistisch' meint die Abgrenzung von Arafat, der Hamas, der Fatah und Anderen. Palästinensische Linke eben.
AH: Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, dass es ein Kennzeichen der Mehrheit dieser ‚nonkonformistischen’ palästinensischen Linken ist, dass gerade sie die Existenz des Staates Israels und entsprechend zumindest langfristig die Zweistaatenlösung nicht anerkennen. Und mit denen will unser Autor reden? Ich bin sicher, sie werden nicht mit ihm reden.

JW: Dennoch wäre genau hier anzusetzen, wenn man all jene schützen und stärken will, die sich dem Antisemitismus, dem Hass und der Gewalt verweigern.

AH: Der Autor vermischt demagogisch die Dinge. Antisemitismus und wohl auch Haß sind in der Tat abzulehnen. Aber die Gewalt ist durch den Siedlerkolonialismus gegeben, und den Unterdrückten Gewaltlosigkeit zu predigen, dient nur zur Aufrechterhaltung der Unterdrückung. Die Aufrechterhaltung der Unterdrückung wiederum ist der Humus für eine schrittweise Entwicklung arabischen Antizionismus zum Antijudaismus. Wer also die Unterdrückung durch den Zionismus nicht bekämpfen will, kann auch nicht behaupten, den Antisemitismus zu bekämpfen.
F: Das halte ich für absoluten Quatsch, aber auch darüber haben wir ja schon gesprochen. Und was du das für “Humus” hältst, spricht Zuschreibungen und Stereotypen eine rationale Grundlage zu, die sie nicht haben. Es handelt sich um Projektionen. Und ich für meinen Teil behaupte in der Tat, den Antisemitismus auch ohne den kausalen Nexus zum Zionismus bekämpfen zu können. Ich muss letzteren, entgegen deiner Ansicht, deshalb noch lange nicht verteidigen. Also geht deine Gleichung nicht auf.
AH: Ich habe natürlich hier nicht den Antijudaismus im Westen gemeint, sondern den in der arabischen Welt.

Eine vielleicht eher akademische Frage: Aber ich glaube nicht, dass sich auf die Dauer eine relevante Zahl von Menschen für eine Sache mobilisieren lässt, die jeglicher Grundlage entbehrt. Der Antisemitismus wie auch jeder andere Rassismus hat durchaus rationale Grundlage, er ist nur die falsche Interpretation und Reaktion. Deine Theorie scheint mir eine völlig idealistische (im philosophischen Sinn) zu sein. Sie löst das menschliche Denken von seiner materiellen Grundlage. Außerdem zieht sie jeglicher revolutionärer Perspektive den Boden unter den Füßen weg. Sie würde n& 3228mlich bedeuten, dass das Denken der Massen ausschließlich oder doch primär durch das geprägt wird, was man ihnen sagt. Die herrschende Klasse verfügt aber immer über den überwiegenden Teil des Propagandaapparats. Abraham Leon, ‚Die jüdische Frage’, oder auch Isaac Deutscher sprechen über die materiellen Grundlagen des Antisemitismus, oder besser über einen Teil dieser Grundlagen. In Kurzform schreibt darüber übrigens auch der Zionist Arno Lustiger in seinem Buch ‚Rotbuch: Stalin und die Juden’. Postones Theorie z.B. steht dazu m.E. nicht im Gegensatz, sondern ergänzt sie.

JW: Ansonsten sollten deutsche Linke sich, wie es bereits Stefan Vogt dargelegt hat, aller Ratschläge an Israel oder die Palästinenser enthalten. Denn näher liegt allemal die Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus in Deutschland sowie die radikale Kritik an deutscher Außenpolitik.

AH: Der Autor zeigt sich hier wieder mal als Nationalist. Er glaubt nämlich offensichtlich, was hinten weit in der Türkei (oder Palästina oder am Südpol) geschieht, gehe nur die dortige Bevölkerung an. Wir leben in einer 'globalisierten' Welt, und alle Teile hängen strukturell zusammen. Marx hat auch nicht nur über Trier, Bonn und Köln geschrieben, sondern bereits eine 'Internationale' gegründet. Der Autor befolgt natürlich seine eigene Anweisung keineswegs, sondern äußert sich durchaus zum angeblichen Antisemitismus der Araber in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und nimmt aktiv (glücklicherweise einstweilen wie wir nur per Druckerschwärze) Stellung. Wir sollten natürlich vorsichtig sein, über Dinge zu urteilen, über die wir zu wenig wissen, aber das gilt im eigenen Land ebenso wie auswärts.
F: Das ist doch Unsinn. Hier, in diesem Land, sollte die Linke mit Kritik und Veränderungen ansetzen. Die Empfehlung des Verfassers richtet sich deshalb wesentlich an die, deren Politik sich - als Ersatzbefriedigung und Abenteurertum gewissermaßen, möglicherweise auch, um endlich in Deutschland “anzukommen” - auf den Nahen Osten, Kurdistan oder Mexiko konzentriert und dort “gute Völker” sucht, wenn man hier schon keines hat. Diese politische “Szene” ist dir möglicherweise nicht so vertraut; mir schon. Daher finde ich seine Polemik durchaus angebracht. Du musst dich davon nicht angesprochen fühlen.
AH: Da kann ich mich nur wiederholen: Im Sinne einer wirklichen Aufklärung ist die Methode, auf Falsches mit dem gegenteiligen (zumindest halb) Falschen zu antworten, nur kontraproduktiv (Gramsci: „Nur die Wahrheit ist revolutionär“; Trotzki: „Sagen, was ist’.)

JW: Dass deutsche Soldaten im Rahmen einer “Friedensmission” der Uno auf die Golan-Höhen oder in den Gaza-Streifen marschieren, ist schließlich die übelste Vision, die einem von Rot-Grün aufgenötigt wird. Über die Notwendigkeit, dies zu verhindern und die Existenz Israels uneingeschränkt anzuerkennen, sollte doch innerhalb der deutschen Linken ein Konsens herbeigeführt werden können.

AH: Ja zu 1, absolutes Nein zu 2.

Zum Schluß: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß der deutsche Prozionismus der vermeintlichen 'Antinationalen' nicht nur aus dem Holocaust gespeist ist, sondern auch aus der Vorstellung, daß Israel schließlich die einzige Demokratie in einem Meer von orientalischer Despotie und Barbarei ist. Die 'Juden' (in ihrer zionistischen Form) werden geliebt, weil sie Repräsentanten 'unserer' Zivilisation sind. Das ist originär rassistisch, weil es Menschen Wert in erster Linie in Hinblick auf ihren Nutzen für einen selbst zuspricht. Welches Verhültnis haben diese 'linken' Herrschaften zu antizionistischen Juden, die das Existenzrecht eines exklusiv jüdischen Staates zumal auf dem Boden irgendeines anderen Volkes (oder, um 'Volk' zu vermeiden, anderer Menschen, die nicht als Juden definiert werden) ablehnen?

F: Mit dieser Kritik wiederum gebe ich dir durchaus Recht. Ich habe auf einem Antifa-Café in Düsseldorf einen Konkret-Autor erlebt, auf den deine Beschreibung ziemlich genau passt. In dem Jungle World-Beitrag, an dem wir uns jetzt abgearbeitet haben, kann ich eine solche Position jedoch nicht erkennen.
AH: Gestehe ich ein: mein letzter Hinweis ist genereller Natur und bezieht sich nicht auf den vorliegenden Text.

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